Ärger mit der völkischen Ex-Vorsitzenden

Frühere Parteichefin Sayn-Wittgenstein setzt die AfD Schleswig-Holstein im Wahlkampf unter Druck

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Jörg Nobis hat derzeit keinen Grund, sich zu beschweren. Passiert in den nächsten eineinhalb Wochen keine große Überraschung, dann zieht die AfD mit hoher Wahrscheinlichkeit zum zweiten Mal in ihrer noch jungen Geschichte in den Kieler Landtag ein. In Umfragen steht die Partei seit Monaten stabil bei 6 Prozent. Es wäre damit fast das gleiche Ergebnis wie vor fünf Jahren, als die AfD auf 5,9 Prozent kam. In anderen Parteien würde solch eine Stagnation für erheblichen Unmut sorgen, bei dieser ist es viel mehr Ausdruck davon, dass die Kernwählerschaft Skandale und öffentlich ausgetragenen Streit verzeiht. Davon gibt es in der AfD Schleswig-Holstein jede Menge.

Jörg Nobis lächelt sämtliche Skandale im Wahlkampf bisher gekonnt weg. Dies gelingt dem Spitzenkandidaten auch deshalb, weil es einige Lokalmedien dem 46-Jährigen manchmal leicht machen. »Der Kandidat mit dem Bernsteinherz« überschrieb die »Schleswig-Holsteinische Zeitung« ein Porträt, für das sich ein Journalist mit dem AfD-Politiker zu einem Strandspaziergang in Sankt Peter-Ording getroffen hatte. Der NDR bestieg gemeinsam mit Nobis den Leuchtturm Kiel-Holtenau. Dies tat der öffentlich-rechtliche Sender zwar mit den Spitzenkandidat*innen aller aktuell im Landtag vertretenen Parteien, um harte Politik ging es dabei aber nur am Rande. Immerhin wissen Zuschauer*innen jetzt: Nobis, Schiffsbetriebstechniker und Kapitän, liebt die Seefahrt und das Meer. Mit einer anderen Äußerung würde der AfD-Politiker im Küstenland Schleswig-Holstein auch unangenehm auffallen.

Rhetorisch vermeidet die Partei allzu scharfe Wahlkampfauftritte, ihre politischen Forderungen sind altbekannt: Ausweisung von Ausländer*innen selbst bei geringfügigen Straftaten und die Abschaffung aller Corona-Maßnahmen. Großes Thema für die AfD im Norden ist die Windenergie, deren Ausbau die Partei an Land massiv beschränken will. Statt der bisher geltenden Abstandsregelung von 1000 Metern zur nächsten Wohnbebauung fordert die Partei einen Mindestabstand von 2,5 Kilometern. Ihre Alternative? Der Bau neuer Kernkraftwerke.

Jenseits ihrer Programmatik gibt die AfD genug Anlass, dem in ihrem Wahlwerbespot verkündeten Anspruch, eine »starke Opposition im Landtag« sein zu wollen, zu misstrauen. Im September 2020 verlor die AfD ihren Fraktionsstatus, nachdem der Abgeordnete Frank Brodehl seinen Austritt erklärt hatte. Damals stellte er fest: Im Landesverband herrsche ein »völkisch-nationalistischer Grundton« vor. Tatsächlich drehen sich viele Querelen immer wieder um eine Abgeordnete aus dem völkisch-nationalistischen Lager, die nicht nur Nobis längst loswerden wollte. Obwohl 2019 aus der Partei ausgeschlossen, kann die frühere Landesvorsitzende Doris von Sayn-Wittgenstein weiter auf einige Unterstützer*innen zählen. Dies erklärt auch, warum die Politikerin im Februar für Platz zwei der AfD-Landesliste kandidierte, was laut Satzung erlaubt ist. Mit 77 zu 120 Stimmen unterlag die Parteilose ihrem Konkurrenten Kurt Kleinschmidt.

Sayn-Wittgensteins politischer Schatten lähmt die AfD auch im politischen Tagesgeschäft. Seit die Adlige 2019 aus der Partei ausschied, konnte der Landesvorsitz trotz wiederholter Versuche nicht neu besetzt werden. Überhaupt ist Sayn-Wittgensteins aktueller Status fragwürdig: Juristisch ging sie gegen ihren Parteiausschluss vor, im April letzten Jahres entschied das Landgericht Berlin, dass der Rauswurf unzulässig war. Auf ihrer Website behauptet die 67-Jährige, seit 2016 Mitglied der AfD zu sein. Anders sieht es dagegen der schleswig-holsteinische Landesverband: In einem Bericht auf der Website über die Aufstellungsversammlung zur Landtagswahl steht, die frühere Landesvorsitzende sei »aktuell nicht Parteimitglied«.

Seit ihrer Niederlage auf dem Parteitag wächst der Eindruck, Sayn-Wittgenstein wolle den AfD-Wahlkampf torpedieren. Vor einigen Tagen deutete die parteilose Abgeordnete auf Grundlage einer von ihr an die Landesregierung gestellten Kleinen Anfrage an, dass es unter den AfD-Kandidat*innen und Mandatsträger*innen Spitzel des Verfassungsschutzes geben könnte. Grundlage dieser Vermutung ist die Antwort des Innenministeriums, das »unter Verweis auf mögliche Gefährdungen des Staatswohls« keine Auskunft erteilt. Formal handelt es sich dabei um eine Standardfloskel, die keinen wirklichen inhaltlichen Rückschluss zulässt.

Was jedoch stimmt: Laut Antwort gab es Kontaktaufnahmen des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) zu Parteimitgliedern »mit dem Ziel, die verfassungsfeindlichen Bestrebungen eines völkisch-nationalistischen Personenzusammenschlusses in der AfD aufzuklären«. Gemeint sein dürfte der formal aufgelöste »Flügel«, dem auch Sayn-Wittgenstein nahesteht. In der Antwort heißt es ebenso, dass die AfD Schleswig-Holstein kein Beobachtungsobjekt des LfV ist.

Die dürftigen Antworten reichten aus, um politischen Wirbel auszulösen. Karin Kaiser, AfD-Mitglied und Professorin für Betriebswirtschaftslehre, stellte beim Landeswahlleiter den Antrag auf eine Verschiebung der Landtagswahl. Eine Antwort ist nicht bekannt. Sayn-Wittgenstein erklärte ihrerseits, sie halte Partei für nicht wählbar.

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