- Politik
- Joyce Ilg
Die Grenzen von Humor
Joyce Ilg entschuldigt sich für ihren Witz über K.o.-Tropfen, es folgt ein absurder Vergleich zu Witzen über Behinderung. Das Internet reagiert.
Eine neue Woche, ein neues Entschuldigungsvideo. Dieses Mal geht es um den katastrophalen Social-Media-Auftritt der Comedienne Joyce Ilg der vergangenen Wochen. Grund für eine Entschuldigung lieferte die 38-Jährige als sie zu Ostern ein gemeinsames Foto mit Luke Mockridge postete, mit der Unterschrift: »Hat hier irgendwer von euch Eier gefunden? Ich hab nur ein paar K.O.-Tropfen bekommen.« Das sorgte im Netz für ordentlich Empörung und heftige Kritik, die auch lange Zeit nach den Feiertagen eine Debatte darüber befeuerten, wo die Grenzen von Humor liegen. Am Dienstag entschuldigte sich Ilg in einem fast 13-minütigen Instagram-Video bei allen, denen sie mit dem Witz wehgetan hat. K.-o.-Tropfen und sexualisierte Gewalt seien ein »ultra ernstes Thema«, das sie mit dem Witz nicht verharmlosen wollte.
Sie würde sich nie über die persönliche Leidensgeschichte einer Person lustig machen wollen. Dennoch lichtet sie sich mit Mockridge ab, der im Kontext von sexualisierter Gewalt und übergriffigem Verhalten gegenüber zehn Frauen steht.
Es ist wichtig, dass Opfer sich äußern können, wünscht sich Ilg. Doch dass auch sie zu einer Gesellschaft beiträgt, in der Opfer von sexualisierter Gewalt Angst haben, über ihre Erfahrungen zu sprechen, weil sich zum Beispiel über sie lustig gemacht wird, scheint sie nicht zu verstehen.
Das Internet ist voller Debatten, Aufregung und Absurditäten. Jeden Donnerstag schauen wir uns die bizarrsten, lustigsten oder wichtigsten Momente im Netz an. Ob hitzige Diskussion auf Twitter oder lustiger Trend auf TikTok: In unserer Rubrik »Aus dem Netz gefischt« greifen wir es auf. Texte zum Nachlesen: dasnd.de/gefischt
Hört auf, Männern zu verzeihen! - Gewalt gegen Frauen wird oft verharmlost und als Kavaliersdelikt abgetan. Dabei ist sie eine Menschenrechtsverletzung – und weltweit trauriger Alltag.
Ilg hatte viel Kritik für ihren geschmacklosen Witz einstecken müssen. Es gehe zu viel um sie, keine echte Entschuldigung sei erkennbar, sie verharmlose sexualisierte Gewalt, so die Kritik. Und tatsächlich zeigt ihr Umgang mit der Situation, dass die Youtuberin nicht wirklich verstanden hat, worum es geht. Erst mal versucht sie, den Gegenwind als Shitstorm umzumünzen, ohne zwischen berechtigter und unberechtigter Kritik zu unterscheiden. Im Video stellt sie noch einige Suggestivfragen wie: »Worüber dürfen wir nicht lachen?« – als ob Beschwerden gegen ihren Witz in voller Konsequenz zu einer Art »Lachverbot« führen würden. Es fehlt eigentlich nur noch ein »Das wird man wohl noch sagen dürfen!« Denn Ilg findet natürlich, Humor sollte alles dürfen und dass es schwer ist, Grenzen zu ziehen.
Die neu eröffnete Debatte, was Comedy darf, wirkt wie ein schwacher Versuch der Youtuberin, vom Eigentlichen abzulenken. Selbstverständlich kann sie Witze über Vergewaltigungen machen, das ist rechtlich im Rahmen. Doch dass sie damit anstößt, weil Menschen verletzt und retraumatisiert werden, damit muss man rechnen. Und auch, dass viele das nicht lustig finden und scharf verurteilen.
Eine weitere klassische Abwehrreaktion von Kritik ist der sogenannte Whataboutism. Dabei wird einer kritischen Frage ausgewichen und auf anderes Fehlverhalten aufmerksam gemacht, um so das Gegenüber abzulenken. In der Praxis sieht das so aus: Ilg fragt, warum Comedians, die über Behinderungen Witze reißen, keine Shitstorms abbekommen haben. Liegt das daran, dass mehr Menschen persönliche Erfahrungen mit K.-o.-Tropfen gemacht haben als mit Behinderung, fragt sich Ilg. Hat sie einen Shitstorm abbekommen, weil ihr Thema einfach mehr »gehyped« ist? Dass man auch über Behinderungen keine Witze machen sollte, weil das einige Menschen verletzen kann, daran scheint sie gar nicht zu denken. Außerdem bleibt wieder die Kontext-Frage: Was haben K.-o.-Tropfen mit Behinderungen zu tun? Nicht nur ihr Ableismus, sondern auch das alte Credo »Die Gesellschaft ist zu sensibel« zeigt auf, dass sie leider nicht ganz verstanden hat, was genau das Problem ist.
Der K.-o.-Tropfen-Mockridge-Post ist übrigens noch immer in ihrem Feed zu finden.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.