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Neue Konfrontationen in Kaschmir
Im nordindischen Unruhegebiet verschärfen sich einmal mehr die Spannungen mit Pakistan
Es geht um Schulen, Internate und Stipendien für Kinder aus indigenen Familien: Die Woche in Kaschmir begann mit der Einweihung von fünf Projekten und der Grundsteinlegung für 18 weitere durch Generalgouverneur Manoj Sinha. Alle sollen der indigenen Bevölkerung zugutekommen. »Qualitätsvolle Bildung ist in die Reichweite derer gerückt, die lange ihrer Rechte beraubt wurden«, betonte Sinha laut »The Kashmir Monitor«. »In den vergangenen 21 Monaten sind Schritte unternommen worden, um alle marginalisierten Gruppen voranzubringen«, so der oberste Statthalter Delhis. Die Regierung des hindunationalistischen Premiers Narendra Modi hatte dem früheren Unionsstaat Jammu und Kaschmir im August 2019 alle Autonomierechte entzogen und das nun zweigeteilte Gebiet direkter Zentralkontrolle unterstellt. Mit den inszenierten Festakten untermauert die regierende Bharatiya Janata Party (BJP) ihre Darstellung, erst jetzt finde in dem Gebiet echte Entwicklung statt.
Die Regionalzeitung »Rising Kashmir« zitierte auf ihrer Webseite am Montag hingegen Polizeichef Vijay Kumar. Dieser verkündete stolz, seine Beamten hätten zuhauf verhindert, dass Jugendliche sich militanten Gruppierungen anschließen. Zugleich gratulierte er einer gemeinsamen Einheit von Polizei und Armee, die bei einer »Antiterroroperation« zwei Männer getötet haben, die zur Jaish-e-Mohamed (JeM) gehört hätten. Sie ist eine jener Gruppen, die Anschläge und gezielte Morde verüben, ihr Rückzugsgebiet auf pakistanischer Seite der Waffenstillstandslinie – für Indien ein Beleg, dass Pakistan den»grenzüberschreitenden Terrorismus« fördere.
Bereits am Sonntag hatte der Generalgouverneur die Familie der TV-Schauspielerin Amreena Bhat besucht. Sie und ihr zehnjähriger Neffe wurden am 25. Mai von Unbekannten in der Nähe ihres Hauses beschossen, Bhat verstarb auf dem Weg ins Krankenhaus. Sie ist damit semi-prominentes Opfer eines abseits des Rampenlichts ausgetragenen Krieges: Terroristen verüben Anschläge, bei Gefechten zwischen Militanten und Sicherheitskräften gibt es menschliche »Kollateralschäden«, und nicht alle, die von Armee und Polizei als getötete »Terroristen« gelistet werden, hatten tatsächlich eine Verbindung zu radikalen Gruppen. Auch beim Auflösen von Protestaktionen gibt es Schwerverletzte und bisweilen Tote.
Wenig Aussicht auf einen Dialog
Protestiert wurde wieder vorige Woche, nachdem ein Sondergericht in Delhi den 56-jährigen Yasin Malik zu zweimal lebenslänglich plus zehn Jahren verurteilt hatte. Malik ist einer der bekanntesten Anführer der separatistischen Sammelbewegung Hurriyat-Konferenz, die eine Wiederherstellung der Eigenstaatlichkeit des früheren Fürstentums Jammu und Kaschmir erreichen will. Für die Beteiligung am bewaffneten Aufstand 1989 saß er vier Jahre in Haft. Als er 1994 freikam, schwor er für seine Befreiungsfront von Jammu und Kaschmir (JKLF) der Gewalt ab. Das Gericht stellte ihn nun aber als Kopf eines umfassenden »terroristischen Netzwerks« dar.
Das Urteil minimiert die Chancen auf Wiederaufnahme des seit Jahren abgebrochenen Dialogs zwischen Indien und Pakistan. Der kürzlich per Misstrauensvotum gestürzte pakistanische Ex-Premier Imran Khan hatte wegen der Aufhebung der kaschmirischen Autonomie seit 2019 heftig Front gegen Indien gemacht, mit der neuen Regierung entspannte sich die Tonlage zwischen Islamabad und Delhi zuletzt etwas.
Doch eine endgültige Lösung des Streits ist nicht in Sicht: Modis Innenminister Amit Shah hatte noch Ende 2021 verkündet, mit der inzwischen abgeschlossenen Neuziehung von Wahlkreisgrenzen (die nun eher die Hindus im einzigen muslimischen Mehrheitsgebiet des Landes bevorteilen) könnte es Wahlen für ein Regionalparlament und eine Rückkehr zum Unionsstaat geben – bisher schweigt die Regierung aber dazu, wann es soweit sein soll.
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