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Der gerupfte Adler
Es gibt Zweifel an der Bilanz der Immobiliengruppe. Droht ein neuer Fall Wirecard?
Eine gigantische Bauruine mitten in Altona sorgt seit Jahren für hitzige Diskussionen in Hamburg. Auf dem Gelände der ehemaligen Holsten-Brauerei sollten Aberhunderte Wohnungen entstehen. Getan hat sich bislang nichts. Die Gebäude verfallen zusehends. »Das Modell einer renditegetriebenen Wohnungsbaupolitik ist krachend gescheitert«, stellt die lokale Bürgerinitiative »Knallt am dollsten« mit Blick auf Bundes- und Landespolitik fest.
Das Projekt ist in Deutschland kein Einzelfall. In Düsseldorf erregt ein riesiges Loch in der Nähe des Hauptbahnhofs seit Langem die Gemüter. Im Wohnkomplex Grand Central sollten Tausende Menschen ein Zuhause finden – »eigentlich. Passiert ist nämlich noch nicht viel«, berichtet die »Wirtschaftswoche«. So ungewiss wie Baufortschritte dort und bei ähnlichen Projekten in Berlin, Offenbach oder Passau sind, so ungewiss ist auch die Zukunft des Unternehmens, das dahintersteht: die Adler Group. Der fehlt es offensichtlich am nötigen Kapital, um diese und andere Megaprojekte, teilweise halbfertige Baustellen, zu einem glücklichen Ende zu führen.
Nur wenige Stunden vor Ablauf der Frist konnte der angeschlagene Immobilienkonzern kürzlich seinen Jahresabschluss für 2021 veröffentlichen. Adler hat sich über Anleihen rund 4,5 Milliarden Euro geliehen. Die Wertpapiere wären im Falle einer Fristverletzung fällig geworden, das Unternehmen hätte die Milliarden vorzeitig zurückzahlen müssen und wäre wohl pleite gewesen, meinen Branchenbeobachter. Die Lage bleibt nach Medienberichten äußerst angespannt, die Wege zu frischem Geld von Banken oder vom Kapitalmarkt scheinen versperrt.
Die Adler Group gibt sich dennoch optimistisch. Der neue Verwaltungsratsvorsitzende Stefan Kirsten will die Gründe der Krise so schnell wie möglich beseitigen. »Wir streben für 2022 einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk an.«
Ende April hatten die Wirtschaftsprüfer von KPMG eine Sonderuntersuchung zu den Vorwürfen gegen Adler veröffentlicht. Es geht dabei auch um möglicherweise überhöhte Immobilienbewertungen, falsche Darstellung des Verschuldungsgrades und Transaktionen mit mutmaßlich (zu) nahe stehenden Personen. Bezogen etwa auf das Holsten-Areal stellt KPMG fest, dass der Vorwurf, die ermittelten Werte seien unangemessen, wohl stimme: »Der Vorwurf, dass Adler nicht über die finanziellen Mittel verfügt, die Projektentwicklungen umzusetzen, kann auf Basis der uns in der Sonderuntersuchung zur Verfügung stehenden Unterlagen nicht widerlegt werden.«
Bei Finanzexperten werden Erinnerungen an den Fall Wirecard wach. Wie bei der dubiosen Finanzfirma war die Sonderprüfung durch Vorwürfe ausgelöst worden, die ein britischer Börsenspekulant erhoben hatte. Er hatte Adler schon im Oktober 2021 vorgeworfen, Immobilien falsch bewertet und Bilanzkennzahlen manipuliert zu haben. Zudem fehle Adler Geld, um Immobilienprojekte fertig zu bauen. Erneut wirft der Fall auch ein schlechtes Licht auf die Buchprüfer. KPMG prüft die Adler-Zahlen seit sieben Jahren. Für 2021 hatten die Wirtschaftsprüfer dann das Testat verweigert. Die Lage scheint brisant zu sein, denn der Finanzausschuss des Bundestages wird sich überraschend mit dem Adler-Sinkflug befassen, wie aus dessen Tagesordnung für Mittwoch hervorgeht.
Die Adler Group S. A. setzt auf den Erwerb und die Verwaltung »renditeträchtiger Mehrfamilienhäuser«, heißt es im Firmenprofil. Rund 54 500 Mietwohnungen gehören der Gruppe, deren steuerrechtlicher Sitz Luxemburg ist. Dennoch gehört Adler dem S‑Dax der Deutschen Börse an.
Pikant: Mit Abstand wichtigster Aktionär ist mit 20,5 Prozent Vonovia, der größte Wohnungsvermieter Deutschlands. Dessen Chef Rolf Buch hatte erst im Herbst den bisherigen Branchenzweiten Deutsche Wohnen geschluckt. Damit entsteht ein europäischer Immobilienriese mit rund 568 000 Wohnungen.
Der Fall Adler wirft indes ein Schlaglicht auf die gesamte Immobilienbranche und könnte eine Kettenreaktion auslösen. Die Preise für Wohnhäuser haben sich vor allem in den großen Städten in den vergangenen zehn Jahren gewaltig erhöht. Zwar sind auch die Mieten deutlich gestiegen, aber weit weniger als die Kaufpreise.
Diese Kluft wurde von den Immobilienunternehmen lange durch die extrem niedrigen Zinsen für Baukredite überbrückt. Nun steigen aber die Zinssätze – allein seit Anfang des Jahres haben sie sich verdreifacht, was die Finanzierung von laufenden Projekten erheblich erschweren wird. Und den Druck auf die Mieten weiter erhöht.
Die Bundesbank hält die Immobilien für bis zu 40 Prozent überbewertet. Ihre Analysten schrieben im Monatsbericht Februar: »Die Überbewertungen bei Wohnimmobilien nahmen zu.« Die Bundesbank warnt bereits seit Längerem vor einer Immobilienblase, die auch für kreditfinanzierende Banken gefährlich werden könnte. Reagiert hat die Finanzaufsicht Bafin: Sie hat strengere Regeln für Banken und Sparkassen auf den Weg gebracht. Andererseits scheint die Nachfrage nach Wohnungen in allen Preisklassen ungebrochen, was ein Platzen der Blase eher unwahrscheinlich erscheinen lässt.
Die starken Preissteigerungen in Deutschland und anderen europäischen Ländern alarmieren auch den EU-Risikorat: Marktdaten deuteten auf eine »hohe und wachsende Überbewertung« hin, so der ESRB. Deutschland solle mehr gegen den Preisschub tun. Das EU-Aufsichtsgremium empfiehlt, in der Immobilienfinanzierung eine Obergrenze für das Verhältnis von Kredithöhe zu Immobilienwert einzuführen.
Die Hamburger Initiative »Knallt am dollsten«, und nicht nur sie allein, fordert hingegen eine neue Wohnungsbaupolitik, die erschwinglichen Wohnraum für die Mehrheit der Bevölkerung schafft. Die Bebauung der Adler-Areale gehöre in die Hände eines Konsortiums aus Genossenschaften, kommunalen Wohnungsbauunternehmen und selbstverwalteten Projekten.
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