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Nach Weimar
Spaß und Verantwortung: Ein Ausflug in eine Modellstadt
Direkt an einer großen deutschen Autobahn liegt der sogenannte »Snow Dome« - eine 23 000 Quadratmeter große, überdachte Skihalle, die eine 300 Meter lange Skipiste, drei Skilifte und, darunter gelegen, ein Hotel und ein Restaurant umfasst: das »Hofbräuhaus«. Die niedersächsische Version verkauft dieselben Produkte, wie man sie auch im Münchner Original findet: Weißwürstl, Gulaschsuppe vom Ochsen, Schweinshaxe, Wurstsalat und Obazda, aber auch (dem Norden angemessen) die Hofbräu-Currywurst.
All das gibt es zwar zum Originalpreis, aber dafür in Raststättenqualität. Die Fassade des weißen Schlösschens ist zweidimensional - eine bedruckte, sehr wetterresistente Plane, auf der über dem Dach der falschen Habsburger Architektur sogar noch, hoffnungsvoll, der hellblaue Himmel abgebildet ist.
Obwohl die Piste eher für Skianfänger*innen gemacht ist, ist sie dennoch steil genug, um neben dem Hotel und dem »Hofbräuhaus« auch noch einer gigantischen Miniaturwelt unter sich Platz zu bieten. Das riesige Modell wird, so sagen es Gerüchte, von einem reichen Ex-Sportler finanziert - einem (anonymen) Boxer, so sagt man. Betrieben wird sie allerdings von verschiedenen Menschen, die permanent oder saisonweise in dem zum »Hofbräuhaus« gehörenden Hotel wohnen - einer der Modellbauer lebt sogar in einem Trailer auf dem Gelände und druckt dort mit seinem privaten 3D-Drucker Teile aus, die er dann in das Modell einbaut.
Es handelt sich um die anarchische kleine Schwester des Hamburger »Miniatur Wunderlandes«: Die Modellwelt unter dem »Snow Dome« vermischt verschiedene Kulturen miteinander - und auch »Welten«, die eher fantastischer Natur sind, sind dort vertreten.
Auch die Dimensionen sind nicht ganz maßstabsgerecht - dafür sind es die Arbeitsbedingungen: Im »Hofbräuhaus« kriegt man als »Modellbauwelt«-Mitarbeiter*in ein frisch gezapftes Bier für einen Euro. Allerdings bekommt man, sofern man dort arbeitet, kein zweites Bier. Warum, das weiß niemand, aber es scheint in der Vergangenheit »Vorfälle« gegeben zu haben. Zumindest bekommen die Mitarbeiter*innen der Skihalle und des »Verrückten Hauses« so viele Ein-Euro-Biere, wie sie möchten. Das »Verrückte Haus« ist ein auf dem Kopf stehendes, für eine normative Nuklear-Familie konzipiertes Einfamilienhaus, eine Attraktion für Kinder.
All das weiß ich allerdings nur aus Erzählungen - denn mein Ausflug in dieses Autobahnparadies am vergangenen Wochenende fiel leider ins Wasser. Stattdessen fuhr ich in eine andere, »echte« Miniaturwelt, in der einem jedes zweite Haus einigermaßen »verrückt« vorkommt. Ich fuhr nach Weimar - die Stadt, in der ich meine halbe Kindheit und gesamte Jugend verbracht hatte. Ich war seit meinem Abitur vor genau elf Jahren nicht mehr dort gewesen und hatte die Stadt in meiner Erinnerung (und vielleicht im starken Kontrast zu Berlin-Kreuzberg) als »ostdeutsche Kleinstadt« verbucht.
Tatsächlich bot sich mir schon beim Ankommen am »Kulturbahnhof« ein Bild, das mich eher an mediterrane Idyllen erinnerte: Das hellgelbe Sonnenlicht hatte eine ganz andere Qualität als die Berliner Sonne, auch weil es von einer sanften Brise begleitet war, die dem Ganzen fast ein Feeling verlieh, als wäre man am Meer. In der Innenstadt saßen Leute Aperol Spritz trinkend auf den Bürgersteigen; es fuhren kaum Autos, stattdessen Pferdekutschen. Ich bestellte selbst einen Aperol Spritz - es dauerte gute 30 Minuten, bis ich ihn in der Hand hatte, was mich aber überhaupt nicht störte, denn hier hatte man plötzlich Zeit.
Die ganze Dolce-Vita-Atmosphäre ließ mich sogar kurz meinen Schmerz darüber vergessen, nicht bei der Eröffnung der Biennale di Venezia sein zu können - wo sich im Augenblick mein ganzer Freundeskreis (vor allem meine gesamte Instagram-Bubble) aufzuhalten scheint. Ich erinnerte mich daran, dass in meiner Kindheit auch hier ein Modell gestanden hatte: Im malerischen Park an der Ilm war Goethes Gartenhaus verdoppelt - und damit zu einer interaktiven Installation erklärt worden. Man konnte sich nun in Goethes erschreckend kleines und hartes Bett legen und sich auf die täuschend echt wirkende Replik des Stehhockers setzen, auf dem er, so sagt man, große Teile seines Werkes verfasst hatte.
Spätestens als ich mich zufällig auf meinem Weg in den »Falken« (eine Zimmermannskneipe, in der ein großes »Ehringsdorfer« zumindest auch nur zwei Euro kostet) kurzzeitig einer Nachtstadtführung anschloss, die von einem im Stil der Weimarer Klassik kostümierten Stadtführer mit Laterne in der Hand geleitet wurde, fing ich an, mich zu fragen, was in dieser Stadt überhaupt original war - und was nur ein »Modell«. Sogar der durchtrainierte Mann an der Bar, der sagte, er würde mich noch vom Schulhof kennen, kam mir fast ein bisschen zu schön vor, um echt zu sein.
Am nächsten Morgen regnete es, und die Stadt wirkte sofort wieder wie eine »normale« ostdeutsche Kleinstadt.Trotzdem spiele ich seitdem mit dem Gedanken, mich für eine Schreibresidenz in der 62 000-Einwohner-Stadt zu bewerben, auf Goethes Spuren sozusagen. Vielleicht kann man dann bald Kolumnen aus der mediterranen ostdeutschen Kleinstadt lesen.
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