- Wirtschaft und Umwelt
- Strukturwandel in Sachsen
Das Land bedient sich zuerst
Kritik an Umsetzung des »Strukturwandels von unten« in sächsischen Braunkohlerevieren
Beim Kinder- und Jugendring im Landkreis Leipzig ist man der Ansicht, dass junge Menschen beim Strukturwandel in den Kohlerevieren mitreden sollten. »Das ist schließlich die Generation, die mit den Auswirkungen leibhaftig leben muss«, sagt Andreas Rauhut von der Geschäftsstelle. Also stellte man einen Förderantrag für das Bundesprogramm STARK. Es soll unter anderem die Zivilgesellschaft und Kommunen dabei unterstützen, Ideen für den Umbruch in den Revieren zu entwickeln und umzusetzen. Im Februar 2020 reichte der Kinder- und Jugendring die Unterlagen ein - 40 Seiten, die eher »vereinsunfreundlich« gestaltet waren, wie Rauhut formuliert. Erst prüfte das Land die Papiere, dann noch einmal eine vom Bund beauftragte Behörde. »Wir fühlten uns veräppelt«, sagt Rauhut. Die Hoffnung, es könne bald losgehen, wurde durch einen Förderstopp gebremst. Mittlerweile sind 13 Monate seit Antragstellung vergangen. »Wir bleiben guter Dinge«, aber ob das Geld irgendwann fließe, bleibe unklar.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Die Antragsodyssee des Vereins ist keine Ausnahme. Vielmehr klemmt es bei der Umsetzung eines »Strukturwandels von unten« in Sachsen generell, sagt die Linke-Landtagsabgeordnete Antonia Mertsching. Sie hat sich angeschaut, wem STARK-Gelder bisher zugesprochen wurden. Im Freistaat stehen 313 Millionen Euro für das Lausitzer und 145 Millionen Euro für das Mitteldeutsche Revier südlich von Leipzig zur Verfügung. Bisher abschließend bewilligt wurden Anträge im Umfang von 40 Millionen Euro. Diese flössen in der Lausitz zu 52 Prozent und im Leipziger Revier zu 82 Prozent in Forschungs- und Hochschulprojekte, was eigentlich »eine ureigene Aufgabe des Landes« sei, kritisiert Mertsching. Dagegen kommen Ideen aus der Zivilgesellschaft bisher praktisch gar nicht zum Zuge. Kommunalen Vorhaben wurden zwar in der Lausitz 38 Prozent der Mittel zugesprochen, doch geht der Löwenanteil davon an eine Entwicklungsgesellschaft des Landkreises Görlitz und kaum etwas an Einzelkommunen. Auch von den 55 Millionen für Projekte, die positiv bewertet, aber noch nicht endgültig bewilligt wurden, fließen nach Angaben der Linke-Abgeordneten in Landesprojekte 30 Prozent in der Lausitz und gar 55 Prozent im Leipziger Revier.
Diese Relation stößt auf Kritik. Das Ziel, die Beteiligung von Bürgern, Vereinen und Initiativen am grundlegenden Wandel in den Revieren sicherzustellen, werde in Sachsen »klar verfehlt«, sagt Mertsching. Sie wirft dem Land vor, das Förderprogramm zu nutzen, um »eigene Interessen« umzusetzen und den Landeshaushalt zu entlasten: »Der Freistaat stattet sich gut aus, zulasten der Kommunen und kleinen Träger.« Der DGB sieht das ebenso. Der Strukturwandel müsse »unter Einbeziehung der Menschen« stattfinden, sagt Daniela Kolbe, Landesvize der gewerkschaftlichen Dachorganisation in Sachsen. Es gehe um einen »linken Strukturwandel«, der die wegfallenden Jobs in Kraftwerken und Tagebauen durch gut bezahlte Arbeitsplätze in anderen Branchen ersetze und generell der Region eine Zukunft gebe. Die STARK-Richtlinie sei dafür eigentlich ein »probates Mittel«. Doch während in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und dem Rheinischen Revier die kommunale und bürgerschaftliche Beteiligung sichergestellt werde, »geht es in Sachsen nicht so sehr in diese Richtung«, sagt Kolbe. »Da ist noch Luft nach oben.«
Leidtragende sind Initiativen wie die Bürgerregion Lausitz, die 2019 gegründet wurde, um einen »Strukturwandel von unten« zu befördern. »Wir wollen die Bürger mitnehmen«, sagt Dagmar Steuer, eine der Aktiven. Die Initiative würde gern Projektwerkstätten veranstalten oder digitale Instrumente zur besseren und breiteren Beteiligung erarbeiten. »Das ist aber im Ehrenamt nicht zu leisten«, sagt Steuer. Also wurde ein Antrag für Gelder aus dem STARK-Programm gestellt, um eine Koordinierungsstelle einzurichten. Weil das Lausitzer Revier in zwei Bundesländern liegt, mussten zwei Anträge gestellt werden. Der in Brandenburg sei zumindest vorläufig angenommen, der in Sachsen aber wegen Überzeichnung des Programms abgelehnt worden, »ohne dass man uns eine Alternative aufgezeigt hätte«, sagt Steuer. Nun, sagt sie, drohe dem Projekt eine »Spaltung« - und der Akzeptanz des Strukturwandels in der Bevölkerung ein weiterer Dämpfer.
Das befürchten auch Kommunalpolitiker wie Ralf Brehmer, Bürgermeister in der Gemeinde Rietschen, auf deren Gebiet der Tagebau Reichwalde liegt. Nach Beobachtung des Rathauschefs sei der Strukturwandel »ursprünglich mit großen Hoffnungen verbunden« gewesen. Diese schwinden jedoch zunehmend. Ein Problem aus Sicht von Gemeinden wie Rietschen: Viel Geld fließt in Regionen, die fernab der Tagebaukanten liegen. Von den bisher bewilligten STARK-Geldern in Sachsen wirkt sich laut Mertsching nur ein Sechstel direkt im »kernbetroffenen Gebiet« aus, ein weiteres Viertel indirekt. Der Rietschener Bürgermeister ist unzufrieden: »Der Strukturwandel findet in der Bergbauregion statt«, sagt er. »Es sind die Jobs in den Tagebauen und Kraftwerken, die zur Disposition stehen.« Alternativen und neue Ideen könnten Kommunen aber »nicht im Tagesgeschäft« entwickeln; dafür brauche es eigens eingestellte Mitarbeiter. Rietschen hatte einen entsprechenden Antrag gestellt, ging aber leer aus. Er habe, so Brehmer, den Eindruck, »dass Brandenburg derzeit mehr richtig macht als wir hier in Sachsen«.
Derlei Kritik bestärkt etwa den DGB in seiner Forderung nach einem »Neustart« des Strukturwandels. Dabei müssten beispielsweise Vergabeverfahren für Fördergelder so neu gestaltet werden, dass gesellschaftliche Gruppen und auch die Gewerkschaften als Vertretungen der Arbeitnehmer in entsprechenden Gremien nicht wie bisher nur mit beratender Stimme vertreten sind.
Auch Mertsching drängt darauf, die »Bevölkerung endlich mehr zu beteiligen«. Dazu solle das in Sachsen zuständige Staatsministerium für Regionalentwicklung endlich ein Beteiligungskonzept vorlegen, »auf das wir seit einem Jahr warten«, sagt die Linke-Abgeordnete. Auch mit Blick auf das STARK-Programm wünscht sie sich Änderungen. Entschieden wird über die Mittelverteilung zwar bei der zuständigen Bundesbehörde, allerdings auf der Basis von Stellungnahmen des Landes oder der Landkreise. »Das wäre der Hebel, um Kommunen und die Zivilgesellschaft besser zum Zuge kommen zu lassen.« Im Gegensatz dazu würden Vorschläge des Landes nach ihrer Kenntnis nicht von einer anderen Instanz bewertet, fügt Mertsching an - was die Chancen erhöht, dass diese positiv beschieden werden. »Das Land steuert, welche Anträge zum Zuge kommen«, sagt die Abgeordnete - und fordert, Eigennutz dabei künftig stärker hintenan zu stellen.
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