Konsumkritik ernstnehmen

HEISSE ZEITEN – DIE KLIMAKOLUMNE: Ehrliche Auseinandersetzung statt linker Besserwisserei

  • Lasse Thiele
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Klimakrise führt viele Menschen zur verstärkten Auseinandersetzung mit ihren Konsumgewohnheiten und denen anderer. Sehr kluge Linke wissen dann schnell zu kommentieren: Konsumkritik, das ist doch regressiv und verkürzt, typisch bürgerliche Individualisierung, schon bei Marx war ja klar, dass die Zirkulationssphäre bloß nachgelagert ist, es kein richtiges Leben im Falschen gibt. Fall erledigt, weitermachen. Verkürzen tut bloß auch diese kritische Kritik der Konsumkritik fleißig und droht so, politisch in die Irre zu führen.

Fraglos braucht es ein linkes Korrektiv zu einer liberalen Besser-Einkaufen-Nabelschau, nach der »wir alle« täglich »mit unserem Geldbeutel« über Arbeitsbedingungen und Nachhaltigkeit »abstimmen« würden. Natürlich ist der Konsument gegenüber Konzernen und globalen Lieferketten nicht »souverän«. Sicher ist die Konsumgesellschaft als spätkapitalistische Notwendigkeit zu verstehen, der die Einzelne selbst mit Verzicht wenig entgegensetzen kann. Auch der persönliche »CO2-Fußabdruck« ist in hohem Maße durch soziale Verhältnisse strukturiert und steigt mit der eigenen Klassenposition. Werbung für »korrekten« Konsum suggeriert dagegen, wer mehr ausgebe, sei der bessere Konsument.

Doch erstens ist Konsum entgegen der liberalen Auffassung per se nichts bloß Individuelles, sondern geprägt durch gesellschaftliche Konsumnormen. Politische Kritik an diesen ist notwendig und muss nicht auf »Klassenhass von oben« hinauslaufen. Wo der laut wird, müssten Linke auf die sozial gleichberechtigte Erfüllung wichtiger Bedürfnisse als Maßstab pochen – nicht auf den Status Quo (siehe Fleischdebatte). Zweitens ist aus materialistischer Sicht wenig verwunderlich, dass in spätkapitalistischen Gesellschaften der Zugang zu systemkritischen Perspektiven für viele Menschen über Konsumfragen funktioniert. Sie gehen einem Unbehagen nach, das im Warenfetisch wurzelt: Wie, durch wen und mit welchen Kollateralschäden wurde das hier wohl produziert? Linke können diese Zugänge politisieren – oder spotten. Der Weg von Fassungslosigkeit über Zehn-Minuten-Privatflüge von Elon Musk zur Auffassung, dass Milliardär*innen nicht existieren sollten, lässt sich von links ebnen – oder mit kontextbefreiten Theoriezitaten blockieren.

Drittens ignoriert die kritische Kritik die Realität der »imperialen Lebensweise«: Dank Klimakrise und knapper Ressourcen ist der Überkonsum der einen mehr denn je der Unterkonsum und die Überausbeutung der anderen. Diese Kritik macht sich so zum Ausdruck einer deutschen Externalisierungsgesellschaft, deren Mehrheit, in Stephan Lessenichs treffenden Worten, »über die Verhältnisse anderer« lebt. Wer an deren Konsumnormen festhält, verteidigt praktisch auch die weltweiten Produktionsverhältnisse. Diese demokratische Interessenpolitik im nationalen Rahmen wirkt ähnlich systemstabilisierend wie die Kapitallobby selbst.

Viertens zeigt die Debatte, wie sehr manche Linke, gerade bürgerlicher Herkunft, den magischen Bequemlichkeiten des spätkapitalistischen Alltags erlegen sind. Glitzernde Elektronik, Fast Fashion, Fly Anywhere: Wer sich von diesen Maßstäben nicht löst, müsste den Kapitalismus ausgerechnet in seiner Glanzdisziplin Billigkeit schlagen – und ist seinen grünen Technikversprechen aufgesessen. Die Verdrängung mündet im Extremfall in kindliche Phantasien eines vollautomatisierten Luxuskommunismus, in dem alle alles für nichts bekommen. Den wird es nicht für acht Milliarden Menschen geben. Eine Konsumnorm, die nicht global demokratisierbar ist, kann keine linke Position sein. An der Stelle ist mancher Konsumkritiker schon weiter.

Das Beiseitewischen jeder Konsumkritik ist nicht nur ein antideutsches Feuilletonklischee. Es ist auch von gewerkschaftsnahen Linken zu hören, denen mehr an Anschlussfähigkeit als an Theorie gelegen ist und die eine klassenkämpferische Klimapolitik anstreben. Dieser unterstützenswerte Plan erspart aber nicht die harte Auseinandersetzung mit Konsumnormen und eine Neubestimmung des zu erkämpfenden guten Lebens. Das ist weder einfach noch populär. Doch andernfalls droht man sich näher als beabsichtigt an den Wagenknechtschen Linksnationalismus zu manövrieren – und landet so ähnlich weit daneben wie die liberale Konsumkritik.

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