»Die Natur muss wieder ins Bewusstsein der Leute kommen«

Der Münchner Unternehmer und Umweltschützer Hans Leo Bader setzt sich für die Rechte der Natur ein

  • Inga Dreyer und David Schmidt
  • Lesedauer: 8 Min.
Hans Leo Bader
Hans Leo Bader

Sie setzen sich mit Gleichgesinnten dafür ein, dass Rechte der Natur in der Bayerischen Landesverfassung verankert werden. Wie soll das aussehen?

Hans Leo Bader
Hans Leo Bader ist Initiator des bayerischen Volksbegehrens »Rechte der Natur«. Der Unternehmer fordert, den Schutz der Ökosysteme in den Verfassungen der deutschen Bundesländer sowie im Grundgesetz zu verankern. Schirmherr des Projekts ist der ecuadorianische Wirtschaftswissenschaftler und Politiker Alberto Acosta Espinosa – sein Land räumt Ökosystemen seit 2008 das Recht ein zu existieren, sich zu entwickeln und zu entfalten; jede*r Bürger*in kann stellvertretend für ein Ökosystem klagen. In anderen Ländern wie etwa Peru oder regional den USA gibt es einzelne Flüsse und Berge, in deren Namen geklagt werden kann. In Spanien hat vergangene Woche das Parlament beschlossen, dass die durch Landwirtschaft verdreckte Salzwasserlagune Mar Menor eine Rechtspersönlichkeit werden solle.

Das Prinzip sollte nicht sein, dass so wie im Individualrecht ein einzelner Baum die Möglichkeit hat, den Staat zu verklagen. Es geht darum, dass gesamte Ökosysteme in ihrer Funktionalität erhalten werden sollen. Gerne werden Einwände angebracht wie: Wenn in München in der Gotthardstraße Bäume gefällt werden sollen, könnte dann einer von ihnen kommen und seine Existenz einklagen. Aber darum geht es nicht. Ziel ist auch nicht, dass mein Nachbar mich des Mordes anklagen kann, wenn ich auf einen Käfer trete.

Was fordert das Volksbegehren konkret?

Wir fordern die Rechtssubjektivität für die natürliche Mitwelt, also das, was wir als Natur begreifen. Dafür müsste in der Landesverfassung Bayerns in einem ersten Schritt Artikel 101 geändert werden, der aktuell lautet: »Jedermann hat die Freiheit, innerhalb der Schranken der Gesetze und der guten Sitten alles zu tun, was anderen nicht schadet.« Das müsste um einen Beisatz erweitert werden: Jede*r soll die Freiheit haben, alles zu tun, was den Rechten anderer und den Rechten der natürlichen Mitwelt nicht schadet.

Ich denke, für den*die Normalbürger*in ändert diese Erweiterung erst mal nichts. Es wird eine Zeit dauern, bis die Gerichte sich daran anpassen und das »Recht der Natur«, also den Erhalt unserer Lebensgrundlagen, in ihre Entscheidungsfindung integrieren.

Wie sind Sie auf das Thema gekommen?

Ich habe bei »Krautreporter« einen Text gelesen, in dem es um Rechte für Pflanzen ging. Ich habe mich dann intensiver mit dem Thema beschäftigt und bin auf Klaus Bosselmann gestoßen, einen Jura-Professor aus Neuseeland, der darüber geschrieben hat. Parallel lief in Bayern gerade unser Volksbegehren »Rettet die Bienen«. Und da hab ich mir gedacht: Warum nicht das Gleiche für die Rechte der Natur machen?

Was haben Sie gedacht, als Sie das erste Mal von Rechten der Natur gelesen haben?

Am Anfang fand ich das eher lustig. Aber inzwischen habe ich mich intensiver damit beschäftigt, und für mich steht fest: Der Raubbau an der Natur kann so nicht weitergehen. Am Ende geht es dabei um uns selber, das darf man nicht vergessen. Wenn wir unsere Lebensgrundlagen kaputtmachen, werden wir nicht überleben.

Ich bin kein Jurist. Doch inzwischen glaube ich: Genauso wie Frauen irgendwann Rechte bekommen haben, die sie früher nicht hatten, genauso braucht die Natur Rechte, damit die Lebensgrundlagen für die Menschen geschützt werden. Kinder haben ja auch Rechte, die sie nicht selber umsetzen können. Sie brauchen jemand anderen, der diese für sie geltend macht. So ist es auch bei der Natur.

Was bedeutet Natur für Sie persönlich?

Für mich persönlich ist Natur ein Zusammenwirken aller Ökosysteme, eigentlich ist es der gesamte Planet. Der Mensch ist ein Teil davon. Ein kleines Ökosystem innerhalb des gesamten Ökosystems. Für mich ist das Schlimmste, was in unserer Natur passiert, dass große Industrien sich durch das Verbrennen von Öl Besitz an der Atmosphäre verschaffen.

Sie sind Unternehmer. Welchen Bezug haben Sie zum Natur- und Klimaschutz?

Für mich läuft das Thema Nachhaltigkeit immer mit. Einerseits, weil es mir wahnsinnigen Spaß macht, mich dafür einzusetzen, und andererseits, weil gerade im Bausektor unglaublich viel erreicht werden muss.

Beton ist einer der größten CO2-Treiber, und wahrscheinlich 50 Prozent allen Mülls entsteht am Bau. Ich arbeite mit einem Partner zusammen im Bereich der städtebaulichen Entwicklung. Wir haben vor ein paar Jahren eine Erfahrung gemacht, die mich dazu bewogen hat, diese Themen voranzutreiben. Wir wollten damals für eine Stadt einen Bau nach nachhaltigen Kriterien errichten - nicht nur als Marketing-Gag, sondern wirklich. Die Stadt hatte sich damals den »Sustainable Development Goals« der Vereinten Nationen verpflichtet, in denen es ja auch um Nachhaltigkeit geht.

Später aber hieß es, die Kriterien seien ja rechtlich nicht bindend. Zu dem Projekt kam es dann nicht. Das zeigt, auf freiwilliger Basis wird es keine grundlegende Veränderung geben. Von daher ist es auch Eigennutz, die rechtlichen Rahmenbedingungen für nachhaltigen Bau zu schaffen.

Aber letztendlich profitieren alle Menschen davon?

Ja, wir verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz. Mein Geschäftspartner hat eine sogenannte Stadtrendite-Matrix entworfen, mit der Projekte beurteilt werden können. Wenn eine Stadt zum Beispiel einen Käufer für ein Grundstück sucht, kann man die Ziele der verschiedenen Projektträger, die sich bewerben, in diese Matrix eintragen. Wir können dann sagen: Okay, liebe Stadt, du kannst Projektentwickler Nummer 4 deshalb nehmen, weil der für die nachhaltigste Stadtrendite sorgt. Dabei zählen nicht nur Geld, sondern auch soziale und ökologische Aspekte. Das können die Stadträt*innen dann gewichten und bewerten.

In unserem System zählt momentan ausschließlich der kurzfristige ökonomische Nutzen. Aber für eine Stadt zählt auch die Zukunft. Das versuchen wir einzukalkulieren.

Wie ist der Stand des Volksbegehrens? Wie viele Unterschriften haben Sie schon gesammelt?

Wir haben momentan 50 Leute, die sammeln, aber wir haben keinen Überblick darüber, wie viele Unterschriften wir schon haben. In Bayern ist es so, dass man erst mal sammeln kann, so lange man will, und wenn Sie die ersten Unterschriften bei einer Gemeinde einreichen, dann fängt eine Zwei-Jahres-Frist an, innerhalb derer Sie 25 000 gültige Unterschriften präsentieren müssen.

In der nächsten Stufe, beim Volksbegehren selbst, bräuchten wir dann 10 Prozent der Bevölkerung in Bayern, das sind eine Million Unterschriften. Kommt es dann zum Volksentscheid, brauchen wir die einfache Mehrheit sowie ein Quorum von mindestens 25 Prozent aller Wahlberechtigten.

Glauben Sie, dass es klappt?

Wir sammeln jetzt erst einmal, bis wir 250 000 oder 300 000 Unterschriften haben, um in die nächste Phase zu gehen. Wir werden in den nächsten zwei, drei Jahren schauen, wie viele wir schaffen. Das Bienen-Volksbegehren hatte am Anfang knapp 96 000 Unterschriften, am Ende 1,8 Millionen. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob das wieder klappt. Vielleicht scheitert es auch grandios, aber wir werden auf alle Fälle weitermachen.

Unter Bienensterben können sich wahrscheinlich viele Menschen etwas vorstellen - wie ist es bei den Rechten der Natur?

Das Thema ist nicht so ganz einfach, weil man sich einarbeiten muss, um zu verstehen, worum es geht. Ein Freund von mir hat vor zwei Jahren noch gesagt: »Das kannst du vergessen, das versteht kein Mensch.« Aber heute ist er an vorderster Front mit dabei. Er hat sich damit beschäftigt und bemerkt, was man bewegen könnte, wenn man die Rechte der Natur wirklich in die Verfassung bringt.

Ich glaube, das ist ein Prozess, der Zeit braucht. Die Natur muss wieder ins Bewusstsein der Leute kommen. Dafür haben wir Vorträge vorbereitet, mit denen wir in die Gemeinden vor Ort gehen und den Leuten erzählen, was Rechte der Natur bewirken.

Wer engagiert sich in der Initiative?

In Bayern sind wir sechs Ehrenamtliche mit unterschiedlichen beruflichen Hintergründen. Der besagte Freund ist Banker bei einer Privatbank. Eine von uns unterstützt Unternehmen im Bereich Nachhaltigkeit, ein anderer war früher Journalist beim Bayerischen Rundfunk. Auch die Tierschutzpartei unterstützt uns mit sehr aktiven Leuten.

Gibt es Gegner*innen Ihres Projektes?

Bisher Gott sei Dank noch nicht, aber ich glaube, wir werden scharfen Gegenwind bekommen, denn dadurch ändert sich einiges für Unternehmen. Professor Bosselmann hat mal gesagt: Wenn die Rechte der Natur kommen, kann es sein, dass es bestimmte Produkte einfach nicht mehr geben wird, weil sie die Natur zerstören.

Welche könnten das sein?

Jedes Produkt hätte im Grunde den Beweis zu erbringen, dass es naturverträglich ist - und wenn es nicht naturverträglich ist, dann müsste es eben entsprechend angepasst werden. Das können Sie im Grunde auf jedes Produkt anwenden. Ein Beispiel wäre der Verbrennermotor, den es in seiner jetzigen Form dann vielleicht nicht mehr gäbe, weil er in seiner Masse den Besitzanspruch an die Atmosphäre stellt.

Bayern ist erst der Anfang. Was planen Sie noch?

Wir haben deutschlandweit 32 Bündnispartner, darunter Jurist*innen und Organisationen, die mit den Rechten der Natur beschäftigt sind. Wir wollen in allen 16 Bundesländern Volksbegehren starten. Die nächsten sind in Berlin, Niedersachsen und Baden-Württemberg. Wann wir die anderen Volksbegehren ausrollen, hängt auch von den Fristen und Bedingungen ab, die in den Ländern jeweils unterschiedlich sind.

Bundesweit soll das Ganze vom Haus der Zukunft, einem Kompetenzzentrum für Wirtschaft und Umwelt in Hamburg, koordiniert werden. Von dort richtet sich auch eine Aufforderung an die Bundestagsabgeordneten, ein paar Paragrafen des Grundgesetzes zu ändern.

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