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Besprechung zum Massenmord vor dem Frühstück

Die Wannsee-Konferenz und das spätere Attentat auf den Tagungsleiter Reinhard Heydrich

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Im Zuge der »Endlösung der europäischen Judenfrage kommen rund elf Millionen Juden in Betracht«. So heißt es im Protokoll der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942. Es folgt eine Liste, wo all die Menschen leben, die deportiert und ermordet werden sollen: Allein fünf Millionen in der Sowjetunion und 765 000 in Frankreich. Estland, so ist in der Liste vermerkt, sei bereits »judenfrei«, in Lettland seien nur noch 3500 übrig. Denn der Massenmord läuft längst. Juden werden erschossen, mit Autoabgasen erstickt oder mit Zyklon B vergast.

Die Wannsee-Konferenz

Bei der Konferenz in einer Villa am Wannsee geht es nun darum, das effektiv zu organisieren und die Behandlung sogenannter Mischlinge zu klären. Überliefert ist die Einladung von Unterstaatssekretär Martin Luther vom Auswärtigen Amt durch SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich. Luther solle sich am 20. Januar 1942 um 12 Uhr zur »Besprechung mit anschließendem Frühstück« Am Großen Wannsee 56-58 einfinden. Zu den 15 Teilnehmern der Konferenz gehören Staatssekretäre und Ministerialdirektoren verschiedener Ressorts sowie Mitarbeiter des von Heydrich geleiteten Reichssicherheitshauptamtes.

Heydrich selbst reist aus Prag an. Dort übt er seit September 1941 die Funktion des stellvertretenden Reichsprotektors für Böhmen und Mähren aus. Er hat das Sagen. Sein nomineller Vorgesetzter Konstantin von Neurath ist auf unbestimmte Zeit beurlaubt, weil er bei der Behandlung der Tschechen angeblich nicht die nötige Härte gezeigt habe.

Das Attentat

Heydrich überlebt die Wannsee-Konferenz, bei der es um die Auslöschung der europäischen Juden geht, nicht einmal fünf Monate. Als er sich am 27. Mai 1942 von dem Schloss, in dem er mit seiner Familie wohnt, zu seinem Dienstsitz auf der Prager Burg chaufferen lässt, verüben die von der Londoner Exilregierung ausgesandten tschechoslowakischen Fallschirmspringer Jozef Gabčík und Jan Kubiš ein Attentat auf den SS-Obergruppenführer. Am 4. Juni erliegt er den Folgen seiner Verletzungen. Die Faschisten treiben einen gewaltigen Aufwand und setzen eine hohe Belohnung aus, um die flüchtigen Fallschirmspringer zu ergreifen. Diese verbergen sich mit anderen Agenten in den Katakomben einer Kirche. Doch ihr Versteck wird verraten und am 18. Juni ausgehoben. Kubiš wird bei dem Feuergefecht mit Polizei und SS verletzt und stirbt auf dem Weg ins Krankenhaus. Gabčík tötet sich selbst, als ihm die Munition auszugehen droht.

Der Verleger Joachim Jahns hat jetzt in seinem Dingsda-Verlag »Anmerkungen zu Reinhard Heydrich« veröffentlicht. Mehr als die Hälfte des Buches widmet Jahns dem Attentat. Auf 100 Seiten ist der Schlussbericht des Ermittlers Heinz Pannwitz vom 25. September 1942 im vollen Wortlaut abgedruckt. Das Dokument wurde 1974 unter dem Dach der Dorfkirche von Nimritz in Thüringen gefunden und an das DDR-Ministerium für Staatssicherheit übergeben. Jahns ist im Stasi-Unterlagenarchiv darauf gestoßen. Er ist nicht der erste, der es veröffentlicht. Bereits 2012 habe der Historiker Vojtěch Šustek den Schlussbericht in den ersten Teil seiner dreibändigen Publikation zum Attentat auf Heydrich aufgenommen, erklärt Jahns. Leider habe das in Deutschland wenig Beachtung gefunden.

Die Entdeckung

Die »Anmerkungen« sind interessant. Eine Biografie darf der Leser aber nicht erwarten. Stattdessen greift Jahns einzelne Aspekte aus dem Leben Heydrichs heraus. Bei seinen umfänglichen Recherchen machte er auch eine Entdeckung. Seit 1922 diente Heydrich in der Reichsmarine. Nachdem er sich Ende 1930 mit seiner späteren Frau Lina von Osten verlobte hatte, ging bei der Marine daraufhin die Beschwerde eines Vaters ein, mit dessen Tochter Heydrich zuvor eine Beziehung hatte und der er angeblich die Ehe versprochen hatte. In der Marine galt damals ein strenger Ehrenkodex und das Verhalten Heydrichs wurde als eines Offiziers unwürdig eingestuft. 1931 wurde er entlassen.

Die Karriere von Reinhard Heydrich schien erledigt. Doch er fand bald eine neue Anstellung bei SS-Chef Heinrich Himmler. Er soll Himmler beim Vorstellungsgespräch beeindruckt haben, indem er aus dem Handgelenk einen Plan für den Aufbau eines Nachrichtendienstes der SS entwarf. Dabei hatte er sein Wissen angeblich nur aus minderwertigen Kriminalromanen. Verleger Jahns erläutert, dass Heydrich wohl keineswegs unvorbereitet in das Gespräch ging, dass er ein Vertrauter des Geheimdienstlers Wilhelm Canaris gewesen und von diesem zu Himmler geschickt worden sei. Die Geschichte mit der verschmähten Braut könnte extra eingefädelt gewesen sein, als Legende, warum Heydrich die Marine verlassen musste und eine neue Arbeit brauche. Bisher war die Identität der Frau, die von Heydrich fallen gelassen wurde, nicht geklärt.

Jahns tippt nun auf Erika Holmgren, die in der Potsdamer Mangerstraße 31 wohnte, und präsentiert zwei Bilder, die sie im trauten Zusammensein mit Reinhard Heydrich zeigen. Erikas Mutter Elisabeth saß von 1919 bis 1933 für die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) im Potsdamer Stadtparlament. Heydrich gab also Erika Holmgren den Laufpass und entschied sich für Lina von Osten, die bereits als 19-Jährige der NSDAP beitrat. Nach dem Tod ihres Mannes lebte Lina Heydrich weiter in dem Schloss bei Prag. Für die Pflege des Parks bekam sie KZ-Häftlinge gestellt. 1945 floh sie nach Bayern und ging dann auf die Ostseeinsel Fehmarn. 1948 wurde sie in der Tschechoslowakei in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt, weil ein jüdischer Häftling bei der Arbeit für die Heydrichs von einem Baum erschlagen wurde. Doch die Briten lieferten Lina Heydrich nicht aus. 1958 erstritt sie vor dem Landessozialgericht Schleswig, die Hinterbliebenenrente für den Massenmörder Reinhard Heydrich gezahlt zu bekommen.

Joachim Jahns: »Mein lieber Kamerad Heydrich. Anmerkungen zu Reinhard Heydrich«, Dingsda-Verlag, 287 Seiten, 34,99 Euro

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