- Politik
- Steigende Mieten in Schweden
Kühles Willkommen für Vonovia
Deutscher Immobilienkonzern drängt erfolgreich auf den schwedischen Wohnungsmarkt
Der schwedische Mieterverein und die Interessenvertretungen von Hausbesitzern und Wohnungskonzernen haben Anfang Mai ein Übereinkommen präsentiert, das die Rechte der Mieter stärker berücksichtigen soll. Die Vereinbarung beinhaltet ein neues Format bei der Festlegung der Mieten nach dem sogenannten »Malmöer Modell«. Dieses erlaubt es den Mietern, ihre Wohnkosten unter Berücksichtigung des Zustands der Wohnung, deren Lage und Attraktivität zu bewerten und überhöhte Preise auf dieser Grundlage infrage zu stellen. Unter anderem sollen damit Mieterhöhungen aufgrund von Renovierung oder Modernisierung gebremst werden. Allerdings befürchten Aktivisten schon länger, dass ein solches Punktesystem die Wohnkosten weiter nach oben schnellen lässt. Renovierungsbedürftig sind inzwischen viele der Wohnungen aus Schwedens größtem Projekt des sozialen Wohnungsbaus: den großen Plattenbauten des »Millionenprogramms«. In den 1960er Jahren wurden in Schweden eine Million Wohnungen gebaut, um günstige Bleiben für eine wachsende Bevölkerung anzubieten. Viele der einstigen Neubausiedlungen besitzt seit 2019 eine deutsche Firma: Vonovia. Nachdem sich der Konzern die beiden Immobilienfirmen Victoria Park und Hembla einverleibt hatte, bekam er am 1. Januar 2022 in Schweden einen neuen Namen: Victoriahem. Aus steuerlichen Gründen, berichtete das schwedische Mietermagazin »Hem & Hyra«, ist das Unternehmen in 200 Tochtergesellschaften aufgeteilt. Mit insgesamt 38 000 Wohnungen in den drei größten Städten Stockholm, Malmö und Göteborg sowie in mehr als zehn weiteren ist der deutsche Riese inzwischen auch eine der größten Immobilienfirmen Schwedens.
Nachdem der Konzern bereits in Deutschland wegen hoher Mieten viel Kritik erhalten hatte, ist er auch auf dem schwedischen Markt nicht bei allen willkommen. Mieter aus Stockholmer Außenbezirken klagten in mehreren Reportagen von »Hem & Hyra« über mangelhafte Instandhaltungen. So wurde etwa Marie Asplund, die in einem Gebäude der Vonovia-Tochter Hembla wohnt, versprochen, ihr Badezimmer zu renovieren – stattdessen wurden die Schäden mit Klebeband überklebt. Asplund wohnt bereits seit 21 Jahren in ihrer Wohnung, ohne dass daran jemals etwas renoviert wurde. Erst nach der Berichterstattung reagierte die Firma.
Wie in jedem Jahr hat der Mieterverein 2020 unter seinen Mitgliedern eine große Umfrage durchgeführt, in der sie ihre Wohnsituation bewerten sollten. 56 000 Mieterinnen und Mieter beteiligten sich, 1600 Antworten bezogen sich auf Quartiere von Victoria Park und Hembla – mit 43 von 100 möglichen Punkten lag ihre Bewertung unter dem Durchschnitt von 58 Punkten. Und der Trend zeigt abwärts. Ein Beispiel dafür ist die nun zu Victoriahem gehörende Göteborger Großsiedlung Bergsjön. Wurde sie 2019 noch mit durchschnittlich 41 Punkten bewertet, lag der Wert 2021, also zwei Jahre nach dem Kauf durch Vonovia, nur noch bei 18.
Bei Victoriahem reagiert man auf Vorwürfe gelassen. Zwar habe es in der Vergangenheit Fälle gegeben, in denen die Verwaltung nicht optimal reagierte. Doch jetzt gebe es Handlungspläne für die einzelnen Gebiete. Kommunikationschef Jonatan Öhman verweist gegenüber »nd« auf den Preis »Kundenkristall«, den die Firma 2022 für gestiegene Kundenzufriedenheit gewonnen hat. Eine Studie der von Victoriahem beauftragten Firma AktivBo zeigt das ebenfalls. Allerdings bleibt durchaus noch Spielraum nach oben. Besonders schlecht bewertet wurden die Sauberkeit und Sicherung der Kellerräume gegen Einbruch sowie die Reinigung der in Schweden üblichen gemeinschaftlichen Waschküchen und des Müllraums. Die Ergebnisse sind auf der Webseite von Victoriahem einsehbar und auch hier gelobt die Firma Besserung. Zugleich kündigt sie hier bereits Mieterhöhungen im Rahmen der schwedischen Gesetze an.
Die politische Auseinandersetzung um die Deregulierung des schwedischen Wohnungsmarktes kulminierte im vergangenen Sommer in einer Regierungskrise. Damals hatten die Sozialdemokraten auf Wunsch der liberalen Zentrums-Partei zögerlich den Vorschlag eingebracht, die Mieten bei Neubauten dem angespannten Markt zu überlassen. Die Gegner einer solchen »Marknadshyra« organisierten Proteste, die Linkspartei ließ Ministerpräsident Stefan Löfven bei der Vertrauensfrage im Reichstag durchfallen.
Bislang erhält in Schweden nicht derjenige den Mietvertrag, der den höchsten Gehaltsscheck auf den Tisch legt, sondern der, der am längsten in der Schlange gewartet hat: Über eine kommunale Internetplattform der jeweiligen Stadt meldet man ein Interesse an einer Wohnung an. Dieses System existiert in Schweden seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Zentrumspartei argumentiert, dass dadurch günstige Wohnungen auch an Gutverdiener gehen. Um die Sorgen und Rechte der meisten Mieter geht es bei der Anfang 2021 gestarteten Kampagne »Nein zur Marktmiete. Ja zu einer sozialen Wohnungspolitik«. Etwa 90 Mieterinitiativen und weitere Organisationen aus ganz Schweden haben sich ihr angeschlossen. Ob die »Marknadshyra« weiter verhindert werden kann, wird sich bei der Wahl zum Schwedischen Reichstag im September zeigen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.