Klimaretter in Kluft

Die Handwerkskammer Berlin will am Image der Ausbildungsberufe schrauben

  • Patrick Volknant
  • Lesedauer: 5 Min.
Mit Handarbeit gegen die Klimakrise: Zwei Auszubildende des Berliner Lehrbauhofs.
Mit Handarbeit gegen die Klimakrise: Zwei Auszubildende des Berliner Lehrbauhofs.

»Mittlerweile jagt seit zwei Jahren eine Krise die nächste«, sagt Carola Zarth, Präsidentin der Handwerkskammer Berlin, auf deren Jahrespressekonferenz am Freitag. Gerade erst hätten die Branchen dank der sich entschärfenden Corona-Lage »Licht am Ende des Tunnels« gesehen, als plötzlich der Krieg in der Ukraine wieder für Ernüchterung sorgte. »Egal, ob wir über Mehl und Öl reden für Bäckereien, über Ersatzteile für Kfz-Werkstätten oder Wärmepumpen und intelligente Heizungen für den Klimawandel« – die Handwerksbetriebe spüren die Auswirkungen des Konflikts derzeit sehr deutlich, so Zarth.

Für die Chef-Handwerkerin kommen die Schwierigkeiten zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. »Der Berliner Senat hat sich viele Aufgaben für die Legislatur gestellt, und ganz oben auf der Agenda stehen das Thema Wohnungsbau und die Klimaziele dieser Stadt«, sagt Zarth, die dem Handwerk hierbei eine große Bedeutung zuschreibt. »Es stellt sich die Frage, wie das gelingen soll.« Neben den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine hätten Betriebe in der Hauptstadt nach wie vor mit dem Dauerthema Fachkräftemangel zu kämpfen.

Umso stärker betont Zarth, wie wichtig es nun für das Handwerk sei, mehr junge Menschen für die Ausbildung zu gewinnen. Was die Handwerkskammer-Präsidentin vermitteln will: Handwerksberufe sind auch Berufe für Klimaretterinnen und Klimaretter. »Irgendeiner muss es machen, irgendeiner muss das bauen, was wir für unsere Klimaziele haben wollen«, sagt Zarth.

Ihre Hoffnung liegt auf den jüngeren Generationen und deren Engagement gegen die Klimakrise: »Wenn sich nur ein Viertel der jungen Leute bei Fridays for Future für einen Handwerksberuf entscheiden würden, würde ich mich persönlich dafür einsetzen, dass am Freitag weiter demonstriert werden kann.« Es müsse den jungen und gut ausgebildeten Berlinerinnen und Berlinern endlich klargemacht werden, dass das Leben, das sie führen, nur mit dem Handwerk möglich sei.

Jürgen Wittke, Hauptgeschäftsführer der Berliner Handwerkskammer, bemüht im Zusammenhang mit dem Fachkräftemangel ein sommerliches Bild: »An einem sehr, sehr überfüllten Schwimmbad fahren gerade noch zehn Busse vor mit Leuten, die sich auch abkühlen wollen.« Soll heißen: Schon vorher war die Lage für das Berliner Handwerk angespannt, nun steigen die Anforderungen noch zusätzlich.

Seit 2019 ist die Zahl der Beschäftigten im Berliner Handwerk laut Handwerkskammer rückläufig. Bei der alljährlichen Frühjahrsumfrage der Interessenvertretung gaben lediglich zwölf Prozent der befragten Betriebe in der Hauptstadt an, derzeit zusätzliches Personal einstellen zu können. Etwa doppelt so viele klagen allerdings über eine schwindende Belegschaft.

Was sich in Berlin zeigt, ist laut Wittke in ganz Deutschland zu beobachten: »Jetzt schon können 56 000 Stellen im Handwerk nicht besetzt werden, die direkt offen sind.« Dazu kämen noch etwa 12 000 unbesetzte handwerkliche Stellen zum Beispiel in der Industrie. Das Handwerk liege damit deutlich über dem, was andere Wirtschaftszweige an Fachkräftemangel zu beklagen hätten, so Wittke. Während der Anteil der unbesetzten Stellen in der gesamten Wirtschaft im bundesweiten Durchschnitt rund 27 Prozent betrage, seien es im Handwerk ganze 36 Prozent.

Positive Entwicklungen zeigen sich jedoch im Vergleich zum vergangenen Coronajahr. Hier habe sich die Lage der Betriebe, so Wittke, insgesamt deutlich verbessert: »Das Handwerk kommt wieder in Fahrt – wenn auch mit Tempolimit beim Blick in die Zukunft.« Insgesamt habe der Geschäftsklimaindex des Berliner Handwerks im Vergleich zum Vorjahr acht Zähler zugelegt und stehe nun bei 107 Punkten.

Hinzu kommt: Den Angaben der Handwerkskammer zufolge sichert das Auftragspolster der Berliner Betriebe derzeit im Durchschnitt Arbeit für die nächsten drei Monate. Auch wenn viele Aufträge aufgrund von Lieferengpässen erst mit Verzögerung ausgeführt werden können, sei die Verbesserung im Vergleich zum Vorjahr deutlich zu erkennen. Damals lag das Auftragspolster nur bei rund zweieinhalb Monaten. Im Vergleich zum Vorjahr verbessert hat sich auch die Auslastung der Produktions- und Dienstleistungskapazitäten. Sie stieg von 78,5 Prozent im Frühjahr 2021 auf nun 84,7 Prozent.

Von Optimismus kann beim Handwerk in Berlin dennoch nur bedingt die Rede sein. »Ob sich dieser Aufschwung auch in den kommenden Monaten fortsetzen wird, darüber herrscht Skepsis unter den Betrieben«, sagt Wittke. Rund ein Viertel von ihnen gehe von einer Verschlechterung der eigenen Geschäftslage aus, während nur 19 Prozent eine Verbesserung erwarteten. Jürgen Wittke sagt: »Wir sehen, dass eine große Unsicherheit besteht.«

Wie die Präsidentin der Handwerkskammer sieht auch Wittke in der Deckung des Fachkräftebedarfs die entscheidende Frage für die Zukunft des Handwerks. Um den Mangel beseitigen zu können, fordert der Geschäftsführer der Handwerkskammer politische Unterstützung: »Wenn die Politik es ernst damit meint, von den fossilen Energien wegzukommen, dann müssen bei den Rahmenbedingungen auch heilige Kühe geschlachtet werden.«

Wittke zufolge könnten auch neue Quotenregelungen an den Hochschulen dafür sorgen, dass weniger junge Menschen in die geisteswissenschaftlichen Studiengänge strömen: »Wir werden die Energiewende nicht bestehen können, wenn alle vergleichende Literaturwissenschaften studieren.« Nach wie vor gelte das Studium als Privileg, obwohl die Bezahlung in und nach einer handwerklichen Ausbildung oftmals doch besser sei. Der natürliche Spieltrieb werde bei Kindern bereits früh in der Schule »abgetötet«.

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