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Sorge vor neuem »Radikalenerlass«

Verdi lud anlässlich des 50. Jahrestages der Berufsverbote zu einer Diskussionsveranstaltung

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.
Protestzug gegen Berufsverbote, zu dem die Initiative "Weg mit den Berufsverboten" aufgerufen hatte, in Bonn. Foto: dpa
Protestzug gegen Berufsverbote, zu dem die Initiative "Weg mit den Berufsverboten" aufgerufen hatte, in Bonn. Foto: dpa

Am 28. Januar 1972 wurde vom damaligen Bundeskanzler Willy Brandt gemeinsam mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer der sogenannte Radikalenerlass verkündet. Er sah vor, dass sämtliche Bewerber*innen für den öffentlichen Dienst daraufhin überprüft wurden, ob sie vorbehaltlos zur freiheitlich demokratischen Grundordnung stehen. Das Kürzel fdgo wurde in den 1970er Jahren zum Synonym für einen autoritären Staat, die Überwachung von Linken der unterschiedlichen Couleur und die Zerstörung von Lebensperspektiven vieler junger Menschen in der BRD. Das wurde am 17. Mai auf einer Veranstaltung in der Bundeszentrale der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in Berlin deutlich. Ursprünglich war sie zum 50. Jahrestag Ende Januar 2022 geplant, musste aber pandemiebedingt verschoben werden.

Die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Andrea Kocsis bat die Betroffenen um Entschuldigung dafür, dass auch die Führungen von mehreren DGB-Gewerkschaften den »Radikalenerlass« damals weitgehend mitgetragen haben und innerhalb ihrer Organisationen selber mit Ausschlüssen gegen linke Kritiker*innen vorgegangen sind. Sie bezog sich dabei vor allem auf die Vorgängergewerkschaften von Verdi, wie die ÖTV und die Bahn- und Postgewerkschaft im DGB. Kocsis erteilte allen Plänen für eine neue Regelanfrage für Beamt*innen im öffentlichen Dienst als Beitrag im Kampf gegen Rechts, wie aktuell in Brandenburg geplant, eine Absage. Auch die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin warnte davor, dass wie schon vor 50 Jahren wieder in erster Linie kritische Linke betroffen wären. Die Rechtsanwältin führte den Fall eines jungen Wissenschaftlers an, der in Bayern, wo die Regelanfrage schon eingeführt wurde, um eine Einstellung an einer Universität kämpfen muss, weil er Mitglied der linken Gefangenensolidaritätsbewegung Rote Hilfe ist.

Däubler-Gmelin machte deutlich, dass der Radikalenerlass nicht konkrete Taten und Äußerungen sanktionierte, sondern sich auf Prognosen berief, nach denen sich Menschen in Zukunft verfassungsfeindlich betätigen könnten. Das aber sei ein Bruch mit rechtsstaatlichen Grundsätzen, betonte die Juristin und langjährige Sozialdemokratin, die betonte, dass sie bereits in den 1970er Jahren in der SPD zu den Gegner*innen des Radikalenerlasses gehörte. Mit Hinrich Enderlein war auch ein profilierter FDP-Politiker, der sich früh gegen den Radikalenerlass einsetzte, auf der Veranstaltung zu Gast.

Das Engagement antifaschistischer Gruppen und nicht ein neuer Radikalenerlass sei das beste Mittel gegen Rechts, erklärte die Bundesvorsitzende der VVN-Bund der Antifaschist*innen, Cornelia Kerth, in ihrem Beitrag. Sie erinnerte daran, dass ihre Organisation über Jahre wegen eines Eintrags im bayerischen Verfassungsschutzbericht der Entzug der Gemeinnützigkeit drohte.

Allerdings wurde an dem Abend deutlich, dass neben der historischen Aufarbeitung auch materielle Entschädigung für die Betroffenen der Berufsverbote geleistet werden muss. Viele müssen heute mit einer geringen Rente leben, weil ihnen die Einstellung verwehrt wurde. Selbst in Niedersachsen, das Vorbild bei der Aufarbeitung der Berufsverbotspraxis war, ist die Frage der Entschädigung noch nicht geklärt. Enttäuscht zeigte sich Däubler-Gmelin über den Grünen-Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, der als ehemaliges Mitglied einer maoistischen Partei selber vom Radikalenerlass betroffen war, diese Praxis heute verteidigt. Die Arbeitsergebnisse eines Forschungsprojekts über die Praxis des sogenannten Radikalenerlasses in Baden-Württemberg an der Geschichtsfakultät der Universität Heidelberg konnten bisher wegen der Erkrankung eines der beteiligten Professoren nicht vorgestellt werden. Es bleibt also noch viel zu tun für die Betroffenen der Berufsverbote und dafür brauchen sie auch Unterstützung der jüngeren Generation, die allerdings bei der Veranstaltung nur schwach vertreten war. Am kommenden Freitag lädt die Berliner VVN-BdA um 19 Uhr zu einer Veranstaltung ins Rathaus Schöneberg ein.

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