»Herr Guterres könnte ja helfen«

Außenpolitik-Experte und Linke-Politiker Alexander S. Neu über die Rolle der Medien und seiner Partei angesichts des Ukraine-Krieges

  • Ramon Schack
  • Lesedauer: 4 Min.

Herr Neu, Sie galten – als sie noch für die Linke im Bundestag saßen – als ein sogenannter Russland-Versteher. Inzwischen sind Sie aus dem Bundestag ausgeschieden. Ist dieser Begriff eher eine Last oder ein Kompliment für Sie?
Wissen Sie, ich bin der Meinung, wenn man sich zu einem Thema äußert, ob als Privatperson, oder als Politiker, sollte man ja davon ausgehen, von dem Themengebiet etwas zu verstehen. Insofern betrachte ich die Bezeichnung »Russland-Versteher« natürlich nicht als Beleidigung. Mir ist aber natürlich nicht entgangen, dass sie zu einem Kampfbegriff mutiert ist, mit dem jegliche Kritik an westlicher Politik abgewertet oder gar diffamiert werden soll, beziehungsweise die betreffenden Personen als Apologeten des russischen Präsidenten Putin darzustellen oder ähnliches.

Nach dem Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine ist es für Sie sicher noch schwieriger geworden, differenzierte Wertungen in die Debatte einzubringen, wo doch im öffentlichen Raum Schwarz-Weiß-Bilder dominieren?
Man kann heute ja froh sein, dass man sich überhaupt noch differenziert zum Krieg in der Ukraine äußern kann, denn der mediale Druck von politisierenden Journalisten diktiert heute in einem erheblichen Maße den politischen Entscheidungsprozess in Berlin.

Alexander S. Neu
Alexander S. Neu (Linke) ist promovierter Politikwissenschaftler und war bis 2021 Mitglied des Deutschen Bundestages. Neu arbeitet aktuell als politischer Berater. Ramon Schack sprach mit ihm über den Krieg in der Ukraine und die politische Ausgangslage für die Partei.

Könnten Sie das konkretisieren?
Na, schauen Sie doch bitte, wie Kommentatoren und Moderatorinnen in den vergangenen Wochen zum Beispiel sozialdemokratische Politiker und Politikerinnen in Talkshows oder Leitartikeln zum Thema Waffenlieferungen an die Ukraine, Nord Stream 2, etc. förmlich vor sich hergetrieben haben. Da muss man doch ernsthaft die Frage stellen, ob wir in einer Mediokratie leben – also unter einer Herrschaft der Medien.

Möchten Sie damit zum Ausdruck bringen, Politiker und Politikerinnen hätten Angst, sich differenziert zu dem Thema Krieg in der Ukraine zu äußern?
Genau das. Hierbei handelt es sich um ein großes Problem der Demokratie, wenn gewählte Volksvertreter darauf achten müssen, dass ihre Überzeugungen mit dem medial inszenierten Zeitgeist kompatibel sind.

Sie haben sicher Recht damit, dass die Meinungsvielfalt in der Bundesrepublik seit einigen Jahren von der Konzentration großer Verlagshäuser auf dem Markt geprägt ist. Lassen Sie uns aber bitte über die geopolitische Ausgangslage sprechen. Hat Sie der russische Einmarsch in der Ukraine überrascht?
Allerdings. Für mich kam dieser völkerrechtswidrige Angriff so überraschend wie für den ukrainischen Präsidenten. Ich teile diesbezüglich die Ansicht des SPD-Urgesteins Klaus von Dohnanyi, der mit seinen 93 Jahren noch jene sozialdemokratische Denkschule vertritt, die einst dominierend war. Dohnanyi geht davon aus, dass dieser Krieg hätte verhindert werden können, wenn man die Ukraine nicht in Richtung Nato getrieben hätte.

Solche Positionen sind heute in der SPD nicht mehr mehrheitsfähig. Sie erwähnten es gerade. Aber auch in Ihrer Partei Die Linke gibt es diesbezüglich, was die Außenpolitik angeht, intensive Debatten und Neuausrichtungen.
Ja, auch in der Linken wollen einige den russischen Krieg nutzen, um »Kurskorrekturen« an unserer friedenspolitischen Positionierung vorzunehmen, damit die Linke »regierungsfähig« im Sinne der Grünen werden kann. Meiner Einschätzung nach befindet sich die Partei damit auf einem Holzweg, wie die Wahlergebnisse der vergangenen Monate beweisen, auch wenn diese natürlich nicht nur durch den außenpolitischen Diskurs zustande kamen. Wenn aber eine Partei ihre ideologischen Alleinstellungsmerkmale zur Disposition stellt, macht sie sich damit quasi überflüssig.

Sie meinen die friedens- und abrüstungspolitischen Grundsätze?
Natürlich. Wenn die Partei versucht, einem flüchtigen Zeitgeist hinterherzurennen, hat sie schon verloren, denn eine zweite grüne Partei, die ja zur vergangenen Bundestagswahl damit warb, keine Waffen in Krisengebiete senden zu wollen, braucht niemand.

Welche Optionen müsste Ihrer Meinung nach die Linke angesichts der Tragödie in der Ukraine erwägen?
Auf jeden Fall muss eine Rückkehr zur Diplomatie und zu Verhandlungen eingefordert werden. Der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, hatte doch selber gesagt, er sei bereit, eine Neutralität der Ukraine in Kauf zu nehmen, wenn es dafür zu einem Waffenstillstand käme. Das wird natürlich nicht einfach, weil die Russen schon einen großen Raum militärisch erobert haben. Daher muss die Sicherheit der Ukraine garantiert werden, im Idealfall von den Vereinten Nationen.

Die Lösung liegt in einem Kompromiss?
Sicherlich. Um dahin zu kommen, muss man nicht nur mit Herrn Selenskyj verhandeln, sondern auch mit Wladimir Putin. Dieser verbrecherische Krieg, den Putin begonnen hat, kann nur beendet werden, wenn insbesondere zwischen den USA und Russland eine Einigung über die Ukraine stattfindet. Herr Guterres könnte dabei ja helfen. Aber dann müssen natürlich auch die USA bereit sein, darüber zu reden. Und ich fürchte, das ist nicht im Interesse der USA.

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