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»Im Ausland hilft mir eher mein Kopf, im Iran hingegen mein Herz«
Der iranische Regisseur und zweifache Oscar-Gewinner Asghar Farhadi über seinen neuen Film »A Hero«, politischen Protest und die Herausforderungen beim Dreh in verschiedenen Ländern und Kulturen
In dem Film »A Hero« geht es um Rahim, der wegen seiner Schulden in Haft ist. Als seine Freundin eines Tages eine Tasche mit Goldmünzen an einer Bushaltestelle findet, denkt sich das Paar, dass Rahim damit einen Teil seiner Schulden abbezahlen könnte, um früher entlassen zu werden. Doch er entscheidet sich dafür, den Taschenbesitzer zu suchen, und erstellt eine Fundanzeige. Als die Gefängnisleitung von seiner selbstlosen Tat erfährt, lädt sie die Presse ein, um Rahim zu interviewen. Er wird zu einem Helden. Doch genauso schnell, wie die Medien ihn zum Helden machen, machen sie ihn auch wieder nieder. Rasch verbreiten sich Gerüchte in den sozialen Medien, die Rahims noble Geschichte anzweifeln.
Herr Farhadi, in Ihrem neuen Werk »A Hero« beschäftigen Sie sich im Gegensatz zu den letzten Filmen, die Sie im Iran gedreht haben, nicht mit der Teheraner Mittelschicht, sondern mit Geringverdienern, die nicht in der Hauptstadt leben. Was war Ihre Inspirationsquelle? Basiert Ihr Film auf der Geschichte realer Personen?
Zuerst möchte ich sagen, dass ich mich schon in meinem ersten und zweiten Film, »Tanz im Staub« (2003) und »Die schöne Stadt« (2004), mit der Unterschicht beschäftigt habe. Auch in meinem spanischen Film »Offenes Geheimnis« (2018) geht es um Menschen in einem Dorf. Nicht alle meine Filme handeln von der Mittelschicht. Es war nicht so, dass ich mich zu einem Zeitpunkt entschieden habe, mich mit einer bestimmten Schicht auseinanderzusetzen; das ist eher die Geschichte selbst, die die Richtung bestimmt.Was »A Hero« angeht, erfährt man ab und zu in den iranischen Nachrichten von einer Person, die etwas Gutes getan hat, oft ist es die Rückzahlung einer Menge Geld. Meist in den lokalen Medien, doch manchmal wird eine solche Person sogar im Fernsehen gelobt, daraus wird ein Vorbild für die anderen gemacht. Solche Nachrichten waren meine Inspirationsquelle.
Sie haben mit Filmen wie »Alles über Elly« (2009), »Nader und Simin - Eine Trennung« (2011) oder »The Salesman« (2016), die auch auf den internationalen Festivals sehr erfolgreich waren, ein anderes Bild vom Leben der iranischen Menschen gezeigt, das der Welt eher unbekannt war. Der Iran war immer entweder nur seine Politik oder eine pauschalisierte Nahost-Vorstellung oder exotischer »Orient«. Dass dort »normale« Menschen leben, die ihre eigene Geschichte haben, stellten Sie in solchen Filmen dar. Denken Sie, dass das Kino das Image eines Landes in der Welt ändern kann?
Ich glaube, das Kino allein kann das Bild eines Landes nicht negativer oder positiver machen. Wenn wir über eine Gesellschaft mit mehr als 80 Millionen Menschen wie den Iran reden, mit unterschiedlichen Kulturen und Subkulturen und solch einer alten Geschichte, denke ich, dass kein Film, kein Filmemacher und kein Kino so etwas behaupten kann. Aber sie versuchen eine Tür zu öffnen.Wir können nicht all unsere Informationen über ein Land nur über dessen Kino erhalten. Auch die Filme, die in anderen Ländern gezeigt werden, sind nicht das gesamte Kino des Landes. Die Filme, die ich beispielsweise über Rumänien oder über Deutschland sehe, sind bestimmt nicht alle Filme dieser Länder. Ich denke, das Kino hat einen Einfluss, kann aber kein vollständiges Bild zeichnen.
Sie sind oft auf internationalen Festivals unterwegs. Müssen Sie dort manchmal klischeehafte Fragen beantworten?
So oft! (lacht) Bei manchen Fragen denke ich mir, wenn man das nur googeln würde, hätte man schon die Antwort! Manche wissen nicht mal, wo der Iran liegt! Oder welche Sprache wir sprechen! Nicht überall ist es so, in Frankreich etwa oder in Deutschland habe ich so etwas eher selten erlebt. Aber in den Ländern, die etwas entfernter liegen, haben sie oft eine Gesamtdefinition von Nahost: Alles ist für sie das Gleiche. Und ich meine damit nicht, dass einige Kulturen besser oder schlechter sind, sondern dass es in dieser Region eine Vielfalt von Menschen und Kulturen gibt - doch davon haben solche Fragenden keine Kenntnis.
Wegen Ihres internationalen Erfolgs erwarten etliche Iraner*innen von Ihnen, dass Sie ihre Stimme sind, vor allem wenn niemand sonst ihre Stimme hört. Wie fühlen Sie sich dabei?
Ein Teil solcher Erwartungen ist richtig. Wenn die Stimme der Menschen außerhalb vom Iran kein Gehör findet, dann erwarten sie, dass jeder, der draußen ist, diese Verantwortung übernimmt. Aber wenn ich jedes Mal, wenn ich mich außerhalb des Landes auf einer Bühne befinde, irgendein Problem thematisiere, würde es für Nicht-Iraner wie eine ständige Wiederholung wirken. Es verliert seinen Effekt.Wenn man mich in vielen Interviews zu bestimmten Themen gefragt hat, habe ich darauf geantwortet. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass es eine Wirkung hat, manchmal auch nicht. Es wird oft erwartet, dass ich genau das wiedergebe, was ein Teil der Gesellschaft von mir will, und zwar exakt in deren Ton und mit ihren Worten. Aber ich bin ja ein Individuum mit eigenem Ton und eigener Sprache. Noch wichtiger: Ich denke, wenn meine Filme diese Stimmen beinhalten, haben sie einen langfristigeren Effekt.
Die Reaktionen der iranischen Menschen auf ein Geschehnis kann man oft in den sozialen Medien nachvollziehen. Das haben Sie auch in »A Hero« thematisiert. Wie haben Sie die Reaktionen auf den Film an sich erlebt? Nach seiner Premiere in Cannes 2021 und jetzt, da der Film momentan im Iran im Kino läuft.
Während des Festivals in Cannes kannten viele Iraner den Film noch nicht. Danach habe ich vor allem zwei Arten von Reaktionen bekommen. Einige Feedbacks habe ich direkt von Freunden und Bekannten erhalten; manches habe ich auch, so weit ich konnte, gelesen. Die einen fanden, dass dieser Film im Vergleich zu den anderen Werken von mir eher einen gesellschaftskritischen Ton hat. Die anderen waren der Meinung, dass einiges im Film noch viel direkter hätte ausgedrückt werden sollen. Aber meine Art des Storytellings ist anderer Natur. Das ist in all meinen Arbeiten, sogar in meinen Theaterstücken so.
Als »The Salesman« 2017 als bester fremdsprachiger Film für einen Oscar nominiert war, haben Sie als Protest gegen die rassistische Außenpolitik Donald Trumps die Teilnahme an der Zeremonie abgesagt. Inwiefern kann sich ein Künstler in entscheidenden Momenten auch politisch einbringen?
Jeder muss selber sehen, wie er sich einsetzen will - und wie ehrlich dieser Einsatz ist. Das, was ich gemacht habe, war viel mehr ein humanistischer Akt als ein politischer. Aus meiner Sicht gab es damals ein beleidigendes Verhalten, und ich musste erklären, warum ich nicht an der Oscarverleihung teilnehmen wollte. Jeder Regisseur bestimmt selbst, inwiefern und in welcher Form er auf so etwas reagiert. Manche Aktionen machen vielleicht viel Krach, haben aber wenig Wirkung. Wenn ich denke, dass meine Aktion wirkungsvoll ist, dann mache ich das sicherlich. Und nicht nur außerhalb des Iran, sondern auch im Land - wie ich es auch schon mit anderen Filmemachern und in verschiedenen Formen gemacht habe, etwa mit gemeinsamen Statements.
Heute sehen wir, dass es einen öffentlichen Druck auf russische Künstler*innen gibt. Es wird erwartet, dass sie eine klare Stellung zu Putin oder zumindest zum Krieg beziehen.
Es kommt auf den Künstler an. Man kann keine allgemeine Richtlinie vorgeben. Wenn ich in einer Situation wäre, wo ich eine Reaktion zeigen kann, tue ich das. Ich kann aber niemand anderem etwas vorschreiben. Ich würde mich freuen, wenn einige auf eine klare Tyrannei reagieren. Aber wenn das jemand nicht macht, würde ich denken, er ist entweder in einer Situation, wo das nicht möglich ist, oder er ist anderer Meinung.
Sie haben sowohl im Iran als auch in anderen Ländern Filme gedreht. Hatte diese Erfahrung, in anderen Städten der Welt zu leben, einen Einfluss auf Ihr Filmemachen oder auf Ihr Storytelling?
Wenn, dann sehr unbewusst. Solche Einflüsse tauchen nicht plötzlich auf, sondern wie beim Altern oder Graue-Haare-Bekommen so allmählich, dass man selbst nichts davon mitbekommt. Es hat mich bestimmt beeinflusst - je mehr ich in der Welt gereist bin, desto mehr habe ich erfahren, wie ähnlich die menschlichen Gefühle sind. Dass die Gemeinsamkeiten stärker sind als die angeblichen Differenzen.Die Gefühle einer Mutter scheinen mir in der ganzen Welt ähnlich zu sein, nur die Ausdrucksweise ist vielleicht unterschiedlich. Genauso wie bei der Wut oder der Liebe. Daher ist mir bei so viel Fremdheit in der Welt seltsam zumute, weil sich die Menschen eigentlich so nah sind.
Was ist Ihre größte Herausforderung beim Filmemachen im Ausland?
Wenn man in einer Kultur nicht geboren und aufgewachsen ist, muss man aufpassen, dass das alltägliche Leben jener Menschen und deren Verhaltensweisen richtig dargestellt werden. Man muss ständig recherchieren und prüfen. Zum Beispiel, ob man seine Schuhe auszieht, wenn man in Berlin zu Besuch ist - klingt banal, aber das muss ich fragen. Im Iran weiß ich das einfach. Im Ausland hilft mir eher mein Kopf, im Iran hingegen mein Herz.Vor allem ist es für mich herausfordernd. Für viele, die als junge Menschen in eine andere Kultur gehen, ist es vielleicht anders; sie kennen die Kultur dort, da sie einen vergleichenden Blick auf alles haben, teilweise sogar besser als die Einheimischen. Als ich für meinen Film »Offenes Geheimnis« in Spanien war, wanderte ich in den ersten Monaten nachmittags durch die Straßen, ging in die U-Bahn-Stationen, überallhin, nur um den Alltag der Menschen dort zu erkunden. Das ist für mich auch sehr spannend, dass ich in meinem kurzen Leben so die Welt besser kennenlernen kann.
Was ist dann das Herausfordernde beim Filmdreh im Iran?
Die Herausforderungen waren in den Phasen meines Filmemachens unterschiedlich. Bei den ersten Werken, als die Menschen mit meiner Art des Storytellings noch nicht vertraut waren, war die große Herausforderung für mich, einen Film zu machen, den die Menschen unbedingt im Kino sehen wollen, der für den normalen Zuschauer und zugleich für den Profi interessant wäre. Diese Herausforderung spüre ich immer noch, denn ich möchte nicht einen Film drehen, mit dem nur die Experten, Filmkritiker und Cineasten etwas anfangen können. Je mehr Filme ich mache, desto mehr kennen sich die Zuschauer mit meiner Arbeitsweise aus. Das hilft einerseits, weil mein Film besser verstanden wird. Andererseits erwarten sie, dass ich etwas anderes mache; sie vergleichen mich mit mir selbst. Meine nächste Herausforderung ist, dass ich nicht mit mir selbst in Konkurrenz trete. Dass ich mache, was mein Herz mir sagt.
Was machen Sie gerne, wenn Sie gerade kein Drehbuch schreiben oder keinen Film drehen?
Ich bin fast immer am Schreiben! (lacht) Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich einen Tag ohne Gedanken ans Schreiben verbracht hätte. Aber wie jeder Filmemacher interessiere ich mich fürs Filmschauen. Auch fürs Lesen. Und eine große Leidenschaft habe ich für Natur, Blumen und Gartenarbeit. Ich liebe Landwirtschaft und hoffe, dass ich eines Tages Zeit dafür haben werde.
»A Hero«, Iran/Frankreich 2021. Regie und Buch: Asghar Farhadi. Mit: Amir Jadidi, Mohsen Tanabandeh, Sahar Goldoust, Maryam Shahdaie. 128 Minuten. Jetzt im Kino.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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