Richter dürfen Regeln brechen

Rechtswidrige Psychiatrieeinweisung Jugendlicher: Gericht sah keine Rechtsbeugung. Linke moniert schlechte Fehlerkultur in Hessens Justizministerium

Die Einweisung von Menschen, von Jugendlichen gar, in eine Einrichtung für psychisch Kranke ist eine schwerwiegende Maßnahme. An der Entscheidung darüber müssen viele Parteien beteiligt werden, nicht zuletzt die Betroffenen. Eigentlich. In der Realität entscheiden oft Gutachter und manchmal sogar Richter allein und nach Gusto.
Die Einweisung von Menschen, von Jugendlichen gar, in eine Einrichtung für psychisch Kranke ist eine schwerwiegende Maßnahme. An der Entscheidung darüber müssen viele Parteien beteiligt werden, nicht zuletzt die Betroffenen. Eigentlich. In der Realität entscheiden oft Gutachter und manchmal sogar Richter allein und nach Gusto.

Der Fall hat es in sich: In mindestens 18 Fällen hat ein Richter des Amtsgerichts Biedenkopf zwischen 2013 und 2016 Jugendliche rechtswidrig in psychiatrische Einrichtungen eingewiesen. Vor der Anordnung oder Genehmigung freiheitsentziehender Maßnahmen hörte er dabei nicht wie vorgeschrieben die Beteiligten an, also die Betroffenen selbst, die Sorgeberechtigten, Verfahrensbeistände oder das Jugendamt. In der Folge verbrachten die Jugendlichen teilweise mehrere Wochen oder gar Monate in geschlossenen Psychiatrien.

Eine Kammer des Landgerichts Marburg verhandelte die Ende 2016 nach einer gerichtsinternen Überprüfung bekannt gewordenen Fälle im März – und sprach den 61-Jährigen vom Vorwurf der Rechtsbeugung frei. Zur Begründung ihres Plädoyers für einen Freispruch erklärte die zuständige Staatsanwaltschaft, die berufliche Überlastungssituation des Angeklagten habe bei dessen Vorgehen eine Rolle gespielt. Zudem habe er offenbar nicht aus »sachfremden Motiven« gehandelt. Dabei hatte das Gericht zuvor in den angeklagten Fällen Verstöße gegen »zwingende verfahrensrechtliche Vorschriften« festgestellt. Zudem hatte der Richter die in Rede stehenden Fälle freiwillig übernommen, er hätte dies auch ablehnen können.

Die Linke im Hessischen Landtag nahm den Fall zum Anlass für eine Anfrage an das Justizministerium. Christiane Böhm, Sprecherin der Linksfraktion für Soziales, Frauen, Familien und Kinder und Justizvollzug, wollte von Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) wissen, welche Konsequenzen ihr Haus aus diesem Fall in Sachen Prävention ziehe.

Die Antwort kam Mitte vergangener Woche. Die Ministerin teilt in dem »nd« vorliegenden Schreiben mit, die Einhaltung von Vorschriften sei insgesamt hinreichend gewährleistet, beim Fehlverhalten des Richters handele es sich um einen »Einzelfall«. Kühne-Hörmann verwies auf die Möglichkeit der Verfahrensbeteiligten, Beschwerde gegen eine Richterentscheidung einzulegen oder einen Antrag auf Ablehnung zu stellen. Zudem laufe das interne Disziplinarverfahren noch.

Christiane Böhm findet diese Auskünfte nicht zufriedenstellend. Sie hält den Fall für einen »Justizskandal, der nicht dadurch gemildert wird, dass der Richter beruflich überlastet gewesen sein soll«. Im Gespräch mit »nd« sagte sie, der Fall offenbare ebenso wie die Fälle der im April wegen Korruptionsverdachts vom Dienst suspendierten Angehörigen der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main, dass es im Justizministerium »offensichtlich keine Fehlerkultur« gebe. Es fehle »die Bereitschaft, Maßnahmen zu ergreifen, mit denen derartiges Fehlverhalten künftig unmöglich gemacht wird«.

Böhm fordert zudem eine Entschädigung aller Betroffenen der rechtswidrigen Psychiatrieeinweisungen durch das Land Hessen. »Ob für Tage oder Wochen: Grundlos in eine psychiatrische Klinik eingewiesen zu werden, ist Freiheitsberaubung, die gerade bei Jugendlichen durchaus langfristige Folgen haben kann«, gibt die Abgeordnete zu bedenken. Dass die Ministerin nicht tätig werden wolle, um wenigstens eine Entschädigung anzustoßen, findet Böhm »beschämend«.

Böhm kritisiert seit Jahren generell die Zustände in der Psychiatrie, die rechtlichen Grundlagen für Einweisungen und die Personalausstattung in den Einrichtungen in Hessen. Ein Problem sei dabei nach wie vor das »Gutachterunwesen«. Die freiberuflichen Gutachter lieferten Richtern nicht selten Einschätzungen, die in die vom Auftraggeber gewünschte Richtung gehen, um sich Folgeaufträge zu sichern. Dies lasse sich freilich oft nur schwer nachweisen. Böhm sieht in einer vom Land Baden-Württemberg geschaffenen staatlich finanzierten Einrichtung ein Vorbild, in der unabhängige Gutachter arbeiten, bei denen die Richter Fallanalysen in Auftrag geben müssen.

Eine Studie der Münchner Medizinprofessorin Ursula Gresser hatte bereits 2014 ergeben, dass es sich bei einem großen Teil der von Richtern in Auftrag gegebenen psychiatrischen Expertisen um »Gefälligkeitsgutachten« handele. Gresser hatte sich unter anderem jahrelang für die Freilassung des sieben Jahre zu Unrecht in der geschlossenen Psychiatrie festgehaltenen Gustl Mollath eingesetzt.

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