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»Verstoß gegen die Menschenwürde«

Rechtsexpertin Lena Hornkohl spricht über die Situation der Todesstrafe weltweit

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 5 Min.

Warum ist die Todesstrafe in den Rechtsordnungen vieler Staaten verankert?

Zum einen besteht eine Tradition. Die USA beispielsweise haben ja schon immer die Todesstrafe gehabt und rücken nicht von ihren Positionen ab. Das ist diese gefestigte Meinung: Man hat das halt immer schon so gemacht. Die USA haben allgemein ein sehr traditionalistisches Rechtsverständnis und eine sehr traditionalistische Auslegung der Verfassung: Die Verfassung wurde 1787 geschrieben, damals gab es die Todesstrafe und deshalb halten wir daran fest.

Interview

Dr. Lena Hornkohl ist Mitglied der Amnesty International Koordinationsgruppe gegen die Todesstrafe. Sie studierte Rechtswissenschaften in Heidelberg, Uppsala und Brügge, promovierte in Heidelberg und arbeitete als Rechtsanwältin in Brüssel. Derzeit forscht sie zu europarechtlichen Fragen. Mit ihr sprach Cyrus Salimi-Asl.

Ähnlich wie beim Thema Abtreibung?

Ja, genau oder Waffenrecht. Die USA sind ein westliches Land, das immer noch die Todesstrafe anwendet, vollzieht und Todesurteile ausspricht. Zum Teil stehen auch religiöse Einflüsse hinter der Todesstrafe. Was du jemandem antust, musst du auch selbst verbüßen, gemäß dem alttestamentarischen Spruch »Auge um Auge, Zahn um Zahn«: Wenn du jemanden umbringst, wirst du selber umgebracht, vollzogen vom Staat. Manchmal werden auch ganz verrückte Argumente angeführt: Gefangene kosten den Staat unheimlich viel Geld, die Todesstrafe nicht. Jemanden 40 Jahre während einer lebenslangen Freiheitsstrafe durchzufüttern, belastet den Staatshaushalt, eine Giftspritze nicht. Und dann wird die Todesstrafe in Staaten mit ohnehin recht grausamen Strafrechtssystemen angewendet. Für viele Staaten auf der Liste können wir gar keine Zahlen nennen. Der Jahresbericht ist keine wissenschaftliche, empirische Arbeit, sondern der Versuch, die Zahlen zu erfassen, die man erfassen kann. Und in vielen Ländern ist die Todesstrafe auch ein Instrument der Unterdrückung.

Wie groß ist denn die Zustimmung der Bevölkerung zur Todesstrafe?

Da spielen Emotionen immer eine große Rolle. Wenn beispielsweise ein Familienangehöriger getötet wird, kann die Forderung nach der Todesstrafe hoch kommen. Der Staat sollte in seinem Rechtshandeln jedoch keine emotionale Regung kennen, Richter, Staatsanwälte und Polizisten müssen neutral mit so einer Situation umgehen. Aber die Todesstrafe ist kein neutraler Umgang, dahinter steht der Rachegedanke, und die meisten zivilisierten Nationen haben sie abgeschafft. Das ist eines der grundrechtstaatlichen Gebote. Ob die USA ein zivilisierter Staat sind, diese Interpretation überlasse ich Ihnen.

Warum haben in einigen Ländern die Hinrichtungszahlen im Gegensatz zu 2020 derart zugenommen, zum Beispiel im Iran oder in Saudi-Arabien?

Die im Bericht angedeuteten Gründe, warum sich die Zahlen verändert haben, sind nur Mutmaßungen. Allgemein lässt sich sagen, dass es in den vergangenen Jahren coronabedingt Aussetzungen gab für die Hinrichtungsvollstreckung; die wurden dann wieder aufgehoben und da wurde sicher auch einiges nachgeholt. Was Iran und Saudi-Arabien anbelangt, sind diese beiden Länder zusammen mit Ägypten verantwortlich für 80 Prozent aller bekannten Hinrichtungen. Für China haben wir keine dokumentierten Zahlen. Es ist häufig so, dass wenn die internationale Aufmerksamkeit sich wegbewegt von einem Land, dann Todesurteile wieder vollstreckt werden. Das sieht man auch an Japan nach den Olympischen Spielen: 2021 wurden drei Menschen gehängt, nach einer zweijährigen Vollstreckungspause.

Amnesty International dokumentiert seit 1979 Fälle von Todesstrafen und Hinrichtungen. Hat Ihre Arbeit Einfluss gehabt auf die Reduzierung der Anzahl der Länder, die die Todesstrafe anwenden?

Wir haben sicher mit dazu beigetragen. Eines der großen Themen von Amnesty International ist die Abschaffung der Todesstrafe. Dadurch, dass jedes Jahr ein Bericht erscheint, übersetzt wird, die Medien darüber berichten – soweit es freie Medien gibt – und so das Thema ins Bewusstsein der Bevölkerung kommt, haben wir konkrete Erfolge vorzuweisen, insbesondere bei Einzelfällen mit Petitionen und Briefaktionen, auf die Reaktionen folgen. Ob das jetzt das Hinausschieben eines Moratoriums ist oder die Umwandlung der Todesstrafe in lebenslange Freiheitsstrafe. Wir hatten das oft in den USA, wo quasi noch in letzter Minute die Hinrichtung aufgeschoben wurde. Das hat immer wieder Erfolg, aber natürlich nicht immer. Die Todesstrafe ist eine absolute Strafe, die selbst so grausam ist, dass man sich das gar nicht vorstellen kann. Und das ist auch einer der Gründe, warum wir gegen die Todesstrafe sind. Daran zeigt sich auch, wie ein Staat in seiner Sozialpolitik versagen kann, um derartiges Leid von vorneherein zu verhindern.

Was spricht denn gegen die Todesstrafe?

Die Todesstrafe verstößt gegen die Grundprinzipien der Menschenwürde und des Rechtsstaats: in ihrer Absolutheit, weil sie keine Fehler zulässt und von einem überholten Verständnis von Staat und Strafen ausgeht; und in ihrer Vollstreckung, weil sie oftmals sehr grausam ist. Ein gutes Beispiel dafür sind wieder die USA, wo bereits mehrere Menschen so qualvoll hingerichtet wurden, weil der Medikamentencocktail nicht gepasst hat.

Wie antworten Sie auf das Argument der Abschreckung durch Todesstrafe?

Bei Morddelikten handelt es sich zum Großteil um Taten im Affekt. In dieser Situation denkt man nicht über die mögliche Todesstrafe nach. Studien belegen, dass es keinen Unterschied macht in der Anzahl von Straftaten – mit oder ohne Todesstrafe. Das zeigt sich insbesondere, wenn ein Land die Todesstrafe abschafft: Es kommt dann eben nicht zu einem Anstieg der Anzahl schwerer Straftaten. Das Fehlen jeder abschreckenden Wirkung zeigt sich insbesondere in Ländern, die die Todesstrafe wegen Drogendelikten verhängen und wo trotzdem regelmäßig Menschen wegen dieser Vergehen verhaftet werden.

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