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Schönere Stadt für weniger Geld
Initiativen errechnen 126 Millionen Euro weniger Kosten für Getrauden- und Mühlendammbrücke im Verkehrswendemaßstab
»Hier sind im Jahr 1937 täglich 30 000 Fahrzeuge rübergefahren«, sagt Hendrik Blaukat von der Interessengemeinschaft Leipziger Straße. Er steht auf der alten Gertraudenbrücke am Spittelmarkt in Berlin-Mitte. Das 22 Meter breite Bauwerk trug laut Zählung vor 85 Jahren diese Verkehrslast, außerdem viele Hundert Straßenbahnen täglich – und ja, auch damals wurde viel Fahrrad gefahren.
Heute dient die Brücke von 1896 nur noch Fußgängern, der schwere Verkehr läuft über die 1965 erbaute, über 34 Meter breite neue Gertraudenbrücke aus Stahl. Die Senatsmobilitätsverwaltung will diese Brücke im Zuge der Straßenbahnplanung zwischen Alexander- und Potsdamer Platz durch einen ebenso breiten Neubau ersetzen. Hendrik Blaukat hält das für einen Fehler, der alleine 40 Millionen Euro Mehrkosten verursacht.
»Man könnte den von der Senatsverwaltung als Zielgröße für 2030 angesetzten Verkehr von 48 000 Fahrzeugen pro Tag auf der ertüchtigten alten Brücke und Nutzung eines Teils des Bestandsneubaus abwickeln«, sagt der studierte Verkehrsplaner Stefan Lehmkühler von dem Verkehrswendeverein Changing Cities. Die Mobilitätsverwaltung plant für den Neubau neben dem eigenen Gleisbett der Straßenbahn in der Mitte je Richtung mit zwei Autospuren, einem Kombistreifen für Bus und Fahrrad sowie einem vier Meter breiten Gehweg Richtung Alexanderplatz.
»Es ist doch viel sinnvoller, für Busse und Straßenbahnen eine gemeinsame Spur zu haben. Es freut weder Bus- noch Radfahrer, sich eine Spur zu teilen«, sagt Lehmkühler. Weiterer Platz würde gespart, indem statt den zwei Autospuren eine überbreite Fahrbahn in Richtung Potsdamer Platz angelegt wird. »Die Kapazität reicht entsprechend den Richtlinien aus, um den prognostizierten motorisierten Individualverkehr abzuwickeln«, erklärt Grünen-Mitglied Lehmkühler. In der Gegenrichtung bliebe bei Nutzung der alten Gertraudenbrücke nur noch Platz für eine reguläre Autospur. »Für die Übergangszeit, bis die Verkehrswende wirklich umgesetzt ist, kann man für die zweite Autospur und den Radweg eine Hälfte der Brücke von 1965 weiter nutzen«, erläutert der Experte. Später könne dieser Teil durch einen schlanken Steg für Fuß- und Radverkehr ersetzt werden.
Hendrik Blaukat geht davon aus, dass sich die alte Gertraudenbrücke mit modernen Methoden an heutige Verkehrslasten anpassen lässt. »Die Deutsche Bahn hat 2020 am S‑Bahnhof Wilhelmshagen eine Unterführung mit zehn Zentimeter starken sogenannten Dickblechen saniert. Da rollen Güterzüge mit viel höheren Achslasten als im Straßenverkehr darüber«, erläutert er. Diese relativ neue Technik benötigt wenig Raum und ist daher ideal, um historische Bauwerke an aktuelle Bedürfnisse anzupassen.
Auch der Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg hat sich Gedanken gemacht. Die Bauexperten schlagen vor, die Gertraudenbrücke in der Mitte aufzuschneiden und einige Meter zu verbreitern. Hier dürfte fraglich sein, ob sich die Denkmalschutzbehörden auf so eine Lösung einlassen.
»Wenn jetzt die Brücke von 1965 eins zu eins nachgebaut wird, manifestiert man für 80 bis 100 Jahre den aktuellen Zustand«, sagt Hendrik Blaukat. »Das widerspricht dem Gebot, dass sie öffentliche Hand effizient, sparsam, wirtschaftlich und nachhaltig handeln soll«, so Blaukat weiter. Für jeden Quadratmeter Brückenneubau kalkuliert die Mobilitätsverwaltung mit Kosten von über 33 000 Euro. Hinzu kommen noch die zusätzlichen Unterhaltskosten.
Die Initiative besteht auch weiterhin darauf, dass der in Planung befindliche Neubau der benachbarten Mühlendammbrücke zehn Meter schmaler ausfallen soll als die bisher vorgesehenen 41,50 Meter. Auch hier wären überbreite Autospuren und eine kombinierte Tram- und Busspur die Lösung, die knapp 40 Millionen Euro sparen würden. Über 46 Millionen Euro beträgt außerdem der aktuelle Grundstückswert der drei Baufelder, die bei einer Umlegung des Verkehrs auf die alte Gertraudenbrücke schaffen ließen. »Dort könnte preiswerter Wohnungsbau realisiert werden«, so Lehmkühler.
Allein 80 Millionen Euro eingesparte Baukosten sollten angesichts der Haushaltslage Motivation genug für den Senat sein, die Pläne noch einmal zu überdenken.
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