Der Pflegekampf geht weiter

Zum Tag der Pflege steht die Krankenhausbewegung auf der Theaterbühne und auf der Straße

  • Nora Noll
  • Lesedauer: 4 Min.

Initiativen-Speed-Dating, Podiumsdiskussionen, Workshops für den Arbeitskampf – zum »Kongress der Sorge« stehen Mittwochnachmittag keine Schauspieler*innen auf der Bühne des HAU (Hebbel am Ufer), sondern Aktivist*innen. Einen Tag vor dem internationalen Tag der Pflege am 12. Mai treffen sich Vertreter*innen der Berliner Krankenhausbewegung und kleinerer Berliner Initiativen zum politischen Austausch.

Eingeladen wurden sie von dem queer-feministischen Kollektiv »Staub zu Glitzer«. Die Gruppe holt nicht zum ersten Mal den Pflegekampf ans Theater. Im vergangenen Oktober brachte sie den Krankenhausstreik an die Volksbühne und verhalf den Streikenden mit einer viel beachteten Pressekonferenz zu mehr medialer Aufmerksamkeit. Ein Dreivierteljahr später ist der Kampf noch nicht vorbei: Nach den erfolgreichen Tarifverhandlungen mit Charité, Vivantes und den Töchterunternehmen von Vivantes muss die Bewegung nun auf die Umsetzung der Tarifverträge pochen.

Auf dem Kongress soll unter anderem das Bündnis »Gesundheit statt Profite über die anhaltenden Probleme im Krankenhaus- und Pflegebereich sprechen. Silvia Habekost ist Teil der Gruppe und in der Krankenhausbewegung sehr aktiv. Die Pflegerin sieht durchaus die Erfolge der Streiks im vergangenen Jahr. Auf Versprechungen im Koalitionsvertrag, wie eine verpflichtende Personalbemessung, die nicht wie die bisherige Personaluntergrenze auf Kante genäht ist, setzt Habekost allerdings nicht viel Hoffnung. «Es muss eine klare Aufwertung und Entlastung im Sorge- und Care-Bereich stattfinden», sagt sie. Das gelinge letzten Endes nur mit anderen Finanzierungsmodellen: «Uns wird gesagt, wir müssten die Zähne zusammenzubeißen. Das ist zynisch, wenn gleichzeitig Konzerne Profit mit Gesundheitsleistungen machen, die aus den Krankenkassenbeiträgen bezahlt werden.» Für sie ist klar, dass mit Daseinsvorsorge kein Gewinn erzielt werden darf.

Auch Sarah Waterfeld von «Staub zu Glitzer» sieht die ausbeuterischen Verhältnisse im Gesundheitssystem als Symptom eines wachstumswütigen Neoliberalismus. Gleichzeitig betont sie die feministische Relevanz der Pflegekämpfe. «Die Frage ist, wie wir bezahlte und unbezahlte Sorgearbeit zusammendenken. Ich bin selber zweifache Mutter, und ich weiß genau, was es bedeutet, wenn Arbeit unsichtbar gemacht wird.» In beiden Fällen werde Arbeit abgewertet, die als «weiblich» gelte.

Barbara Fried, ebenfalls zum Kongress eingeladen, forscht für die Rosa-Luxemburg-Stiftung zu Sorgearbeit. Sie betrachtet die Ausgrenzung und Abwertung von «weiblicher» Arbeit als Symptom und zugleich Grundlage für Geschlechterungerechtigkeit. «So wie Sorgearbeit organisiert ist, stellt sie die binäre Organisierung von Geschlechtern permanent mit her.» Als Gegenkonzept stellt sie sich eine «sorgende Stadt» vor, in der «die Bedürfnisse aller Bewohnerinnen im Zentrum stehen». Städteplanung spiele dabei genauso eine Rolle, um an öffentlichen Orten wie Nachbarschaftstreffs kollektive Fürsorge zu ermöglichen, wie eine ausreichende Anzahl an Kita-Plätzen. Der Weg dorthin liefe über eine doppelte Vergesellschaftung: Einerseits müsste die soziale und Pflege-Infrastruktur von öffentlicher Hand verwaltet werden. Andererseits müsste die ins Private verdrängte Sorgearbeit – Kinder, Küche und so weiter – vom Rande der Gesellschaft in den öffentlichen Fokus gerückt werden.

Am Mittwoch wird Fried auf einer Podiumsdiskussion mit Vertreter*innen ganz unterschiedlicher Berliner Initiativen sprechen: Mit einer Gewerkschaft von Sexworker*innen, mit der Schlafplatzorga, einer Gruppe für die Unterstützung wohnungsloser Migrant*innen, und mit dem Lesbenwohnprojekt Rut. Was die Gruppen eint, ist ihr selbstorganisierter Charakter und die Vielfältigkeit dessen, was Sorge bedeuten kann. Nämlich sexuelle Fürsorge, Solidarität gegen die Isolierung von Geflüchteten in Lagern oder auch Gemeinschaftlichkeit außerhalb der klassischen Kleinfamilie.

Am 12. Mai, dem internationalen Tag der Pflege, wird die prekäre Realität von Sorgearbeit ebenfalls in die Öffentlichkeit getragen: durch den seit 2016 jährlich stattfindenden «Walk of Care». Um 16 Uhr startet der Demonstrationszug am Invalidenpark, die Organisator*innen rechnen mit einigen Hundert Teilnehmer*innen. Ursprünglich entstand die Gruppe aus einem Gefühl der Frustration heraus. Ruth, Sprecherin von «Walk of Care» und auszubildende Hebamme in Berlin, erzählt, wie Kolleg*innen aus der Pflege einen Katalysator für ihren anstrengenden Arbeitsalltag suchten und einen Pflege-Stammtisch gründeten. Ruth, die selbst anonym bleiben möchte, kennt die Frustration nur zu gut: «Es geht um die Minimalversorgung, also satt, sauber, trocken. Alles andere ist oft nicht möglich.» Die Gruppe wolle deshalb nicht nur als politischer Akteur Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen auf die Straße tragen, sondern den Aktivist*innen weiterhin einen Ort für emotionalen Rückhalt bieten.

Und so schließt sich der Kreis des Pflegekampfes, denn wer sorgt für die, die sorgen? Durch die Ausbeutung bezahlter wie unbezahlter Sorgearbeit fallen Pflegekräfte, aber auch Erzieher*innen, Alleinerziehende oder Ehrenamtliche zum Teil selbst durch das soziale Netz. «Am Ende ist es eine Klassenfrage», betont Barbara Fried. Denn die Abwertung von «weiblicher», also reproduktiver und emotionaler Arbeit ermögliche es, diese Arbeit kapitalistisch auszubeuten, und dränge so Menschen weiter ins Prekariat.

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