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(K)ein Abgesang auf die Linke
Online-Konferenz attestiert der Linken »existenzielle Krise«. Anträge beim Parteitag sollen »Richtungsentscheidung« herbeiführen
Dass sich die Linke in einem miserablen Zustand befindet, dafür gibt es zahlreiche Belege. Einer der jüngsten: der Einbruch von 4,9 Prozent auf 2,1 Prozent bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl. Die Kommentierung der Wahlniederlage durch viele Linke-Funktionäre wirkte mittlerweile gut eingeübt. Dank an die Wahlkämpfer*innen, bitterer Abend, weitermachen, damit es beim nächsten Mal besser wird. In den sozialen Netzwerken boten mehr oder weniger begabte Parteistrategen ihre Analysen an. Zu viel oder zu wenig Wagenknecht. Zu viel Russlandfreundlichkeit oder eine Anbiederung an die Nato wurden als Erklärung für die Niederlage angeboten. Im Prinzip haben alle geschrieben und gesagt, was sie immer sagen.
Dieses Muster will eine kleine Gruppe von Parteimitgliedern durchbrechen. Die »Viererbande« aus Konstanze Kriese, Paul Schäfer, Luise Neuhaus-Wartenberg und Alban Werner hatte für Samstag zum Linken-Ratschlag eingeladen, einer Online-Konferenz, bei der es um nicht weniger gehen sollte als die »Existenz der Partei«. Im Vorfeld verfassten die Initiatoren eine Erklärung mit dem Titel: »So darf es nicht weitergehen, sonst geht es nicht weiter«. Ihr Ziel: »Einen Debattenraum« jenseits des in der Partei typischen eröffnen, wie Alban Werner gegenüber dem »nd« erklärte. Jenseits der üblichen Strömungen und Zusammenschlüsse sollten »Teufelskreise der Selbstbeschäftigung« aufgebrochen werden.
Das hat funktioniert. Unter den Teilnehmenden der Konferenz waren Linke aus ganz unterschiedlichen Strömungen und mit ganz unterschiedlichen Rollen in der Partei. Vom Berliner Senator Klaus Lederer bis zum Basis-Mitglied aus dem Ruhrgebiet. Für Inputs hatten die Initiatoren verschiedene Referent*innen eingeladen, die der Partei kritisch verbunden sind.
Der »Taz«-Redakteur Stefan Reinecke attestierte der Partei, dass ihre Gründungserzählung nicht mehr funktioniere. Im Osten funktioniere es nicht, Regierungs- und Protestpartei gleichzeitig zu sein, im Westen sei die Zeit als Anti-Agenda-2010-Partei vorbei. Der Linke fehle ein »organisierendes Zentrum«, das Inhalte entwickele und Widersprüche aushandle. Reinecke stieß auf viel Zustimmung. Desöfteren war von einer »gespaltenen« oder »tief zerrissenen« Partei die Rede. Gerade die Außen- und Sicherheitspolitik der Linken sei ein »Desaster«. Von der Enthaltung bei der Afghanistan-Abstimmung im Sommer 2021 bis zur Vielstimmigkeit im Ukraine-Krieg.
In diesem Kontext wurde auch über den anstehenden Parteitag in Erfurt gesprochen. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete Paul Schäfer bezeichnete den Antrag des Parteivorstands in Bezug auf den Krieg als »unbrauchbar«, er führe nur »weiter in den Abgrund«. Schäfer forderte, es brauche in Erfurt gute Änderungsanträge. Ein Ziel, auf das sich mehrere Teilnehmer der Konferenz verständigen konnten. Ein Antrag soll erarbeitet werden, der das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine betont. Man müsse ehrliche Pazifisten inhaltlich mitnehmen können, sich aber gleichzeitig klar von Putin-Fans abgrenzen, so eine inhaltliche Forderung für den Antrag.
Die Hoffnungen, mit so einem Antrag eine Mehrheit der Delegierten zu überzeugen, waren bei der Konferenz nicht allzu ausgeprägt. In der Friedenspolitik seien viele sehr festgelegt, sie sei »identitätsstiftend« für die Partei. Auch andere Anträge und Debattenbeiträge, die von den Initiatoren des Ratschlags für unterstützenswert gehalten werden, sollen auf der Seite derlinkeratschlag.de gesammelt werden.
Nach dem Erfurter Parteitag will man sich wieder treffen, wahrscheinlich nicht online, sondern in Präsenz, darüber beraten, wie der Parteitag ausgegangen ist, ob es sich lohnt weiterzumachen. Dass die Geduld bei vielen Linken-Mitgliedern aufgebraucht ist, wurde bei der Konferenz deutlich. Erfurt wollen manche noch abwarten. Aber wenn dort kein inhaltlicher Klärungsprozess beginnt, ist für sie Schluss.
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