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Kosmische Illusionen stinkreicher Egomanen
Die Arte-Doku »Letzte Ausfahrt: Weltall« prüft die kosmischen Besiedlungspläne von Milliardären wie Elon Musk und Jeff Bezos auf Realisierbarkeit. Das Ergebnis ist entlarvend – und sehr spannend
Der Mensch, das ist Fluch und Segen dieser Spezies zugleich, strebt stets nach dem Äußersten. Das Expansive scheint genetisch bedingt zu sein, dieses dauernde Streben, alle Grenzen zu überwinden und vorzustoßen in unendliche Weiten oder wie es der angesehene Regisseur und Klaus-Kinski-Dompteur Werner Herzog zu Beginn der Arte-Dokumentation »Letzte Ausfahrt: Weltall« formuliert: »Die Besiedlung fremder Planeten, war einst etwas für Dichter und Träumer.« Eine industrielle Revolution später jedoch, fügt er hinzu, während am Bildschirm Sterne tanzen, »kommen wir der Erfüllung ihrer Träume näher«.
So weit eine Theorie, die seinen Sohn Rudolph Herzog dazu angeregt hat, Papa als Sprecher einer kosmischen Rundreise zu engagieren: Mehrere Tech-Milliardäre planen schon heute die Kolonisierung weit entfernter Planeten, heißt es im Vorspann. Und unser Sonnensystem, flüstert Werner Herzog heiser, »ist nur der erste Schritt«. Willkommen bei der Märchenstunde des Kulturkanals. Willkommen auf der anderthalbstündigen Irrfahrt durch die Wachträume einer stinkreichen Kaste Konzernlenker. Willkommen in der Welt jener alltagsentrückten Digital-Tycoons, denen das eigene Ego wichtiger ist als alle Wissenschaft. Willkommen bei Elon und Jeff!
Die mutmaßlich reichsten Männer und damit Menschen auf Erden zieht es in die Umlaufbahnen von »Enterprise« und »Voyager«. Elon Musk, als Chef des Elektromobil-Herstellers Tesla zumindest nominell aufseiten der Guten, und Jeff Bezos, als Chef des Konsum-Multiplikators Amazon schon jetzt fest für die Hölle gebucht, wird die Erde zu klein, weshalb sie unabhängig voneinander opulente Raumfahrtprogramme gestartet haben. Bei Musk heißt es »SpaceX«, bei Bezos »Blue Origin«. Beide sind bereits mit Orbit-Flügen zum Wohle der eigenen Eitelkeit verhaltensauffällig geworden. Beide wollen allerdings noch weiter hinaus, viel weiter.
Dafür haben sie Alliierte gefunden, denen sich Vater und Sohn über knapp 90 Minuten hinweg mit großer Akribie nähern. Bei der Nasa zum Beispiel, wo ein gewisser Mike Foale als früherer Astronaut die technische Machbarkeit extraterrestrischer Besiedelungsfantasien feiert. Oder in Idaho, dem »Mekka für Weltuntergangspropheten«, wie es Werner Herzog mit seiner knarzenden Augsburger-Puppenkiste-Stimme umschreibt. Ein »Futorologe« mit dem sprechenden Namen Marshall Savage redet hier zwar durchaus realitätsbewusst vom drohenden Klimakollaps, rät uns allerdings nicht zu materieller Entsagung. Im Gegenteil: »Wir sollten hier verschwinden, sobald wir können.«
So also sieht er die destruktivste Lebensform, unter der unser Planet je zu leiden hatte, ihr Erbe verwalten: Wenn der Homo sapiens sein Heim in Stücke schlägt, packt er seine Siebensachen und sucht sich was Unverbrauchtes im All. Das ist Eskapismus der Marke Christian Lindner, die Flucht in den Konjunktiv künftiger Technik ohne den Imperativ heutiger Selbstbeschränkung. Wie gut, dass Rudolph Herzog mal in die Keller der interstellaren Luftschlösser blickt, wo er von Extremtemperaturen bis Strahlenbombardements kosmische Lebensbedingungen findet, die irdische Wüsten zu Wohlfühloasen macht. Wobei die wenigstens noch ums Eck liegen.
Der nächstgelegene Himmelskörper dagegen mit allenfalls theoretischer Erdähnlichkeit hieße Proxima Centauri b. Erdentfernung: 4,2 Lichtjahre. Wenn die letzten Neandertaler mit dem bislang schnellsten Fortbewegungsmittel der Menschheit – »Apollo 10« – gestartet wären, hat der bekannte Astronom Gerhard Schwehm mal kalkuliert, »würden sie ungefähr heute landen«. Um früher ans Ziel zu kommen, hätten die grobschlächtigen Höhlenbewohner also besser Albert Einsteins Relativitätstheorie ausgetrickst – und dann immer noch ein ganzes Gebirge voller Rätsel zu lösen.
Nur mal eine Vorauswahl: Wer, bitte schön, soll denn ausersehen sein, das Universum zu kolonisieren? Die Reichsten, Mächtigsten, Stärksten, Klügsten – oder doch nur die reichsten, mächtigsten, stärksten, klügsten Tech-Unternehmer? Dieser sozialen Frage extraterrestrischer Fluchtpläne gehen die Herzogs leider nicht auf den Grund. Alle anderen aber grasen sie mit großer Widerspruchsfreude ab. Vom magischen Antrieb per Antimaterie über den drohenden Inzest transportabler Startpopulationen bis hin zum Konfliktpotenzial jahrelang eingepferchter Kleingruppen: All dies entlarvt die Exit-Option Weltall als Egotrip selbstgerechter Milliardäre.
Auf Werner Herzogs Eingangsfrage, ob die Erde für uns Menschen so klein geworden sei, »dass wir unsere Zukunft in den Sternen suchen müssen«, gibt es nämlich nur eine Antwort: Nein. Die Menschen sind für ihre Erde so groß geworden, dass wir uns allenfalls auf den Mond schießen sollten. Denn weiter weg wäre sündhaft teure, extrem ressourcenintensive Illusion. Leider ist es jedoch eine, die Fantasten wie Elon Musk, den Rudolph Herzog immerhin für ein Interview gewinnen konnte, wider alle Vernunft zu realisieren versuchen. Warum? Weil er es kann. Das Versuchen. Nicht das Realisieren.
Und so bleibt »Letzte Ausfahrt: Weltall« weniger Lösungsansatz als Problembeschreibung. Männer – und es sind ausnahmslos Männer – wie diese, denen »the sky« nicht mehr als »the limit« dient, stellen ihre Expansionsfantasien seit jeher so uneingeschränkt über die Interessen aller anderen, dass unsere Lebensgrundlagen in der Tat kollektives Auswandern erfordern würden. Zu dumm, dass emissionsintensive, materialfressende, demokratiezersetzende Penisprothesen wie »SpaceX« und »Blue Origin« diese Lebensgrundlagen nur noch weiter zerstören.
Am Ende der klugen Doku im Rahmen des Arte-Schwerpunkts »Earth Day«, über den das Publikum nach der Online-Premiere mit Rudolph und Werner Herzog diskutieren konnte, sprechen noch Hawaiis Ureinwohner. Die bewerten das Anthropozän genannte Zeitalter menschlicher Ausbeutung des Planeten naturgemäß anders. Wir sollten, sagt einer von ihnen, »das restliche Universum vor uns schützen«. Gesunder Menschenverstand hat eben nichts mit Kontoständen zu tun.
Zu sehen auf Arte, Sonnabend, 23.4., um 20.15 Uhr und verfügbar in der Arte-Mediathek.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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