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Wie Armut gemacht wird
Hartz-IV-Empfänger sollen 200 Euro mehr erhalten. Reicht das, um die Teuerung auszugleichen?
Angesichts der anziehenden Inflationsrate hat die Bundesregierung in den vergangenen Wochen in ihren beiden Entlastungspaketen beschlossen, dass Grundsicherungsbeziehende insgesamt 200 Euro zusätzlich erhalten sollen. Nicht monatlich, sondern einmalig. Dieses Geld soll dazu dienen, die Belastungen durch die stark gestiegenen Verbraucherpreise abzufedern. Sozialverbände kritisieren dies als völlig unzureichend. Wir haben nachgerechnet: Tatsächlich kann die Inflation damit nicht in allen Bereichen ausgeglichen werden. Doch es gibt noch einen anderen Grund, warum 200 Euro nicht reichen.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Die Hartz-IV-Sätze umfassen unterschiedliche Ausgabenpositionen. Beispielsweise sind für Lebensmittel und alkoholfreie Getränke für einen alleinlebenden Erwachsenen 155,82 Euro im Monat vorgesehen. Im März sind laut Statistischem Bundesamt die Preise für Lebensmittel im Vergleich zum Vorjahresmonat um 6,2 Prozent gestiegen. Expertinnen und Experten zufolge könnte das erst der Anfang der Erhöhungen sein. Geht man davon aus, dass es im Schnitt jeden Monat in diesem Jahr eine solch hohe Inflation gibt, brauchen Grundsicherungsbeziehende allein 116 Euro zusätzlich, um die gestiegenen Kosten für Lebensmittel auszugleichen. Nicht berücksichtigt ist dabei, dass viele Nahrungsmittel bereits im vergangenen Herbst teurer geworden sind. Besonders viel kostet in den letzten Monaten Gemüse - aktuell fast 15 Prozent mehr als noch vor einem Jahr.
Für die monatliche Stromrechnung sind im Regelsatz für Alleinstehende 38,07 Euro vorgesehen. Von diesem Betrag müssen auch noch die Kosten für Wohninstandhaltung beglichen werden, aber dies sei zunächst einmal außen vor gelassen. Die Stromkosten sind um 17,7 Prozent gestiegen. Um das ausgleichen zu können, brauchen Grundsicherungsbeziehende auf das ganze Jahr gerechnet rund 81 Euro zusätzlich. Was hier noch nicht einbezogen ist: Viele Betroffene haben alte Elektrogroßgeräte mit hohem Energieverbrauch. Schlicht deshalb, weil für bessere Geräte kein Geld da ist.
Wofür die 200 Euro reichen
Die 200 Euro der Bundesregierung reichen also gerade einmal aus, um über ein Jahr gesehen die Preissteigerungen für Lebensmittel und Strom auszugleichen. Sofern die Preise nicht noch weiter erhöht werden. Und auch nur dann, wenn man den statistisch festgelegten Ausgabenposten Glauben schenkt. Um sich einigermaßen gesund ernähren zu können, sind viele Menschen in Hartz IV jedoch gezwungen, mehr als die im Regelsatz vorgesehenen 155 Euro für Lebensmittel auszugeben. Manche versuchen, das Missverhältnis durch Besuche bei der Tafel auszugleichen. Verteuerungen gibt es aber auch in anderen Bereichen als beim Strom und Essen. Etwa in der Gesundheitspflege, bei Dienstleistungen und bei Ausgaben für Freizeit, Unterhaltung und Kultur. Dies sind alles auch Posten, die in den Hartz-IV-Sätzen vorgesehen sind. Einen Inflationsausgleich gibt es hierfür allerdings nicht. Die 200 Euro Einmalzahlung ist also zu gering, um alle Preiserhöhungen auszugleichen.
Hinzu kommt: Bereits vor dem jüngsten Anstieg der Inflation waren die Hartz-IV-Sätze viel zu niedrig bemessen. Ermittelt werden diese alle fünf Jahre in der sogenannten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS). Dafür werden in der EVS die Einkünfte der unteren 15 Prozent der Bevölkerung als statistische Grundlage genutzt. Einbezogen sind auch diejenigen Haushalte, die selber einen - nicht genutzten - Anspruch auf Sozialleistungen haben. Menschen, die unterhalb des Existenzminimums leben, werden also für die Berechnung von Grundsicherungsleistungen herangezogen.
Was in der Grundsicherung fehlt
Bei den Ausgaben dieser niedrigsten 15 Prozent streicht das Bundesministerium für Arbeit und Soziales noch einmal etwa ein Drittel, um auf die Hartz-IV-Sätze zu kommen. Begründet wird dies damit, dass die gestrichenen Ausgaben nicht zum Existenzminimum zählten. Darunter fallen etwa Geburtstagsgeschenke, Zugtickets für den Besuch bei der Familie und Futter für das Haustier.
Menschen in der Grundsicherung haben also unabhängig davon, dass die Inflation zuletzt auf ein 40-Jahreshoch gestiegen ist, weniger Geld zur Verfügung, als sie für ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Teilhabe benötigen. So hat die Forschungsstelle des Paritätischen Gesamtverbandes Anfang 2022 berechnet, dass der Regelsatz für einen alleinstehenden Erwachsenen statt der aktuell 449 Euro im Monat eigentlich 678 Euro betragen müsste. Dann wäre das soziokulturelle Existenzminimum abgesichert. Also jeden Monat mehr als 200 Euro zusätzlich.
Die Bundesregierung sieht zum Beispiel in dem Regelbedarf für einen Alleinstehenden kein Geld für Versicherungen wie Haftpflicht oder Hausrat vor, der Paritätische setzt hier 22,40 Euro im Monat an. Für Alkohol und Tabak ist ebenfalls nichts vorgesehen, laut dem Sozialverband sollten dafür 23,30 Euro im Regelsatz berücksichtigt werden. Für Freizeit, Unterhaltung und Kultur müsste es der Expertise des Paritätischen zufolge 93,60 Euro im Monat geben, fast 50 Euro mehr als aktuell. All das wurde vor den enormen Preissteigerungen berechnet.
Aber selbst wenn man - wie wohl die Ampel-Koalition - davon ausgeht, dass bis zu den starken Preissteigerungen die Hartz-IV-Sätze ausreichend waren, gehen die 200 Euro Einmalzahlung aus den Entlastungspaketen an der Realität vorbei. Das Geld reicht für Menschen in der Grundsicherung nicht einmal aus, um ihren bisherigen Lebensstandard zu halten. Stattdessen werden sie noch weiter unter die Armutsgrenze gedrängt. Wer in Armut lebt, kann nicht auf Rücklagen zurückgreifen. Ein Verzicht auf nicht unbedingt notwendige Ausgaben ist nicht möglich. Es ist sowieso nur Geld für die Grundversorgung vorhanden.
Für Betroffene bedeutet die aktuelle Situation noch größere Armut: noch weniger von dem teuren Gemüse kaufen zu können, noch weniger am sozialen und kulturellen Leben teilzunehmen. Das entscheidende Problem ist, dass die Regierung Menschen in der Grundsicherung schon lange zu wenig Geld zubilligt.
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