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Dynamik auf den letzten Metern

Nach einem Jahr ist die EU-Zukunftskonferenz erfolgreich beendet worden – nach anfänglichem Schwächeln

Auf dem Weg nach Berlin, wo er am Abend von Bundeskanzler Olaf Scholz erwartet wurde, hat Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron am Montag einen Abstecher nach Straßburg gemacht. Nicht nur der amtierende EU-Ratsvorsitzende war zum französischen Sitz des Europaparlaments gereist. Auch die Präsidentinnen von EU-Kommission und Europaparlament, Ursula von der Leyen und Roberta Metsola, waren am diesjährigen Europatag in die Elsass-Metropole gekommen. Auf den Tribünen des Plenarsaals im Parlamentsgebäude saßen Politiker*innen aus den EU-Ländern, Vertreter*innen der Zivilgesellschaft. Eingefunden hatten sich auch Bürger*innen, die an der EU-Zukunftskonferenz teilgenommen haben. Ein Jahr lang hatte die »Konferenz zur Zukunft Europas«, nach ihrer englischen Bezeichnung CoFoE abgekürzt, beraten. Am Montag wurden die Ergebnisse an die Spitzenvertreter*innen der EU überreicht.

Die Zukunftskonferenz war eine schwere Geburt, und die setzte bereits mit der Europawahl 2019 ein. Als Spitzenkandidat für Europas Konservative, die späteren Wahlsieger, war deren Fraktionschef im Europaparlament, Manfred Weber, angetreten. Den Zuschlag für den Posten als EU-Kommissionspräsidentin gaben die Staats- und Regierungschefs dann allerdings Ursula von der Leyen, die gar nicht zur Debatte stand. Wie es hieß, sei die Deutsche ein Vorschlag Macrons gewesen, der mit Weber nicht so recht konnte. Wie auch immer: Die Personalie sorgte nicht nur im EU-Parlament, wo von der Leyen eine nur hauchdünne Bestätigung erhielt, sondern auch bei den Wähler*innen für Empörung. Hatten diese sich doch mit dem erst bei der vorangegangenen EU-Wahl 2014 eingeführten Spitzenkandidatenprinzip angefreundet. Dabei bekam jede Parteienfamilie »ein Gesicht«, das dann auch an die Kommissionsspitze rücken sollte.

To-do-Liste für Europa

Auf der Grundlage von 178 Empfehlungen der Europäischen Bürgerforen, Beiträgen der nationalen Foren und Veranstaltungen sowie 43 734 Postings zu 16 274 Ideen, die auf der mehrsprachigen digitalen Plattform der Zukunftskonferenz erfasst wurden, hat die Schlussrunde 49 Vorschläge angenommen, die mehr als 300 Maßnahmen zu neun Themenbereichen umfassen. Diese reichen von der Klimapolitik über Migration bis hin zur Demokratisierung der EU. In der vergangenen Woche hat das Europaparlament beschlossen, den Prozess der Zukunftskonferenz mit "Folgemaßnahmen" fortzusetzen.

Von der Leyen erkannte schnell die Brisanz ihrer unorthodoxen Berufung und versprach bei ihrem Amtsantritt Ende 2019 als Entschädigung eine Zukunftskonferenz, die für mehr Demokratie und Mitsprache sorgen sollte. In Foren von Bürger*innen, auf einer interaktiven Internetplattform, in den Plenarkonferenzen als institutionellen Teil von CoFoE sollten Ideen erarbeitet werden, wie eine andere, eine bessere EU aussehen könnte.

Allerdings hatte die frisch gebackene Kommissionspräsidentin nicht mit dem Widerstand des Rats, also der Regierungen, gerechnet. Der hatte den Konferenzbeginn über ein Jahr mit immer neuen Hürden verzögert und diese Blockadepolitik praktisch bis zum letzten Tag beibehalten – wenn auch mit von Land zu Land unterschiedlicher Intensität. Was die Regierungen fürchteten, waren mögliche Änderungen an den Europäischen Verträgen, die die Grundlage der EU sowie ihres politischen und wirtschaftlichen Handelns bilden. Eine Beschneidung der Kompetenzen der Nationalstaaten, wie eine tatsächliche Vergemeinschaftung der Politik, kam für sie nicht in Frage. Gerade weil zu erwarten war, dass die Bürger*innen solche Themen wie Klimakrise, die Migrationsproblematik oder die Sozialpolitik ganz oben auf ihre Agenda setzten – was dann auch geschah. Mit dem inzwischen 15 Jahre alten, neoliberal ausgerichteten Lissabon-Vertrag sind solche Fragen nicht zu lösen.

Es ist insbesondere dem Europaparlament und den Bürger*innen zu danken, dass die CoFoE zu einem Arbeitsmodus gefunden hat und gerade in den letzten Wochen zahlreiche Empfehlungen für Änderungen der EU und ihrer Politik ausgearbeitet wurden. Und auch einige Regierungen können sich inzwischen durchaus eine Vertragsreform vorstellen, wie die sozialdemokratische Europaabgeordnete Gaby Bischoff betont. Während der letzten Plenarsitzung Ende April in Straßburg wurden insgesamt 325 detaillierte Änderungsvorschläge angenommen, die nun am Montag übergeben wurden. Unter anderem soll die EU durch Wegfall des Einstimmigkeitsprinzips in einigen Bereichen schneller handeln können. Weitere Ideen sind unter anderem die Einführung von Mindeststandards bei der Qualität von Nahrungsmitteln und die Senkung des Wahlalters bei EU-Wahlen von 18 auf 16 Jahre.

Die zentrale Frage bleibt, was aus den Empfehlungen wird. Die in der vergangenen Woche vom Europaparlament angenommene Resolution spricht etwas verklausuliert von Folgemaßnahmen. Kommissionspräsidentin von der Leyen kündigte am Montag in Straßburg an, dass »bereits nächsten Monat« Voraussetzungen geschaffen würden, um die Vorschläge in die Tat umzusetzen. »Wenn nötig«, sollten dafür auch die EU-Verträge geändert werden. Auch Frankreichs Präsident blieb eher unverbindlich als er sagte, er befürworte eine institutionelle Reform.

Für den Linke-Europaabgeordneten Helmut Scholz sind das nach der langen Verzögerung von CoFoE dennoch gute Signale. »Der EU-Gipfel im Juni zum Ende der französischen Ratspräsidentschaft muss einen klaren Weg abstecken«, sagte der Parlamentarier, der im Leitungsgremium der Zukunftskonferenz saß, in Straßburg. »Die Menschen in der EU erwarten nicht nur konkrete Veränderungen von der europäischen Politik, die ein gerechteres, friedliches und gemeinsames Zusammenleben für sie gestalten soll. Sie wollen auch mitgestalten.« Wie auch immer aber die weiteren Schritte aussehen werden: Hinter diesen Anspruch kann die EU nicht mehr zurück.

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