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Abschied vom Afrika-Abend
Leipziger Zoo soll sich von Klischees verabschieden und sichtbarer mit kolonialer Vergangenheit brechen
»Hakuna Matata« heißt »keine Sorgen«. Mit dieser Redewendung auf Swahili überschreibt der Zoo Leipzig eine Abendveranstaltung, bei der Besucher »Afrika live erleben« können sollen. Es gibt Trommelklänge und Tanz; Kleidung, die selbstverständlich als »farbenfroh« beschrieben wird, und Gerichte, die als »fremd« und »exotisch« beworben werden. Für den Zoo sind die Abende eine gute Einnahmequelle. Allein »Hakuna Matata« findet jährlich ein Dutzend Mal statt; bis zu 200 Gäste zahlen jeweils 109 Euro ohne Getränke. Ähnliche Veranstaltungen drehen sich um Brasilien, Südamerika oder Asien.
Spätestens Ende des Jahres ist freilich Schluss mit den Abenden in ihrer jetzigen Form. Das hat der Stadtrat jetzt auf Antrag des Migrantenbeirats beschlossen. Vorangegangen war eine jahrelange Debatte um die Veranstaltungen, die nach Ansicht von Kritikern von Klischees und Stereotypen strotzen. Ein Kontinent mit rund 1,3 Milliarden Bewohnern und extremer kultureller Vielfalt werde auf wenige, vermeintlich typische Merkmale reduziert. Der Zoo, ein städtischer Eigenbetrieb, der zu den größten touristischen Attraktionen der Stadt gehört und 2021 trotz Pandemie rund 1,25 Millionen Gäste verbuchte, solle sie durch Formate ersetzen, die »differenziert und reflektierend« auf Geschichte, Kulturen und Gesellschaften blicken.
Mit der Realität in afrikanischen Ländern haben die Abende bisher nichts zu tun. Vielmehr dienten sie dazu, das »Exotisierungsbedürfnis einer weißen Mehrheitsbevölkerung (zu) bedienen«, heißt es im Antrag des Migrantenbeirats. Die Rede ist von der noch immer verbreiteten »Unart«, nicht-weiße Menschen als »fremd« zu beschreiben. Das habe negative Auswirkungen auf ihr alltägliches Leben in Deutschland. Ihre Wurzeln habe diese Sichtweise im Kolonialismus, als Menschen in den Kolonien und ihre Kulturen als »primitiv« dargestellt wurden, um ihre Ausbeutung zu rechtfertigen. Damit, dass er diese Sichtweise propagiert, knüpft der Leipziger Zoo nach Ansicht seiner Kritiker auf unschöne Weise an die eigene, unselige Geschichte an: Es gebe, so der Antrag, »verstörende Parallelen« zu den »Völkerschauen« des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.
Solche »Menschenzoos« waren in europäischen Tiergärten der Zeit populär; in Leipzig fanden ab 1876 rund 40 statt, bei denen über 750 Menschen unter teils entwürdigenden Bedingungen zur Schau gestellt wurden. Völkerschauen hätten »zur Verbreitung und Schärfung eines eurozentrischen und rassistischen Blicks« beigetragen und damit die »Unterdrückung, Versklavung, Ermordung und Vergewaltigung kolonisierter Menschen gerechtfertigt«, sagt die Initiative »Leipzig Postkolonial«, die sich mit dem kolonialen Erbe in der Stadt beschäftigt und dabei auch den Blick auf den Zoo richtet. Gemeinsam mit anderen Gruppen in einem Bündnis »Decolonize Zoo« drängt sie ihn zu kritischer Reflektion.
Die derart kritisierte Institution reagierte bisher brüsk. »Die Behauptung, es gebe ein Versäumnis bei der Aufarbeitung der Zoo-Geschichte, weist der Zoo zurück«, erklärt er auf seiner Internetseite. In einem vom Zoo bei ihm in Auftrag gegebenen Gutachten räumte der Historiker Mustafa Haikal im Sommer 2020 zwar ein, bei der Befassung mit der Vergangenheit habe die koloniale Frage womöglich »nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit« gestanden, »aber sie hatte ihren Platz und wurde keineswegs verschwiegen«. Er wirft seinerseits den Kritikern vor, »moralische Kategorien« einzusetzen, um sachliche Diskussionen zu erschweren. Max Wegener von »Leipzig Postkolonial« wiederum sieht den Zoo als »eine der letzten Institutionen in der Stadt, die sich sehr sperrt«. Anlässlich der Debatte im Stadtrat erneuerte das Bündnis »Decolonize Zoo« seine Kritik: Es gebe bisher keine Aufarbeitung durch unabhängige Experten, mit Organisationen von Betroffenen werde nicht kooperiert, Ergebnisse der Recherchen nicht »sichtbar und zugänglich« präsentiert.
Der Zoo verwahrte sich anlässlich der Ratsdebatte dagegen, dass ihm rassistisches Verhalten, die Fortsetzung kolonialistischen Handelns und die Reproduktion rassistischer Stereotype vorgeworfen würden. Man werde »unabhängig von politischen Beschlüssen« den Dialog mit dem Migrantenbeirat und den Künstlern der Abendveranstaltungen fortsetzen. Eine brasilianische Sambagruppe wiederum, die bisher an der »Festa do Brasil« beteiligt war, weist den Ratsbeschluss entschieden zurück und spricht von einem »schweren Eingriff in die Kunstfreiheit«, der einer Zensur gleichkomme.
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