Antifa ist Kulturarbeit

Paul Mason begründet, wie wichtig der Kampf gegen Rechts ist

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 5 Min.

Als Marine Le Pen vor einigen Wochen die Stichwahl um die französische Präsidentschaft dann doch deutlich verlor, dürften in ganz Europa viele Menschen erleichtert aufgeatmet haben. Aber: Sie hatte ihre Stimmen im Vergleich zu 2017 immerhin fast verdoppelt, und beim Rassemblement National hofft man nun, im Schulterschluss mit anderen rechten Parteien bei den Parlamentswahlen im Juni die politischen Kräfteverhältnisse doch noch verschieben zu können.

Wie sehr die Rechte global gesehen gerade auf dem Vormarsch ist, in wie vielen Regierungen von Rio bis Mumbai sie sitzt oder mitmischt, welche politischen Geländegewinne sie in den vergangenen Jahren zu verzeichnen hatte, lässt sich nachlesen in Paul Masons neuem Buch. Laut dem britischen Hochschullehrer und Publizisten ist es längst überfällig, sich gegen die Rechten in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen zu stellen und einen gesellschaftlich breit aufgestellten Antifaschismus zu organisieren. Denn Rechtsextremismus, Rechtspopulismus und autoritärer Konservatismus schaffen es, durch Synergieeffekte politische Diskurse nachhaltig zu verschieben und dem Faschismus Vorschub zu leisten. »Der Sturm auf das Kapitol ist ein Lehrbeispiel dafür, dass Konservatismus, Rechtspopulismus und Faschismus begonnen haben, bewusst miteinander zu interagieren.«

Den Faschismus versteht der 1960 in der nordenglischen Industriestadt Leigh geborene Ex-Trotzkist Mason, der lange bei der BBC arbeitete und sich selbst als Marxisten bezeichnet, vor allem als wiederkehrendes Symptom eines Systemversagens im Kapitalismus. Die zunehmende Krisenhaftigkeit der vergangenen Jahre, aber auch die gewonnenen Freiheiten bisher marginalisierter Gruppen, macht für viele Menschen, vor allem enttäuschte weiße Männer, die sich als Verlierer sehen, das politische Angebot von Neofaschisten bis autoritären Konservativen attraktiv. Rechte und Neofaschisten wissen geschickt auf der Klaviatur der Ängste vor sozialen, kulturellen und mithin politischen Veränderungen zu spielen. In Anlehnung an Erich Fromm versteht Mason den Faschismus auch als »Furcht vor der Freiheit, geweckt durch eine Ahnung von Freiheit«. Diverse Faschismustheorien werden kurz angerissen, wobei sich Mason vor allem an Robert Paxtons Arbeiten der 2000er Jahre orientiert, in denen der Faschismus nicht nur als Ideologie, sondern auch als politische Praxis verstanden wird.

Mason geht es um historische Vorgänge, bei denen sich Kräfteverhältnisse verschoben haben und die analog zu heutigen Entwicklungen gelesen werden können. Er fokussiert sich dabei auf Italien, Deutschland, Frankreich und Spanien von den 1920ern bis in die 1940er Jahre. Er kritisiert die Unfähigkeit der Linken, sich gegen den Faschismus zu verbünden. Vor allem die von der Komintern bis Mitte der 1930er propagierte Sozialfaschismusthese, nach der die Sozialdemokratie zum vorrangigen Feind und wesentlichen Bestandteil des Faschismus erklärt wurde, ist für ihn ein Grund einer nachhaltigen Lähmung der Linken, die unbedingt überwunden werden müsse. Die Zusammenschlüsse der Volksfronten in Frankreich und Spanien seiner Meinung nach beispielhaft für einen funktionierenden Antifaschismus.

Für die notwendigen breiten Bündnisse müsse sich die Linke sogar auf die Liberalen einlassen, soweit diese bereit sind, sozialpolitische Zugeständnisse zu machen, wie das etwa US-Präsident Franklin D. Roosevelt in den 1930er Jahren tat. Mason ist durchaus klar ist, dass die illiberalen Demokratien der Autokraten, von denen es heutzutage immer mehr gibt, auch Versuche des Kapitalismus sind, sich »angesichts strategischer Bedrohungen zu wandeln, um so sein Überleben zu garantieren«. Den breit aufgestellten Antifaschismus sieht Mason neben politischen Bündnissen auch in einer Kulturpolitik, die einen eigenen Ethos erzeugt, der die Linke mit der Mitte der Gesellschaft verbindet und den Faschisten das Wasser abgräbt. Als Beispiel führt er den Filmklassiker »Casablanca« an, der 1942 nicht nur vom antifaschistischen Kampf an der Peripherie erzählte, sondern auch Antifaschisten und exilierte Menschen am Filmset zusammenführte. Wie wichtig die Auseinandersetzung in der kulturellen Sphäre neben breiten Bündnissen, die Hundertausende auf die Straße bringen und den Antifaschismus hierzulande etwa im Zuge der »Unteilbar«-Kampagne auch außerhalb eines linken Antifa-Ghettos in die Mitte der Gesellschaft brachte, liegt auf der Hand.

Den Rechten ist das längst klar, wie unlängst Michael Colborne in seinem Buch über die ukrainische Asow-Bewegung beispielhaft beschrieb. In der für viele rechte Akteure weltweit überaus attraktiven, diverse Strömungen umfassenden Bewegung ist man sich der eigenen Hippness bewusst und geht damit hausieren. Der metapolitische Ansatz einer Rekrutierung im vorpolitischen Feld ist erfolgreich, wie Colborne an einem Beispiel belegt. Im Frühling 2021 tauchten bei einem unpolitischen Musikfestival in Kiew auf Plakaten Symbole des Sonnenkreuzes und Frankfurtschriften auf, die sonst von Nazis genutzt werden und somit in einen kulturellen Alltags-Kanon einfließen. Dem gilt es etwas entgegenzuhalten.

Aktuelle Beispiele dieser »Politisierung der Kunst« statt einer »Ästhetisierung der Politik«, die der Faschismus vornimmt (Walter Benjamin), fehlen leider völlig in Masons Buch. Dabei gibt es sie zuhauf. So die eben erst angelaufene zweite Staffel der Star Trek-Serie »Picard«, in der eine Gruppe Menschen in einer parallelen Zeitlinie in eine faschistische Zukunft der Erde transportiert wird und daraufhin alles unternimmt, um dies ungeschehen zu machen. Die Serie ist ein Stück globaler Massenunterhaltung, die auch zahlreichen unpolitisierten Trekkie-Fans ein Narrativ nahebringt, in dem es cool und vor allem unumgänglich ist, gegen den Faschismus zu kämpfen. Das Diverse, das Nicht-Heterosexuelle, das Solidarische, das Antifaschistische ist die gemeinsame Zukunft, um die kollektiv gerungen werden muss.

Noch expliziter findet sich dieses Narrativ gegen Rassismus, gegen jeden gewaltförmigen Ausschluss und Männerhass in N.K. Jemisins Roman »Die Wächterinnen von New York«. Dieser ungemein politische und kämpferische Roman wurde von der hiesigen Literaturkritik bisher sträflich vernachlässigt. Dabei erzählt Jemisin genau von jenen schwierigen Prozessen des sich Zusammenfindens gegen einen scheinbar übermächtigen Feind. In dem Fantasy-Roman der Brooklyner Autorin ist das eine an den Rassisten, Antisemiten und Hitler-Bewunderer H.P. Lovecraft angelehnte Macht aus einem anderen Universum, die sich mit rechten Trollen, Anti-Feministen, homophoben Machos und neurechten Aktivisten zusammentut. Auf der anderen Seite stehen New Yorks Bezirke, die von Menschen verkörpert werden. Damit sich der in Jura promovierende schwule Manni aus Manhattan, die in die Jahre gekommene Brooklyner Hip-Hop-Größe MC Free Thomason, die queere Künstlerin und Community-Aktivistin Bronca aus der Bronx und die proletarische Padmini aus Queens gegen die faschistischen Monster zusammenfinden, muss erst Solidarität hergestellt werden. Und genau darum geht es in Masons Buch.

Paul Mason: Faschismus. Und wie man ihn stoppt. Suhrkamp, 443 S., geb., 20 €.

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