Zu simple Erzählung über die Helden von Mariupol

Rechtsextremisten in ihrem letzten Gefecht: Geht in Mariupol gerade auch die Schwarze Sonne unter?

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Kämpfe sind hart und schonungslos. Feuerpausen werden nicht eingehalten, vereinbarte Fluchtrouten für Zivilisten beschossen, Kapitulationsaufforderungen der russischen Seite werden von der ukrainischen abgelehnt. Bereits vor ein paar Tagen bat der Kommandeur der in Mariupol tapfer kämpfenden ukrainischen Marineinfanteristen in einem Video um die Evakuierung der Verteidiger in einen Drittstaat. »Der Feind ist uns zehn zu eins überlegen«, sagte Serhij Wolyna in der nur einminütigen Videobotschaft. »Wir appellieren an alle führenden Politiker der Welt, uns zu helfen.«

Wem helfen? Den Kämpfern und Verwundeten aus Wolynas Brigade? Gehören zu denen auch die Rechtsradikalen und Ultranationalisten des »Asow«-Regiments, die vom ersten Tage der russischen Attacken an die Stadt verteidigten? Der ukrainische Botschafter in Berlin hat die »Asow«-Leute als »mutige Kämpfer« bezeichnet, und er lässt zu diesen Formationen keinerlei Berührungsängste erkennen. Dabei machen die freiwilligen Verteidiger ihrer Heimat aus ihrer offen faschistischen und nationalistischen Gesinnung keinen Hehl. Sie folgen dem bei Rechtsradikalen und Neonazis international verbreiteten Symbol der Schwarzen Sonne.

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Bei aller Solidarität mit der überfallenen Ukraine: Diese Tatsachen einfach auszublenden, ist höchst problematisch. In Russland - so zeigt die dortige nicht gerade üppige Berichterstattung über die »militärische Spezialoperation« - hat man die »Asow«-Leute wohl im Blick. Logisch, denn da ist die Existenz der schwer bewaffneten Verbände geradezu eine Bestätigung für Moskaus vorgebliches Kriegsziel Nummer eins. Man wolle, so heißt es in simpler Schwarz-Weiß-Sicht, die Faschisten aus den Machtpositionen in der ukrainischen Gesellschaft vertreiben.

Im Zuge der Euromaidan-Proteste 2013 und 2014, während der russischen Krim-Annexion und beim Krieg im Donbass haben sich neue Akteure auf die politische Bühne der Ukraine gedrängt. Bewaffnete Freiwilligen-Bataillone gewannen rasch an Macht. Hinter den bewaffneten Formationen standen und stehen diverse ukrainische Oligarchen und andere Herrscher der organisierten Kriminalität. Nach und nach boten sie ihre Truppen dem Staat an - wider die immer aggressiveren Handlungen russischer Kräfte. Seit dem Frühjahr 2014 tauchten diese Verbände im Donbass auf. Zugleich forderten die Privatarmeen den ukrainischen Staat selbst heraus.

2017 gab es über 20 solcher aktiven Freiwilligenverbände. Eine Macht im Staate. Unkontrollierbar. Die Gründer der Bataillone »Asow« (Andrij Bilezkyj), »Rechter Sektor« (Dmytro Jarosch), »Ajdar« (Serhyj Melnitschuk), »Donbass« (Semen Sementschenko) und »Dnipro-1« (Jurij Beresa) wurden ins Parlament gewählt, belegt eine interessante Studie der School of Social and Political Sciences an der Universität Glasgow.

Der Einfluss dieser und anderer skrupelloser Hintermänner wuchs. Sie verfügen nun auch über politische Immunität. Ihre Truppen begehen - wenn sie nicht in Schützengräben liegen - Auftragsmorde, sie überfallen sogenannte gesellschaftliche Randgruppen wie die Roma, hetzen gegen Juden, verteufeln zunehmend sogar die Deutschen - alles im Geiste von Stepan Bandera, dessen Partisanen noch bis 1956 gegen die sowjetische Ordnung mordeten.

Die Regierung in Kiew versuchte gegenzusteuern und stellte die meisten Freiwilligenverbände als Spezialeinheiten unter das Kommando der Nationalgarde oder gliederte die Truppen dem Innenministerium an. Womit die bewaffneten Rechtsextremisten als reguläre Soldaten der ukrainischen Streitkräfte anerkannt wurden und der Staat ihren Sold bezahlt. In einer repräsentativen Umfrage des in Kiew ansässigen Rasumkow-Zentrums sprach 2018 die Hälfte der Befragten den Freiwilligen ihr Vertrauen aus. Andere Umfragen des Zentrums besagen, dass die Befragten nur wenig übrig hatten für rechtsextremistische Parteien und Organisationen. Dass beides zusammengehört, ist in der ukrainischen Bevölkerung offenkundig nicht klar. Ebenso wenig wie im Westen. Dank oft zu simpler Berichterstattung.

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