Das Potenzial der Rückkehrer

Mindestens 300.000 Pflegekräfte durch Wiedereinstieg in den Beruf oder aufgestockte Arbeitszeit möglich

Bei jeder Debatte zum Pflegenotstand kommen die Berufsaussteiger und ihre Motive ins Gespräch. In der Regel sind das dann Fantasien von Politikern oder Verbandsfunktionären, die sich darin ergehen, wie wunderbar es wäre, wenn Menschen in diesen Ausbildungsberuf zurückkehren würden.

Jetzt haben sich endlich Wissenschaftler des Instituts Arbeit und Technik (IAT) der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen und zwei bundesweit einzigartige Arbeitnehmerkammern (aus dem Saarland und aus Bremen) zusammengetan, um der Frage auf den Grund zu gehen. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung förderte die Studie unter dem Titel »Ich pflege wieder, wenn ...«.

Mindestens 300.000 zusätzliche Vollzeit-Pflegekräfte wären demnach zu gewinnen, sofern sich die Arbeitsbedingungen in der Pflege deutlich verbessern. Dafür wurden 2021 bundesweit insgesamt 12 700 Berufsaussteiger und Teilzeitkräfte online befragt. Auf Basis dieser Ergebnisse wurden zwei Modellrechnungen ausgeführt, die bei einer sehr vorsichtigen Kalkulation zu den genannten 300.000 Vollzeitkräften führten; bei einem optimistischen Szenario sogar bis zu 660.000 Vollzeitkräften. Jeweils mehr als 80 Prozent dieser Potenziale ergeben sich aus der Rückkehr ausgestiegener Fachkräfte. Am erstaunlichsten fanden die Studienautoren den jeweils großen Anteil derjenigen, die eine Rückkehr in den Beruf (60 Prozent) erwägen oder eine Aufstockung ihrer Arbeitszeit (50 Prozent).

Als stärkste Motivation nennen die Befragten eine Personaldecke, sie sich tatsächlich am Bedarf der pflegebedürftigen Menschen ausrichtet. »Sie wollen so arbeiten, wie sie es in ihrer Ausbildung gelernt haben«, erläutert Elke Heyduck, Geschäftsführerin der Arbeitskammer Bremen, »eigenständig, am Patienten orientiert, außerdem von den Kollegen geschätzt – und mit ausreichend Kollegen.«

Ein angemessener Verdienst, Zeit für menschliche Zuwendung, verbindliche Dienstpläne, vereinfachte Dokumentationspflichten sowie eine bessere Vergütung für die Fort- und Weiterbildung sind weitere Faktoren, die zur Berufsrückkehr motivieren könnten. Laut der Umfrage würden Teilzeitkräfte unter besseren Bedingungen im Mittel zehn Stunden pro Woche aufstocken, Berufsrückkehrer würden eine Wochenarbeitszeit von im Mittel 30 Stunden anpeilen. Das anfangs genannte Potenzial aus Vollzeitkräften ergibt sich, wenn diese Arbeitszeiten entsprechend addiert werden.

Damit sich etwas ändert, muss aus Sicht der Studienautorinnen an erster Stelle eine angemessene Personalbemessung eingeführt werden – gemessen am tatsächlichen Pflegebedarf. Die der damaligen Bundesregierung schon 2020 vorgestellte Pflegepersonalregelung 2.0 für den Krankenhausbereich wurde bis jetzt nicht eingeführt. Pflegekräfte in den Krankenhäusern drängen seit Jahren darauf. Trotz der Verankerung im Koalitionsvertrag könnte sie laut Beatrice Zeiger von der Arbeitskammer des Saarlandes doch verworfen werden: »Die Regelung darf als sehr gute Übergangslösung nicht unter die Räder kommen. Das wäre ein verheerendes Signal.«

Weitere Faktoren, die politischer Entscheidungen bedürfen, wären die Stärkung der Tarifbindung (und nicht nur das Zurückgehen auf regionale Durchschnittswerte in der stationären Langzeitpflege als Kriterium für die Neuzulassung von Einrichtungen) sowie die Sicherung der Finanzierung. Angesichts der Löcher in den Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung führt für Heyduck von der Arbeitskammer Bremen kein Weg an einer Bürgerversicherung vorbei, die auch Beamte und Selbstständige in die Finanzierung einbezieht.

Pflegekräfte kommen jedoch nicht von allein zurück. Die Umfrage ergab nämlich auch, dass nur ein Drittel der möglichen Rückkehrerinnen und Rückkehrer schon Stellenangebote angesehen hat, erst sechs Prozent stehen im Kontakt mit einem Arbeitgeber. Und die anderen denken »mindestens einmal im Monat darüber nach, in den Beruf zurückzukehren, sind aber bislang noch nicht aktiv geworden«, erklärt Michaela Evans, Direktorin des Forschungsschwerpunktes Arbeit und Wandel am IAT. Hier fehlten unter anderem Einarbeitungsprogramme.

Auffällig sei laut Evans zudem, dass ehemalige Beschäftigte aus der ambulanten Pflege diesen Bereich seltener als Ziel eines Wiedereinstiegs angeben. Das könnte laut der Sozialwissenschaftlerin daran liegen, dass es in der ambulanten Pflege kaum Ansätze zur Personalbemessung gibt. Hier richtet sich das Arbeitspensum danach, was sich wirtschaftlich rechnet, nicht danach, was für die jeweilige pflegebedürftige Person notwendig ist.
Es ist höchste Zeit, dass sich die politisch Zuständigen in Bund und Ländern sowie die Unternehmen (Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und -dienste) mit den Studienergebnissen befassen und konkrete Schlussfolgerungen ziehen. Denn in den nächsten zehn bis zwölf Jahren gehen eine halbe Million Pflegefachkräfte in Rente.

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