Polizei als Nebensache

Kritik an Sicherheitsgesetzen und Fehlentwicklungen bei der Polizei ist in NRW kein Thema

Die Polizei ist nicht nur im Hambacher Forst durch martialisches auftreten aufgefallen.
Die Polizei ist nicht nur im Hambacher Forst durch martialisches auftreten aufgefallen.

Denken wir einmal fünf Jahre zurück. Landtagswahlkampf in Nordrhein-Westfalen. Am Ende wird die CDU stärkste Partei, auch weil sie auf ein Thema gesetzt hat: die innere Sicherheit. Die massenhaften sexualisierten Übergriffe an Silvester 2015/2016 in Köln und die Tatsache, dass der Breitscheidplatz-Attentäter Anis Amri von den Sicherheitsbehörden in NRW nicht aufgehalten wurde, schlachteten die Konservativen damals aus.

Mit seinem Regierungsantritt setzte das Bündnis aus CDU und FDP dann auf Law-and-Order. Mit Genuss inszenierte sich Innenminister Herbert Reul als schwarzer Sheriff. Gerne ließ er sich mit polizeilichen Spezialeinheiten fotografieren. Schon nach einem halben Jahr Schwarz-Gelb wurde ein Papier bekannt, in dem es um ein neues Leitbild für die Polizei ging. Diese sollte gewaltfähiger werden, mehr »Robustheit« im Auftreten zeigen. Parallel dazu wurden die individuelle Kennzeichnung von Polizist*innen abgeschafft und die Schaffung von Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE) angekündigt.

Diese frühen Vorhaben zeigen, in welche Richtung sich Nordrhein-Westfalen unter CDU und FDP entwickeln sollte, nämlich mehr Härte. Sie wurden in den letzten fünf Jahren durch zahlreiche Vorfälle unterfüttert. Etwa der Tod von Amad Ahmad in der Justizvollzugsanstalt Kleve. Der junge Mann war festgenommen und für eine mit Haftbefehl gesuchte Person gehalten worden. Nachdem Amad Ahmad zwei Monate unschuldig im Gefängnis saß, starb er bei einem Feuer in seiner Zelle.

Auch der größte Polizeieinsatz in der Geschichte Nordrhein-Westfalens geht auf die schwarz-gelbe Landesregierung zurück. Wochenlang räumten Tausende Polizist*innen aus dem ganzen Bundesgebiet die Klimaschutz-Besetzung des Hambacher Forstes. Die arg konstruierte Begründung dafür lautete »Brandschutzmängel«. Vergangenen Herbst stellte ein Gericht fest, dass die Räumung rechtswidrig war.

Auch die Polizei selbst sorgte immer wieder für Negativschlagzeilen. Chatgruppen mit rassistischen und neonazistischen Inhalten wurden bekannt. Über die Essener Polizei wurde ein internes Papier zur Bekämpfung der »Clankriminalität« bekannt. Darin heißt es, dass Hunde eingesetzt werden sollen, weil die bei den arabischstämmigen Clanmitgliedern als »unrein« gelten. Auch der Einsatz von Polizistinnen wird begrüßt, weil dominant auftretende Frauen die Clanmitglieder in ihrer Ehre »verletzen«.

Thema im Landtagswahlkampf ist das alles nicht. Die CDU würde gerne über innere Sicherheit sprechen. Innenminister Reul gehört zu den beliebtesten Politikern im Land. In den vergangenen Wochen lud er fast jeden Tag zu einem Pressetermin ein, der die gute Arbeit veranschaulichen oder kommende Projekte vorstellen sollte. Doch kaum jemand interessiert sich derzeit dafür. In Umfragen zu den wichtigsten Problemen im Land taucht innere Sicherheit nicht auf den vorderen Plätzen auf. Dementsprechend wenig wird auch in Talkshows zum Wahlkampf, Podiumsdiskussionen oder Interviews darüber geredet. Das ärgert zwar in erster Linie die CDU, sollte aber auch die gesellschaftliche Linke besorgt stimmen.

Warum Parteien, die für einen progressiven Kurs in der Sicherheitspolitik stehen, das Thema nicht ansprechen, konnte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im nordrhein-westfälischen Landtag in der vergangenen Woche erfahren. In Duisburg gab es eine Schießerei mit mehreren Verletzten. Hintergrund soll eine Auseinandersetzung zwischen einem »Clan« und Rockern der Hells Angels sein. Innenminister Reul nutzte den Vorfall, um darauf hinzuweisen, wie erfolgreich sein Kampf gegen die »Clans« ist und wie wichtig es sei, dass die CDU-Regierungspartei bleibt, um am Thema dranbleiben zu können. Die Grünen-Politikerin Schäffer warnte im WDR davor, den Vorfall »aufzubauschen« und mahnte an, erst einmal die Hintergründe des Duisburger Vorfalls zu ermitteln. Flankiert von einem Artikel in der »Bild«-Zeitung, erntete Schäffer im Internet einen Shitstorm für ihre Kritik. Sie wurde als »irre«, »verblendet« und unter Realitätsverlust leidend beschimpft.

Die öffentliche Resonanz dürfte dazu beitragen, dass die innere Sicherheit von den eher progressiven Parteien nicht im Wahlkampf thematisiert wird. Dabei haben sowohl Grüne als auch mit Abstrichen die SPD einige wichtige Punkte in diesem Themenbereich in ihren Wahlprogrammen stehen. So wollen die Grünen die Kennzeichnungspflicht bei der Polizei wieder einführen und Taser, außer für Spezialeinheiten, abschaffen. Eine Sensibilisierung der Polizei für Rassismus und rechtsextreme Einstellungen wollen beide vorantreiben. Dies soll mit wissenschaftlichen Studien belegt werden. Grüne und SPD wollen auch das im vergangenen Jahr eingeführte und extrem restriktive Versammlungsgesetz reformieren. Die Grünen wollen dabei die Möglichkeiten der Videoüberwachung stark zurückfahren und einzelne Straftatbestände, etwa das Vermummungsverbot, in Ordnungswidrigkeiten umwandeln.

Tausende Menschen, die in den letzten Jahren gegen die Verschärfung von Polizei- und Versammlungsgesetz in Nordrhein-Westfalen auf die Straße gegangen sind, dürfte das freuen. Sorgenvoll sollte sie aber stimmen, dass sich die Themen weit hinten auf den Seiten 81 bzw. 85 in den Wahlprogrammen von SPD und Grünen finden. Dass die beiden Parteien es nicht für nötig halten, mit der Rückgewinnung von Freiheitsrechten und der Zurückdrängung einer repressiven, in Teilen rassistischen Polizei offensiv in die Öffentlichkeit zu gehen, zeigt die Schwäche der gesellschaftlichen Linken. Die Gesetzesverschärfungen mobilisierten nur wenige tausend Menschen, die Kampagnen flauten schnell wieder ab. Todesfälle in Polizeigewahrsam oder rechte Vorfälle mobilisierten nur wenige hundert Menschen. Der Kampf für Freiheitsrechte spielt in Nordrhein-Westfalen derzeit nur eine untergeordnete Rolle.

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