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ÖVP-Personalkarussell dreht sich
Österreichs Konservative sortieren ihr politisches Personal, Opposition fordert Neuwahlen
Mit einer umfassenden Regierungsumbildung ist die ÖVP wieder in ihren alten Fahrwassern angekommen. Am Montag waren Tourismus- und Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger und Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck zurückgetreten. Bereits am Mittwoch wurde die Nachfolge für beide geklärt. Es war Eile geboten, denn am Samstag findet in Graz der Bundesparteitag der ÖVP statt. Auf dem soll Bundeskanzler Karl Nehammer von den Delegierten als Parteichef bestätigt werden. Die flott vollzogenen Personalwechsel auf der Regierungsbank sind ein Ausdruck der Rückkehr der ÖVP von einer türkisen Slimfit-Neokon-Truppe zum altbackenen Schwarz bürgerlicher Gefilde.
Traditionell war ein ÖVP-Chef immer auch ein Personal-Jongleur auf wackeligem Boden. Dabei galt es, die verschiedenen Lager in der Partei zufriedenzustellen, die Interessen der Verbände in den Ländern und von parteinahen Organisationen zu berücksichtigen. Kurz hatte das abgestellt, indem er sich zum Alleinherrscher in der Partei gemacht hatte. Nehammer nimmt die alten Gepflogenheiten wieder auf. Immerhin muss er am Samstag eine Wahl überstehen. Es gilt also, möglichst viele Teile der Partei glücklich zu machen.
Allein damit lassen sich die neuen Personalien, aber vor allem auch der Umbau der Ministerien erklären. Denn der ist umfassend und fachpolitisch nur zum Teil nachvollziehbar: Das Landwirtschaftsministerium verliert die Zuständigkeit für die Telekom an das Finanzressort und den Tourismus an das Wirtschaftsministerium sowie den Zivil- und Freiwilligendienst an das Jugendstaatssekretariat. Das Wirtschaftsministerium wiederum gibt den gesamten Digitalbereich an das Finanzressort ab und fusioniert mit dem Arbeitsministerium.
Neuer Landwirtschaftsminister wird Norbert Totschnig, bisher Direktor des ÖVP-Bauernbundes. Tourismus-Staatssekretärin wird Susanne Kraus-Winkler, bisher Obfrau der Sparte Tourismus und ÖVP-Vertreterin in der Wirtschaftskammer. Das Wirtschaftsressort wiederum übernimmt der bisherige Arbeitsminister Martin Kocher. Nur er wird letztlich als ein echter Personalwunsch Nehammers gehandelt.
Die Neubesetzungen sind Ergebnis parteiinternen Gefeilsches. Die Personalauswahl des Niederösterreichers Nehammer steht für einen Ausgleich mit der mächtigen Tiroler ÖVP. Sie gilt wie die ÖVP Niederösterreich und Nehammer selbst als eher schwarz (die alte Parteifarbe) als türkis (die Farbe, die Ex-Kanzler Sebastian Kurz der ÖVP verpasst hatte). Die Tiroler erhalten neben einem Minister (Totschnig) auch einen Staatssekretär: Florian Tursky wird die ins Finanzministerium verlegte Digitalisierung übernehmen. Bisher war Tursky Büroleiter von Tirols Landeshauptmann Günther Platter.
Als Umgestaltung, die »schon den Beigeschmack des klassischen Parteikompromisses und nicht einer Alleinentscheidung des Bundeskanzlers« trage, bewertet der Politologe Peter Filzmaier die Regierungsumbildung. Der Politikberater Thomas Hofer schätzt ein, dass der Bauernbund eine »Erbpacht« auf das Landwirtschaftsministerium hat. Die Bestellung von Susanne Kraus-Winkler zur Tourismus-Staatssekretärin bewertet er als Zugeständnis an den ÖVP-Wirtschaftsbund.
Auf wenig Verständnis stößt das Personalkarussell bei den anderen Parteien. Nehammer ist bereits der dritte Kanzler in dieser Legislaturperiode (seit Anfang 2020). Zählt man Staatssekretäre mit, liegt die Zahl der Abgänge und Neubesetzungen in der Exekutive liegt bei über 100. SPÖ-Fraktionschef Jörg Leichtfried reklamiert auch die Art und Weise der Personalauswahl: »Der Kanzler wählt seine Minister nicht nach Kompetenz aus, sondern danach, keinen Ärger mit der ÖVP Tirol oder dem Bauernbund zu bekommen.« Die SPÖ will nun einen Antrag auf Neuwahlen einbringen. Ins selbe Horn stößt die FPÖ: Generalsekretär Michael Schnedlitz findet, die ausgeschiedene Elisabeth Köstinger solle alle anderen Minister gleich mitnehmen – und so den Weg für Neuwahlen freimachen.
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