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Dynamisch in jede Richtung

Reproduktive Rechte sind umkämpft und umstritten

  • Kirsten Achtelik
  • Lesedauer: 4 Min.

Ungleichzeitig und dynamisch – so lässt sich der Kampf um reproduktive Rechte weltweit treffend beschreiben, wenn man keine Schimpfworte benutzen darf. In den USA droht mit dem sehr wahrscheinlich gewordenen Fall von Roe v. Wade ein Rückfall in die sechziger Jahre, inklusive Angst vor Verbluten – weil ungewollt Schwangere, die selbst abgetrieben haben, sich nicht zu eine*r Ärzt*in trauen –, Gefängnis für Fehlgeburten und ungewollte Kinder, weil man nicht die Ressourcen hatte, sie zu verhindern. 

Alle Rechte zur Disposition

Schlimm genug, stehen in den USA in vielen Bundesstaaten nicht nur reproduktive Rechte vor dem Aus: gleichgeschlechtliche Ehen, homosexueller Sex an sich, ja sogar säkuläre und staatliche Bildung sind gefährdet. Auf der Abschussliste der selbst ernannten Gotteskrieger der christlichen Rechten steht alles, was nicht in der Bibel als gottgefällig beschrieben steht. Da reicht es dann auch nicht mehr, hunderte Kilometer zu fahren, was bei einer Abtreibung immerhin oft noch eine Option ist. Kein Wunder, dass der Protest groß ist, aber auch die Wut auf die Demokratische Partei, die trotz ihrer Mehrheit in beiden Kammern vor allem dazu aufruft, zu spenden und sie bei den nächsten Wahlen zu wählen. 

In Deutschland geht es demnächst wohl einen Minischritt nach vorne: Die Ampel-Koalition ist sich einig, dass sie das Werbeverbot für Abtreibungen abschaffen will. Pro-Choice-Feministinnen feiern das anlässlich der ersten Lesung für die Streichung des Paragraphen 219a im Bundestag am Freitag als Erfolg für die Informationsfreiheit von Frauen und Ärzt*innen. Ob dies an der realen Situation ungewollt schwangerer Personen viel ändern wird, darf allerdings bezweifelt werden. Immerhin betonte die neue Frauenministerin Lisa Paus (Grüne) in ihrer Rede, selbstverständlich solle niemand anders als die schwangere Person über die Weiterführung oder den Abbruch derselben entscheiden. Schwangerschaftsabbruch gehöre nicht ins Strafgesetzbuch, um eine andere Lösung zu finden, solle demnächst eine Kommission eingesetzt werden. 

Das klingt eigentlich gut, es gibt aber berechtigten Grund zum Misstrauen: »Diese Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin« ist schon im Koalitionsvertrag festgelegt worden. Beschäftigen soll sie sich nicht nur mit möglichen Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches, sondern auch mit »Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen Leihmutterschaft«. Pro-Choice Feminist*innen, deren Fokus darauf liegt, dass Frauen mit ihrem Körper machen können, was sie wollen, werden das begrüßen. Intersektionale und materialistische Ferminist*innen, die gegen komplexe Unterdrückungsmechanismen kämpfen, kann das nur beunruhigen. 

Eine Freigabe dieser Reproduktionstechnologien hätte viel mit dem unerfüllten Kinderwunsch gut situierter, älterer Paare, aber wenig mit der Selbstbestimmung über den eigenen Körper zu tun. Die Frau, die den dringenden Wunsch verspürt, ihre Eizellen anderen zur Verfügung zu stellen oder ein Kind für andere auszutragen, gibt es wohl vor allem in der Fantasie von FDPler*innen. Ohne zu bestreiten, dass ein unerfüllter Kinderwunsch eine schmerzvolle Erfahrung ist, sollte er nicht wie eine Diskriminierungs- oder Unterdrückungserfahrung behandelt werden, die eine mit Zwang ausgetragene Schwangerschaft ohne Zweifel ist.

Ambivalente Linksliberale

Das spanische Beispiel zeigt, wie man es besser machen kann, wenn einer linksliberalen Regierung umfassende reproduktive Rechte wichtig sind: Reproduktive Gesundheit soll dort demnächst auch das Recht auf Schwangerschaftsabbruch für Minderjährige umfassen und Krankentage bei Menstruationsschmerzen. 

Andererseits ist in Spanien die Eizellabgabe schon lange sehr weitgehend liberalisiert. Ein Register, das sicherstellen soll, dass junge Frauen nicht unbegrenzt ihre Eizellen »spenden«, ist seit Jahren beschlossen, wird aber nicht eingeführt. Studentinnen finanzieren damit ihr Studium, in der Krise wurde es genutzt, um die Hypotheken abbezahlen zu können. Das Land ist zu einem der Reprotourismus-Hotspots in Europa geworden, aus der großen und aktiven feministischen Bewegung ist sehr wenig Kritik daran zu hören.

Reproduktive Rechte sind weder leicht zu erkämpfen, noch gibt es unter Feminist*innen Einigkeit über ihren jeweiligen Stellenwert. Es gibt noch viel zu demonstrieren und zu diskutieren.

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