Lasst uns in Frieden (37): Falscher Rausch

Was ist es, das die Faszination des Mordens und des Gemordetwerdens ausmacht?

  • Axel Klingenberg
  • Lesedauer: 3 Min.

Noch gibt es sie nicht, die Memoiren der Teilnehmer des Ukraine-Krieges. Aber es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis die ersten erscheinen werden. Wie werden sie aussehen? Wie werden sie sich lesen? Wie Erich Maria Remarques »Im Westen nicht Neues«? Oder wie Ernst Jüngers »In Stahlgewittern«? Vielleicht wird es beides geben. Das ist natürlich auch davon abhängig, wie dieser Krieg ausgeht. Und wofür sich Leser finden werden.

Die beiden genannten Bücher beschreiben hauptsächlich den Stellungskrieg im Ersten Weltkrieg. So etwas wird es wohl nicht wieder geben. Vermutlich wird die Ukraine früher oder später kapitulieren müssen und besetzt werden. Aber nageln Sie mich nicht auf diese Vermutung fest. Ich bin kein Hellseher und gebe auch nicht vor, Militärexperte zu sein.

Interessant an den beiden genannten Büchern ist, dass sie ganz ähnliche Situationen schildern, aber dies auf ganz unterschiedliche Weise. Jüngers Roman verherrlicht den Krieg - und glorifiziert sein Grauen: »Zwischen den lebenden Verteidigern lagen die toten. Beim Ausgraben von Deckungslöchern bemerkten wir, dass sie in Lagen übereinandergeschichtet waren. Eine Kompanie nach der anderen war, dicht gedrängt im Trommelfeuer ausharrend, niedergemäht, dann waren die Leichen durch die von den Geschossen hochgeschleuderten Erdmassen verschüttet worden, und die Ablösung war an den Platz der Gefallenen getreten. Nun war die Reihe an uns.«

Jüngers Fans - und die gab es auch unter Linken - lasen dies nicht als Warnung vor den Schrecken des Krieges. Sie lasen es als Aufruf, einen neuen zu beginnen. Seltsam. Was ist es, das die Faszination des Mordens und des Gemordetwerdens ausmacht?

Zu Beginn des Ersten Weltkrieges schien eine scheinbar stagnierende Welt endlich in Bewegung zu geraten. Nur um nach zwei Jahren in einen Stellungskrieg zu verfallen, bei dem jeder noch so kleine Geländegewinn Menschen auf der umkämpften Erde sterben ließ. Einigen, wie Ernst Jünger, schien dies Freude zu bereiten. Eine gängige Erklärung für dieses Phänomen besteht darin, dass die Nähe des Todes einen das Leben stärker spüren lässt.

Jünger scheint in seinem autofiktiven Roman jedenfalls einen neuen Krieg herbeischreiben zu wollen. Er sollte nicht enttäuscht werden. 1939 begann der Zweite Weltkrieg. Doch wie beim Drogenkonsum der erste Rausch immer der schönste ist, war es auch hier. Der Krieg hatte (zumindest teilweise) seinen Reiz verloren. Zum Pazifisten wurde Jünger trotzdem nicht. Man kann nicht ein Leben lang Nationalist sein, um dann abzuschwören, auch wenn man die Fehler erkannt hat. Denn dann hätte sich Jünger eingestehen müssen, sein komplettes Leben falsch gelebt zu haben.

Man darf gespannt sein, wie die Bücher aussehen werden, in denen uns Menschen von ihrer Teilnahme am Ukraine-Krieg erzählen. Lieber als die Heldengeschichten uniformierter Männer jedweder Couleur würde ich jedoch die Erlebnisse junger Mütter lesen, die mit ihren Kindern tagelang in U-Bahn-Schächten ausgeharrt haben, um schließlich in den sicheren Westen zu flüchten. Krieger sind nicht heroisch. Menschen, die ihre Liebsten schützen, schon eher.

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