- Kultur
- Russland
Der neue alte Feind
Wollen die Deutschen nachträglich den Zweiten Weltkrieg gewinnen?
Was man hier vom Ukraine-Krieg merkt: Der Senf ist alle. Die Deutschen haben ihn aus den Regalen weggekauft. Dafür wird er ihnen medial umso dicker aufgetragen. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine wird der politische Ton beständig schärfer. »Wir wollen, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt«, erklärte Ursula von der Leyen, als sie vergangene Woche die nächste Verschärfung der EU-Sanktionen vorstellte. Putin habe gedacht, er könne die Ukraine von der Landkarte tilgen, doch nun sei es »sein eigenes Land, Russland, das er in den Untergang führt«.
Russland ist der neue alte Feind. Als es noch die Sowjetunion war, wurde in der Bundesrepublik vor »der roten Gefahr« gewarnt, der man nur mit einer »Politik der Stärke« begegnen könne. Das war lange die Lehrmeinung der CDU. Aber auch die Linksradikalen haben in den 70er Jahren die Sowjetunion gehasst. Die beiden linken Hauptströmungen, aus denen sich dann die Grünen speisten, die autoritären Maoisten und die antiautoritären Spontis, begriffen sie als einen Staat der Mörder, Betrüger und Verräter. Schlimmer als die USA, denn die definierten sich nicht als links. 1976 rief die maoistische KPD in ihrer Zeitung »Rote Fahne« den sowjetischen Staatschef Leonid Breschnew zum »Hitler von heute« aus. Er und »seine Handlanger« SED und DKP seien »die schlimmsten Feinde des deutschen Volkes«. Im selben Jahr bilanzierte der damalige Sponti-Theoretiker und spätere »Welt«-Chefredakteur Thomas Schmid in der Zeitschrift »Autonomie«, »dass das Ergebnis der großen russischen Revolution 50 Millionen Tote in Konzentrationslagern sind, dass diese Revolution bis auf den heutigen Tag von Gewalt, Zwang, Vernichtung geprägt ist«.
Der Vernichtungskrieg der Wehrmacht aber, der mindestens 24 Millionen Sowjetbürger das Leben kostete, war kein Thema. Als er im Sommer 1941 begonnen hatte, feierte Joseph Goebbels in der Wochenzeitschrift »Das Reich« die deutschen Soldaten als »die Erretter der europäischen Kultur und Zivilisation gegen die Bedrohung durch eine politische Unterwelt. Deutschlands Söhne sind wieder einmal angetreten, um mit dem Schutz des eigenen Landes zugleich den Schutz der gesitteten Welt zu übernehmen.«
Als »die gesittete Welt« versteht sich heute auch der Westen und mobilisiert gegen Russland, gegen den »russischen Faschistenführer Putin«, wie sich Sascha Lobo auf »Spiegel online« ausdrückt. Die Vorzeichen haben sich gedreht, jetzt lautet die Botschaft: Die Nazis sind nicht mehr die Deutschen, sondern die Russen. Das ist sehr entlastend für den deutschen Gemütshaushalt. Allerdings ist der Nazi-Begriff schon ziemlich hinüber, nachdem Putin den Überfall auf die Ukraine als eine Kampagne zur »Entnazifizierung« gerechtfertigt hat. Und dann kämpfen im Ukraine-Krieg Rechtsradikale auf beiden Seiten: die »Gruppe Wagner« für Russland, das »Regiment Asow« für die Ukraine.
Russland ist zwar der neue alte Feind des Westens, aber keinesfalls die Sowjetunion, wie es seine sentimentalen Verteidiger aus dem DKP-Spektrum gerne hätten. Ganz im Gegenteil: Russland ist ein kapitalistisches Zerrbild des Westens, nur viel ärmer, korrupter und repressiver. Wie übrigens auch die Ukraine in großen Teilen. Trotzdem gehört sie verteidigt, keine Frage. Doch es ist ein Unterschied, ob man Putin stoppen oder stürzen will. Letzteres ist die Sache der Russen, alles andere bedeutet vermutlich den dritten Weltkrieg. Da hilft auch kein Wunderglaube an die Nato.
Wer davor warnt, gilt im gegenwärtigen Meinungsklima als Depp und Defätist. Eigentlich sprechen so die Konservativen, die die Hab-Acht-Stellung als angebliche Schule des Lebens verehren. Aber den Grünen an der Regierung gefällt das Militärische ebenfalls. Sie forcieren die Aufrüstung, wollen jedoch weiterhin als »Friedenspartei« gelten. Die Kritik daran wird in der mitmilitarisierten »Taz« als als »weltfern« (Simone Schmollack) und »erbärmlich« (Klaus Hillenbrand) verworfen. Stimmung ist bei den Grünen das Wichtigste , sie nennen das »wertebasiert«.
Mit Wolfgang Pohrt, dem Kritiker des alternativen Konformismus, ließe sich sagen: »Das Land hat also wieder eine Zukunft – eine Zukunft für seine Vergangenheit«. Es kann davon träumen, endlich den Zweiten Weltkrieg zu gewinnen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.