• Kultur
  • »SMAK!« an der Volksbühne

Die Fehlerorgie

Das philippinische Rundumtalent Khavn de la Cruz erobert mit »SMAK!« die Berliner Volksbühne

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 5 Min.

Khavn de la Cruz hat vor nichts Angst. Der Guerilla-Regisseur aus Manila hält die Leere aus. Und erst recht scheut er Chaos, Überfülle und Überreizung der Sinne nicht. Stoisch zog er vor ein paar Jahren seinen Konzert- und Filmabend im Berliner Kulturzentrum Acud durch, obwohl sich die Zahl der Gäste an den Fingern einer Hand abzählen ließ, wie sich Lilith Stangenberg später erinnerte. Die Volksbühnenschauspielerin gehörte damals schon zur Fangemeinde von de la Cruz. Der wurde durch schnell geschossene Filme auf Manilas Straßen bekannt.

»Mondomanila« (2012) etwa startet mit Bildern überschwemmter Slums in der philippinischen Hauptstadt und erzählt danach sehr schrille Ermächtigungs- und Rachegeschichten von vielfältig lädierten wie talentierten Gestalten. Dabei spielt er mit der Gier von Bewohner*innen des saturierten Westens auf Bilder von Armut, Elend und Korruption und überhöht dokumentarische Szenen teils durch sehr drastische Übertreibungen, teils durch surreale und fantastische Elemente.

Auf Einladung der Berliner Volksbühne wendet sich der 1973 geborene Regisseur, Dichter und Musiker nun erstmals dem Theater zu. »Es ist meine erste Regiearbeit fürs Theater. Früher habe ich schon mal Rockopern gemacht und auch Stücke geschrieben. Aber Regie führe ich zum ersten Mal«, erzählt er gegenüber »nd«.

Wie bei seiner Vita kaum anders zu erwarten, handelt es sich bei »SMAK! SuperMacho AntiKristo« um ein zahlreiche Genregrenzen überschreitendes Werk. »Es besteht aus Tanz, Film, Poesie und Theater. Eigentlich erzählen wir die Geschichte durch 25 Songs. Das Stück selbst hat 100 Szenen. Und dem Bühnen- und Kostümbildner explodiert schon der Kopf wegen der vielen Wechsel von Kostümen und Requisiten«, erzählt de la Cruz mit dröhnendem Lachen. Dass dabei manches schiefgehen kann, ist eingeplant, ja sogar beabsichtigt. »Um keinen Fehler zu machen, müsste man ja ein Roboter sein. Es geht darum, die menschlichen Fehler zu integrieren«, sagt der Regisseur. Etwa drei Stunden soll die Orgie gehen. Am Premierenabend am Mittwoch kann man sich noch vorher mit einem Screening von »Mondomanila« auf die Welt von Khavn de la Cruz einstimmen.

In »SMAK!« will de la Cruz auf das Werk von Alfred Jarry, vor allem auf dessen Diktator-Parodie »König Ubu« zurückgreifen. Personal und Handlungsstränge daraus verschneidet er mit Sequenzen aus »Noli me tangere«, einem Roman des philippinischen Nationalhelden José Rizal. Rizal, von den spanischen Kolonialherren 1896 hingerichtet, beschreibt darin die allgegenwärtige Korruption des Kolonialsystems und den aufkeimenden Widerstand dagegen. Der Roman ist mittlerweile Schulstoff im Inselstaat, was nichts am Weiterwuchern korrupter Praktiken änderte. Im Kreuzungspunkt von Rizal und Jarry entsteht laut de la Cruz »der Rachefeldzug einer Frau, deren Kind durch die Mafia umgebracht wurde«.

Die Rolle der Rächerin fällt der auf düstere Figuren abonnierten Lilith Stangenberg zu. Sie drehte kurz vor dem Lockdown mit de la Cruz und dem Filmessayisten Alexander Kluge die gemeinsame »Orphea«-Produktion. Die Hölle, in die die weibliche Orpheus-Gestalt da der Liebe wegen hinabsteigt, ist nichts anderes als der von de la Cruz so sehr geliebte Moloch Manila. Der Film lief 2020 auch auf der Berlinale, ohne großes Aufsehen, aber doch zum Entzücken einer so kleinen wie ausgesuchten Fangemeinde.

Für »SMAK!« dreht de la Cruz auch einige Filmszenen, allerdings in Berlin. Das empfand er im Gegensatz zum ewig dynamischen Manila als »sehr ruhig, sehr entspannt«. »Jeder Mensch hier ist auf einer ganz ruhigen Spur«, beobachtete er. Gut, für Ruhe mag auch die Auswahl der Drehorte selbst gesorgt haben. Der sogenannte Selbstmörderfriedhof im Grunewald mit dem Grab der Andy-Warhol-Muse Nico gehörte dazu, der Drachenfliegerberg neben dem Teufelsberg und der großflächige Vampirspielplatz in der Buschkrugallee. Man darf gespannt sein, in welcher Verwandlung sich diese Orte präsentieren, nachdem sie durch den Visualisierungswolf von Khavn de la Cruz gejagt wurden.

Seine erste Theaterregie erlebte der Filmemacher und Musiker als ziemlich erschöpfend. »Im Grunde war es so, als ob wir jeden Tag einen neuen Film gedreht haben, 30 Tage lang«, beschreibt er die Probenarbeit an den Drehorten wie im Probenraum. »Das nächste Mal werde ich mehr Pausen zwischendrin machen«, verspricht er fröhlich. Die Überforderung scheint ihm aber auch Spaß gemacht zu haben. »Jeden Tag sind wir durch das gesamte Stück gegangen. Da gibt es feste Abläufe, Ziele, die wir mit jeder Szene erreichen wollen, aber eben auch viel Platz für Improvisation und Fehler«, erzählt er.

Sein Ensemble ist unglaublich vielfältig, erinnert in der Disparatheit an die Künstlergruppen, die einst Christoph Schlingensief an die Volksbühne holte. Bituin Escalante ist eine Popsängerin mit Star-Status in den Philippinen, Bullet Dumas ein Folksänger, Roxlee ein Comic-Zeichner und Rockstar. Zur Besetzung gehören neben Stangenberg auch Mick Morris Mehnert und Daniel Zillmann.

»Das Ensemble ist sehr heterogen, auch bei den deutschen Schauspielern ist jeder anders. Aber es fügt sich alles sehr harmonisch«, blickt de la Cruz auf die Probenzeit zurück. Nach dem Gespräch mit »nd« schickt er noch als Textnachricht hinterher: »René Pollesch sagte, das ›SMAK!‹-Ensemble sei das beste seit ›Faust‹ an der Volksbühne.« Jetzt kommt eine wilde Belebungsspritze aus dem Underground von Manila. Keine schlechte Idee. Dem alten Volksbühnengeist ist de la Cruz bisher vor allem in seiner sanften Form begegnet. »Ich habe den Geist im Bier gesehen. Wenn es da Geister gibt, dann sind es gute und betrunkene Geister«, meinte er. Mal sehen, wie sich das mit »SMAK!«, also »SuperMacho« und »AntiKristo«, so verträgt.

Premiere: 13.4., weitere Vorstellungen: 15., 16., 19. und 20.4., www.volksbuehne.berlin

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.