- Politik
- Nato-Beitritt
Nordische Konsequenz
Finnland und Schweden reagieren auf Putins-Angriffskrieg mit Nato-Betrittswunsch
Am Sonntag war es dann so weit: Finnlands Staatsführung hat ganz offiziell beschlossen, der Nato beizutreten. Staatspräsident Sauli Niinistö und das Komitee für Außen- und Sicherheitspolitik verkündeten die Entscheidung am Sonntagmittag gemeinsam in Helsinki. Nun wird im finnischen Parlament Eduskunta ein letzter Rapport der Mitte-links-Regierung über die veränderte sicherheitspolitische Lage diskutiert. Schon am Mittwoch könnte ein offizielles Beitrittsgesuch per Brief in Brüssel übergeben werden. In Rekordzeit von nur 81 Tagen hatte sich nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine die öffentliche Meinung gedreht, die Verbindungen nach Washington und London verfestigt und ein intensiver, parlamentarischer Klärungsprozess eingesetzt.
Bereits vergangenen Donnerstag hatten sich Präsident Sauli Niinistö von der konservativen Sammlungspartei und die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Sanna Marin gemeinsam für einen Nato-Beitritt ausgesprochen. Am Sonnabend folgte dann die sozialdemokratische Parteiführung. In der bisher letzten Umfrage des öffentlich-rechtlichen Rundfunks YLE sprachen sich 76 Prozentder Befragten für einen Beitritt zur Nato aus. Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine hatte sich der Wind in Europas Nordosten gedreht. Die jahrzehntelange neutrale Haltung Finnlands schmolz Angesichts russischer Gräueltaten in Butscha und dem Artilleriefeuer in Mariupol in Windeseile. Auch wenn man nicht zur eigentlichen »Russkiy Mir«, zur russischen Einflusssphäre, gehört stieg die gefühlte Bedrohungslage massiv an. Besonders hellhörig wurde man in Stockholm und Helsinki, als Ende 2021 aus Moskau verlautbart wurde, die beiden nordischen Länder sollten nicht Teil des Nordatlantikpakts werden. Die Drohungen der Pressesprecherin des russischen Außenministeriums Maria Zakharova am 25. Februar ein Nato-Beitritt hätte »schwere politische und militärische Konsequenzen« taten ihr Übriges. Russlands Agieren wird als unberechenbar eingeschätzt und der, auch atomare, Schutzschirm der Nato-Mitgliedstaaten als einzige Option wahrgenommen, einer theoretisch möglichen russischen Aggression zu entgehen.
Überraschend deutlich wurde bei der Erklärung am Donnerstag auch der finnische Präsident. Niinistö wurde in den vergangenen Jahren ein gutes Arbeitsverhältnis mit Wladimir Putin nachgesagt. Nach dem Angriffskrieg auf die Ukraine will Niinistö den russischen Verlautbarungen aber nicht mehr trauen: »Ihr habt das verursacht – schaut in den Spiegel!«, so der finnische Präsident in Richtung Moskau. Am Sonnabend hatte Niinistö dann in einem von Finnland ausgehenden Telefonat dem russischen Präsidenten die Entscheidung mitgeteilt, Finnland entscheide als souveräner Staat allein über seine Sicherheitspolitik. Putin bezeichnete im Telefonat einen finnischen Nato-Beitritt als Fehler und unterstrich, dass es keine Bedrohung der finnischen Sicherheit durch Russland gäbe.
Als besonders sensibel gilt die jetzt beginnende Wartezeit bis zum offiziellen Beitritt zum Militärbündnis. Alle Parlamente der 30 Nato-Mitgliedsstaaten müssen den Beitritt der nordischen Partner ratifizieren, dieser Prozess kann bis zu einem Jahr dauern. Finnland und Schweden haben sich für die Übergangsphase politische Sicherheitsgarantien aus London geholt. Vergangene Woche besuchte der britische Premierminister Boris Johnson dafür Helsinki und Stockholm. Auch wenn die dort unterzeichneten Sicherheitsgarantien nicht die Tragweite des Artikel 5 des Nordatlantikvertrags haben, kann an der britischen Ernsthaftigkeit nicht gezweifelt werden. Britische Truppen könnten beispielsweise verstärkt bei Übungsmanövern in Schweden und Finnland präsent sein und die britische Marine im Ostseeraum aktiver werden.
Besorgt werden mögliche Einflussnahmen aus Russland während der Ratifizierungsperiode gesehen: In den vergangenen Wochen gab es mehrere Verletzungen des finnischen und schwedischen Luftraumes durch russische Maschinen. Mitte April wurde am Tag der Videoansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor dem finnischen Parlament die Webseiten des finnischen Außen- und Verteidigungsministeriums angegriffen, die kurzzeitig nicht erreichbar waren.
Schweden und Finnland sind seit langem an Nato-Manövern beteiligt, ihre Ausrüstung und Infrastruktur mit denen der Nato interoperabel und modernste Waffensysteme kommen bereits seit Jahrzehnten von US-amerikanischen Rüstungsfirmen. Durch einen finnischen Beitritt zur Nato wird sich die Landgrenze zwischen dem Nordatlantikpakt und Russland mehr als verdoppeln, denn Finnland hat eine über 1300 Kilometer lange Grenze mit dem östlichen Nachbarn.
Erwartet wird, dass Finnland und Schweden sich dem eher verhaltenen Kurs der anderen Nordischen Länder anschließen. Weder in Dänemark noch in Norwegen sind Truppen anderer Nato-Länder stationiert. Auch werden die Staaten selbst wahrscheinlich atomwaffenfrei bleiben. Besonders letzteres ist für mögliche Spannungen im Ostseeraum ausschlaggebend.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.