Im Griff von Vonovia

Für den Immobilienkonzern aus Bochum zählt nur die Rendite. Politiker, Aktivisten und Verbände diskutierten über mehr Mieterschutz

Für viel Heiterkeit sorgten "ehrliche" Vonovia-Plakate am Rand der Demostrecke.
Für viel Heiterkeit sorgten "ehrliche" Vonovia-Plakate am Rand der Demostrecke.

»Sanieren, bis der Pöbel draußen ist« steht auf Plakaten, die im Stil einer Vonovia-Werbung gehalten und am Samstagmorgen an vielen Bushaltestellen in Bochum zu sehen sind. Weiter heißt es da: »Was zählt, ist die Rendite. Daher befördern wir alle auf die Straße, die sich unsere Fantasie-Mieten nicht leisten können. Modernisierung mit Arschloch-Faktor. Ihre Vonovia.« Zu der Kommunikationsguerilla-Aktion bekennt sich der Bochumer Ableger des Klimagerechtigkeitsbündnisses Ende Gelände. Man wolle dem Immobilienkonzern helfen, seine eigenen »Transparenzansprüche umzusetzen«, heißt es augenzwinkernd von einer Sprecherin der Gruppe.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Ein paar Kilometer außerhalb der Bochumer Innenstadt, im Kulturzentrum Bahnhof Langendreer, einer Institution der Alternativkultur im Ruhrgebiet, sorgen die Vonovia-Plakate für viel Freude. Am Samstagmorgen laufen hier Workshops beim Gipfel der bundesweiten Mietenstopp-Kampagne. Telefone mit Bildern der Plakate werden herumgereicht, Menschen flüstern einander zu, wie gut ihnen die Plakate gefallen. Teilnehmer*innen des Gipfels aus Bochum freuen sich auch über die Grafik eines VfL-Bochum-Trikots mit dem Schriftzug »Vonovia Enteignen«. »Wenn es das wirklich gäbe, würde ich es sofort kaufen«, sagt jemand.

Lange ablenken lassen sich die Teilnehmer*innen davon aber nicht. Sie haben für drei Tage ein volles Programm. Den Auftakt des Kongresses bildete am Freitag die Podiumsdiskussion »Faire Mieten – Fehlanzeige! Wie verhindern wir den Systemkollaps?« Das Podium ist hochkarätig besetzt. Cansel Kiziltepe (SPD), Staatssekretärin im Bundesbauministerium, erklärt, dass zivilgesellschaftliche Initiativen beim Thema Wohnen »unverzichtbar« seien. Man wolle diese auch stärker einbinden. So richtig glauben wollen ihr die anderen Diskutanten das nicht. Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes (DMB), sagt in Richtung der Staatssekretärin, sein Verband sei »vom Koalitionsvertrag sehr enttäuscht« gewesen. Die FDP habe sich durchgesetzt, es gebe keine echte Begrenzung von Mieterhöhungen.

Auch müssten endlich mehr Sozialwohnungen gebaut werden. Der Stadtsoziologe Andrej Holm ist sich sicher, dass private Vermieter keine günstigen Wohnungen zur Verfügung stellen werden. Er sieht den Staat in der Pflicht, mehr zu tun. Ansatzpunkte sind für Holm eine stärkere Marktregulierung, etwa über einen Mietendeckel. Auch die nur befristete Preisbindung im sozialen Wohnungsbau sei ein Problem. Für Holm ist klar, dass »Wohnungsbestände aus der Verwertungslogik« herausgenommen werden müssen. Er findet es wichtig, dass auch utopisch wirkende Forderungen gestellt werden. Und erinnert daran, dass vor fünf auch noch niemand geglaubt hätte, dass eine Kampagne wie die in Berlin für die Enteignung des mittlerweile mit Vonovia fusionierten Konzerns Deutsche Wohnen erfolgreich sein könne.

Aus Sicht von Elke Schmidt-Sawatzki vom Paritätischen Wohlfahrtsverband wird »zu viel über Berlin gesprochen«. Man müsse auch darüber reden, wie die Zivilgesellschaft auf dem Land stärker eingebunden werden kann. Auch da habe sich das Mietenproblem in den letzten Jahren verschärft. Für marginalisierte Gruppen wie ehemalige Häftlinge oder Geflüchtete sei es richtig schwierig, an Wohnungen zu kommen. Außerdem müsse das Thema gerade dort auch mit der Mobilitätsfrage verbunden werden.

In der Debatte darum, wie weitgehend Vorschläge der Mieter*innenbewegung sein dürfen, rät Staatssekretärin Kiziltepe von »Maximalforderungen« ab. Diese könnten schließlich nicht umgesetzt werden. Das Wesen der Demokratie sei der Kompromiss, so die SPD-Politikerin. Von den anderen Podiumsteilnehmern wird ihr zwar guter Wille zugestanden, aber nicht geglaubt, dass es mit dieser Bundesregierung Durchsetzungsoptionen für einen Mietenstopp gibt.

Viele Teilnehmer*innen des Mietenstoppgipfels streben am Samstagmittag in die Bochumer Innenstadt. Ein No-Vonovia-Bündnis hat zur Demonstration aufgerufen. Anlass ist die Hauptversammlung des Wohnungskonzerns am 29. April. Die Demo führt zur Unternehmenszentrale. Wie stark Vonovia Bochum prägt, erzählt Mattea Mentges vom Bochumer Netzwerk Stadt für Alle: »Einen Konzern, der das Gesicht der Stadt stark mitbestimmt, hatten wir hier schon einmal. Das Unternehmen Opel sorgte dafür, dass Bochum Autostadt wurde.« Mentges befürchtet eine Wiederholung »unter den Vorzeichen des Immobilienkapitals«. Vonovia verfüge über beste Verbindungen in die Politik. Das Fußballstadion trägt schon den Namen des Konzerns. Dabei seien die Probleme, für die Vonovia verantwortlich ist, im Ruhrgebiet dieselben wie in boomenden Städten. Die Mieten seien zwar noch geringer, »die Mietbelastung aber genauso hoch wie in Köln oder Düsseldorf«. Besonders große Familien fänden kaum noch angemessenen und bezahlbaren Wohnraum.

In Redebeiträgen bei der Demonstration wird auch auf Probleme anderer Gruppen auf dem Wohnungsmarkt aufmerksam gemacht. Der Vertreter einer Migrantifa-Initiative schildert, wie schwer es von Rassismus Betroffene haben, eine Wohnung zu bekommen. In einem anderen Beitrag geht es um die Situation von Flinta-Personen (Flinta: Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender). Für Begeisterung sorgt eine 30-köpfige Reisegruppe der Kampagne Deutsche Wohnen & Co. enteignen aus Berlin. Die Kampagne ist für viele Demonstrant*innen ein Vorbild. Bunt, laut, kreativ – so wollen sie auch sein. Ganz funktionieren will das am Samstag in Bochum nicht. Die Wegstrecke bis zu Vonovia ist weit, viele Reden sind lang und enthalten ähnliche Forderungen und Fakten.

Die Aufmerksamkeit steigt bei den internationalen Redebeiträgen. Eine Vonovia-Mieterin aus Stockholm erzählt vom Vorgehen des Konzerns in der schwedischen Hauptstadt. Dort habe er günstige Wohnungen gekauft, sie mit allerlei Mängeln modernisiert und die Mieten erhöht. Das Kalkül sei klar, so die Rednerin: Arme Leute wehren sich selten. Das will sie ändern. Ein Aktivist aus Amsterdam berichtet, auf dem niederländischen Markt sei Vonovia seit zwei Jahren aktiv. Auch dort steigen die Mieten. Ende Mai soll es eine Großdemonstration in Amsterdam geben. Die deutsche Mieter*innenbewegung trifft sich gleizeitig zu einer »Enteignungskonferenz« in Berlin.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.