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Buchmarkt: Werden Independent-Verlage übergangen?

Der Deutsche Buchpreis steht bevor: Ein Gespräch mit Nikola Richter von mikrotext über Probleme und Möglichkeiten kleiner Verlage

  • Frédéric Valin
  • Lesedauer: 7 Min.
Werden die kleinen Verlage weggepackt? Hier packt der große Verlag Kiepenheuer & Witsch auf der Frankfurter Buchmesse 2023 sein Programm aus.
Werden die kleinen Verlage weggepackt? Hier packt der große Verlag Kiepenheuer & Witsch auf der Frankfurter Buchmesse 2023 sein Programm aus.

Diese Woche wurde die Shortlist zur Verleihung des Deutschen Buchpreises bekannt gegeben. Gefällt Sie Ihnen?

Ich als Leserin bin über die Shortlist recht glücklich, da sind sehr gute Texte dabei, von Martina Hefter zum Beispiel, Ronya Othmann und Maren Kames. Nicht klassisch Romanhaftes, sondern Erzähltes unterfüttert von Chatsprache, Recherchemodus, Poesie und Lautmalerei. Und mit den Büchern von Clemens Meyer und Markus Thielemann sind Krieg und Gewalt als auch die Frage nach völkischen Verblendungen im Rampenlicht, nichts ist heutzutage wahrscheinlich wichtiger zu durchleuchten – neben der Liebe selbstverständlich. Als Indie-Verlegerin hätte ich mir natürlich noch mindestens einen Titel aus einem kleineren Verlag gewünscht.

Interview

Nikola Richter ist Autorin und Verlegerin. 2013 gründete sie den Verlag mikrotext, der seither dreimal mit dem Deutschen Verlagspreis ausgezeichnet wurde. Dort veröffentlichten u.a. Yevgeniy Breyger, Franzobel, Dinçer Güçyeter, Mely Kiyak, Sarah Khan und Stefanie Sargnagel.

Zuerst erschien die Longlist. Unter den 20 Titeln befanden sich nur zwei Romane, die von unabhängigen Verlagen publiziert wurden. Das gab gerade in kleineren Verlagen Aufregung. Werden Independent-Verlage übergangen?

Um das sagen zu können, fehlt eine entscheidende Information: Wie viele unabhängige Verlage haben überhaupt Romane eingereicht? Es gibt ja gewisse Voraussetzungen, um beim Deutschen Buchpreis nominiert werden zu können, man muss Mitglied des Börsenvereins sein zum Beispiel. Ich habe da auch angefragt, wie viele Indie-Verlage eingereicht haben, aber die Information wollten sie nicht herausgeben, weil sie wohl nicht erhoben wird. Aber so schwierig ist es ja eigentlich nicht, das zu zählen.

Mein Eindruck ist, dass die Diskussion auch deswegen so aufflammte, weil unabhängige Verlage mehr noch als früher existenziell bedroht werden und nicht genug unterstützt werden. Entsprechend müssen wir alle paar Monate zusehen, wie noch ein unabhängiger Verlag verschwindet oder gerade noch mal gerettet werden kann.

Das ist sicher ein Grund für die Aufregung. So eine Nominierung bedeutet ja vor allem Aufmerksamkeit, Sichtbarkeit. Aber nach welchen Kriterien die Jury des Deutschen Buchpreises entschieden hat, ist ihr allein überlassen, und ob ökonomische Erwägungen eine Rolle gespielt haben, kann ich nicht sagen. Klar ist die Frage legitim, ob beispielsweise Daniela Krien – eine tolle Autorin übrigens – unbedingt für die Longlist nominiert werden musste: ihr Buch wird sich so oder so verkaufen. Aber da werden unterschiedliche Jurys immer zu verschiedenen Ergebnissen kommen. Das ist nicht das Problem.

Und was würden Sie sagen, ist das Problem?

Oh, das ist vielschichtig. Zunächst einmal ist es so, dass die wirtschaftliche Lage sich seit der Pandemie verschärft hat. Die Rohstoffpreise sind gestiegen: Die Druckkosten sind, besonders für die kleineren (und eigentlich nachhaltigeren) Auflagen der unabhängigen Verlage, teurer geworden. Eine andere Entwicklung sind für die Verlage schlechte Verträge mit den Barsortimenten, also mit den Zwischenhändlern zwischen Verlag und Einzelhandel. Die nehmen inzwischen bis zu 50 Prozent des Ladenpreises für ein Buch, teilweise mehr, wenn Skonto gegeben wird. Was nicht verkauft wird, kann dann auf Kosten des Verlags wieder zurückgeschickt werden. Also trägt der Verlag einen Großteil des Risikos.
Außerdem hat sich die Gesamtwirtschaftslage verschlechtert, das heißt, es werden auch weniger Bücher verkauft. Es wird insgesamt weniger gelesen, Literatur hat nicht mehr den Stellenwert, den andere Kunstformen haben, wie Mode etwa oder Musik. Es wird unglaublich viel Geld für Konzerte ausgegeben zum Beispiel, aber Bücher gelten als zu teuer. Dann spielt auch das Sozialverhalten eine Rolle: es wird mehr gescrollt als gelesen. Die liebste Freizeitbeschäftigung der Menschen sind Internet, Handy, Musikhören, Computer, Fernsehen. Das müssen die Menschen natürlich selber wissen. Ich bin aber überzeugt, dass Lesen das Lebensgefühl verbessern und wieder mehr Ruhe und Empathie ins Leben bringt.

Gleichzeitig gibt es jedes Jahr wieder eine neue Rekordflut an Neuerscheinungen. Richard Stoiber vom unabhängigen März-Verlag hat das mal auf die Formel gebracht: Alle schreiben, niemand liest. Sehen Sie das auch so?

Ja, viele finden, sie seien wichtige Autorinnen und Autoren, haben mehrere Manuskripte in der Schublade, lesen aber selbst keine Neuerscheinungen der Verlage, bei denen sie selbst ihren großen Wurf landen wollen. Bei mikrotext habe ich jetzt auch deswegen beschlossen, dieses und nächstes Jahr jeweils nur vier Titel zu machen, die dann mehr Aufmerksamkeit bekommen, statt wie die Jahre zuvor jeweils acht. Und dann werden wir einmal sehen, wie sich das rechnet.

In Österreich und der Schweiz gibt es staatliche Förderungen für Verlage. Wäre das eine Möglichkeit, um die unabhängigen Verlage am Leben zu erhalten?

Das wäre eine Möglichkeit, ja. Es wäre auch eine Möglichkeit, den Bibliotheken ein Budget zu geben ausschließlich zum Kauf von Werken aus unabhängigen Verlagen. Das Bibliothekensystem ist toll, für zehn Euro im Jahr kommt man in Berlin an unzählige Publikationen. Es ist mir klar, dass Bibliotheken nur begrenzt Raum haben, aber sie könnten das Geld – Achtung: Riesenidee – auch in die E-Book-Lizenzen investieren, das nimmt keinen Platz weg.
Ein anderer Ansatz wäre die Leseförderung an Schulen. Das Thema gilt als unsexy, aber ich glaube, dass es da einen großen Bedarf gibt. Es gibt dafür sogar Budgets, die Lehrer*innen anzapfen können, aber sie schaffen das oft nicht zu organisieren neben ihrem Lehralltag, was ich absolut verstehe. Wenn Verlage hier das Geld beantragen könnten, für Schulen und Lehrer*innen in der Nähe ihres Verlagssitzes, wäre das doch eine gute Veränderung für alle Seiten.

Wenn ich mir die klassischen Medien ansehe, nimmt die Sichtbarkeit von Literatur gerade eher ab: Buchbesprechungen werden immer seltener, der öffentlich-rechtliche Rundfunk nimmt immer mehr Literatursendungen aus dem Programm. Ist das auch ein mediales Problem?

Sicher, ja. Da sind, um noch einen Aspekt mit hereinzunehmen, auch die Redaktionen in der Pflicht, zu entscheiden, was sie empfehlen und was nicht; wo sie Schwerpunkte setzen, ob sie vor allem Titel aus den marktdominierenden Verlagen vorstellen oder ob sie auch auf ökonomische Bedingungen im Betrieb achten. Wenn ich mir die SWR-Bestenliste von Juli/August zum Beispiel ansehe, eine Bestenliste, die ich vom Prinzip her sehr mag, sind die Hälfte der Titel Übersetzungen. Es geht hier nicht darum, eine Nationalisierung der Literatur zu fordern, sondern um etwas anderes: Gerade die US-amerikanischen Verlage haben eine ungeheure Marktmacht und drücken ihre Titel dann international auch durch. Vieles davon verkauft sich eh, da stellt sich schon die Frage, in welcher Rolle Kritiker*innen sich eigentlich sehen. Es erscheinen ja auch viele Titel aus kleineren Sprachen in unabhängigen Verlagen. Und sollte nicht auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der ja von uns allen gefördert ist, die Vielfalt abbilden, nicht nur die Zugpferde? Im Grunde genommen sitzen wir alle in dem gleichen Boot: Der Journalismus braucht Leserinnen und Leser genau wie die Buchbranche. Wir sollten uns gegenseitig respektvoll behandeln und gegenseitig stärken.

Ihr Verlag mikrotext hatte mit Dinçer Güçyeters »Unser Deutschlandmärchen« letztes Jahr einen wahren Bestseller. Reicht das in dieser Zeit, um ein paar Jahre sorgenfrei das Verlagsgeschäft betreiben zu können?

Wir haben schon auch andere Titel, die sehr beliebt sind, wie Elfi Conrads Roman »Schneeflocken wie Feuer« über eine Teenagerin im Harz der 1960er oder Ruth Herzbergs toxische Liebeseskapade »Wie man mit einem Mann unglücklich wird« und aktuell Mely Kiyaks Geschichte eines Benediktinerinnenklosters »Dieser Garten«, aber ja: Dinçers Buch hat den Verlag auf eine solide Basis gestellt. Ich konnte zum ersten Mal Vorschüsse zahlen, zum Beispiel. Daran sieht man, dass das geht: Großes Buch in vielfachem Sinne, viel Aufmerksamkeit, viele Leserinnen und Leser – aber kleine Struktur. Ich bin der Jury des Preises der Leipziger Buchmesse noch immer sehr dankbar, diese mutige Entscheidung gefällt zu haben und nicht gleich gedacht zu haben: Das schaffen die doch eh wirtschaftlich nicht. Haben wir. Und es könnte viel öfter so sein!

https://mikrotext.de

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