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Vergesellschaftung möglich machen
Die am 29. April startende Sozialisierungskommission allein wird es nicht richten, schreibt Linke-Abgeordneter Niklas Schenker
Nach dem überwältigenden Erfolg des Volksentscheids Deutsche Wohnen & Co enteignen soll eine vom Berliner Senat eingesetzte Kommission nun innerhalb eines Jahres die »Möglichkeiten, Wege und Voraussetzungen« der Vergesellschaftung von Grund und Boden privater Immobilienkonzerne prüfen und dabei auch rechtssichere Wege aufzeigen. Auch die Initiative des Volksentscheids beteiligt sich und entsendet drei Expert*innen. Die Kommission kann eine historische Chance bieten, wenn es gelingt, notwendige Vorarbeiten für ein Vergesellschaftungsgesetz zu leisten. Das wird eine Herausforderung.
Juristische Verengung
Niklas Schenker ist seit der Wahl im September 2021 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und Sprecher der Linksfraktion für Wohnen, Mieten, öffentlichen Wohnungsbau, Rad- und Fußverkehr sowie Clubkultur. Zuvor war er seit 2016 Co-Vorsitzender der Linksfraktion in der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf und dort ebenfalls für die Themen Wohnen und Stadtentwicklung zuständig.
Die Kommission ist hochkarätig besetzt und wird dadurch eine mögliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beeinflussen. Dank der SPD sitzen drei explizite Gegner des Vorhabens (allesamt Verfassungsrechtler) in der Kommission. Das Kalkül: Die Vergesellschaftung durch eine angeblich fehlende Verfassungsmäßigkeit gleich zu Beginn der Kommission scheitern zu lassen. Der Untersuchungsauftrag der Kommission sieht vor, zunächst verfassungsrechtliche Fragen zu behandeln. Dabei ist die Verfassungsgemäßheit in zahlreichen Gutachten belegt. Insbesondere durch Teilnahme der Initiative an der Kommission konnte insgesamt ein starkes Gegengewicht zu den von der SPD benannten Experten sichergestellt werden.
Zehn von 13 der Kommissionsmitglieder sind Jurist*innen. Auch wenn die Klärung verfassungsrechtlicher Fragestellungen von grundsätzlicher Bedeutung ist, der im Koalitionsvertrag festgehaltene Untersuchungsauftrag hätte eine stärker interdisziplinäre Zusammensetzung verlangt, um wohnungs- und finanzpolitische Fragestellungen besser bearbeiten zu können. Soll die Kommission der Vergesellschaftung dienlich sein, müssen die praktischen »Wie-Fragen« geklärt werden, also etwa die Entschädigungshöhe, die Struktur und Trägerschaft des Gemeineigentums oder die Bewirtschaftungsziele vergesellschafteter Immobilienbestände. Es muss politisch abgesichert werden, dass der gesamte Untersuchungsauftrag bearbeitet wird.
Das Mindestziel für die Kommission lautet deshalb: herausfinden, was es noch an (juristischen) Gegenargumenten gegen die Vergesellschaftung gibt, diese »herauskitzeln« und entkräften, aber vor allem durch Bearbeitung der praktischen Wie-Fragen zusätzliche Substanz für ein Vergesellschaftungsgesetz produzieren.
Gleichzeitig sollten wir uns gar nicht vollständig von der Kommission abhängig machen, sondern auch eigenständig an einem Vergesellschaftungsgesetz weiterarbeiten und dazu für die öffentliche Debatte weiter Impulse setzen. Schließlich geht es darum, das Möglichkeitsfenster für Vergesellschaftung weiter offenzuhalten, auch über Berlin und den Wohnungssektor hinaus.
Sozialisierung ist eine politische Frage
Mit der Kommission wird der politische Konflikt um die Umsetzung des Volksentscheids ein Stück weit auf ein juristisches Terrain verlagert. Auch auf diesem Terrain müssen wir bestehen. Dennoch: der politische Konflikt bleibt zentral. Es ist ja nicht so, dass der Regierenden Bürgermeisterin nur ein paar stichhaltige juristische Argumente fehlen.
Schon im Koalitionsvertrag konnten wir uns als Linke mit der SPD in zentralen wohnungspolitischen Fragen kaum einigen. Die letzten Monate zeigen: der Konflikt um die Ausrichtung der Berliner Wohnungspolitik spitzt sich zu. Im Kern geht es darum, ob der in den letzten fünf Jahren eingeleitete Kurswechsel in der Wohnungspolitik fortgesetzt oder zugunsten des privaten Immobilienkapitals rückabgewickelt wird. Das gipfelt in einem sogenannten Wohnungsbündnis mit Vonovia & Co, das offen als Alternative zur Vergesellschaftung positioniert wird. Dem gegenüber steht unser Einsatz für eine starke öffentliche Verantwortung beim Wohnen, harte Regulierung und demokratische Mitbestimmung der Mieter*innen. Wir Linken wissen schließlich: soziales Wohnen gibt es nicht geschenkt, an Konfrontation mit privaten Immobilienkonzernen führt kein Weg vorbei. Über der Kommission schwebt diese Grundsatzfrage: Wollen wir dem privaten Immobilienkapital freie Bahn lassen oder privates Kapital verdrängen? Sind Immobilienkonzerne Teil der Lösung oder ein großes Problem?
Um Hegemonie kämpfen
Die Linke ist hier klar entschieden und setzt sich weiterhin als einzige Partei für die Umsetzung des Volksentscheides ein. Politische Mehrheiten für ein Vergesellschaftungsgesetz sind im Abgeordnetenhaus derzeit kaum absehbar. Wir müssen deshalb vor allem um gesellschaftliche Mehrheiten werben. Wollen wir die Auseinandersetzung um Vergesellschaftung gewinnen, dann wird das nur im Schulterschluss mit der Mietenbewegung möglich sein, unserer wichtigsten Koalitionspartnerin. Der Druck auf der Straße, in den Kiezen und im Parlament muss steigen. Die Berliner*innen müssen nachvollziehen können, was in Kommission und Koalition passiert und was dabei unsere Rolle ist. Wir werden verständlich und überzeugend erklären müssen, warum mehr Beton noch keine bezahlbare Miete macht und warum stattdessen Vergesellschaftung rechtlich möglich, finanziell tragbar und wohnungspolitisch dringend notwendig ist, um für dauerhaft bezahlbaren Wohnraum in Berlin zu sorgen. Vergesellschaftung gehört als Thema an den Küchentisch.
Als Linke werden wir als Motor der Umsetzung des Volksentscheids gebraucht. Deshalb dürfen wir keine Zweifel an unserer Vehemenz oder unserem Profil als Interessenpartei der Mieter*innen zulassen. Die Initiative kritisiert auch Die Linke zu Recht für eine mangelnde Einbindung im bisherigen Prozess. Die Kooperation mit der Initiative und anderen Partner*innen der Mietenbewegung muss künftig eine höhere Relevanz und Verbindlichkeit haben. Konflikte in der Koalition sind dabei vorprogrammiert - wir sollten sie nicht scheuen, sondern sie dort, wo es um die Durchsetzung zentraler Projekte linker Wohnungspolitik geht, produktiv provozieren und versuchen, gemeinsam zu gewinnen. Das gilt für die Umsetzung des Volksentscheids, aber etwa auch bei der Fortsetzung des gemeinwohlorientierten Umbaus der landeseigenen Wohnungsunternehmen oder der Unterordnung von Neubauzielen unter »Bezahlbarkeit«, nicht »Quantität«. Dazu kann eine höhere öffentliche Konfliktbereitschaft durchaus dienlich sein, um Konflikte und Entscheidungsmomente sichtbar zu machen und sie so überhaupt erst an »den Küchentisch« zu holen.
Der Umgang mit dem Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen ist eine Sollbruchstelle unserer Regierungsbeteiligung. Ein »Koalitionsbruch« ist kein Selbstzweck und muss wohlüberlegt sein. Doch bei Deutsche Wohnen & Co enteignen geht es eben ums Ganze.
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