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Der BRD-Durchdenker
Zum Tod von FC Delius
Der Schriftsteller Friedrich Christian Delius ist tot. Er starb am Montag im Alter von 79 Jahren in Berlin, wie der Rowohlt-Verlag am Dienstag mitteilte. Lange Zeit nannte er sich FC Delius, als wäre er sein eigener Fußballverein. Über das Finale der WM 1954, das die Westdeutschen überraschend gegen Ungarn gewannen, hat er auch eine Erzählung verfasst: »Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde«. Darin schildert er sich selbst als elfjährigen Pfarrersohn, wie er in der nordhessischen Provinz nach dem Gottesdienst am Radio hängt und das Spiel verfolgt: Er ist maximal aufgeregt, und das Radio ist auf ganz leise gestellt – denn seine fromme Familie will beim Mittagsschlaf nicht gestört werden. Aus der Enge der Religion hinein in die Aufregungen des Fußballs, aber mit schlechtem Gewissen. Fußball war einmal Freiheit. Ein kleiner Vorschein auf die Studentenrevolte Ende der 60er Jahre.
Der 1943 in Rom geborene Delius war eigentlich ein typischer »68er«, der über Bücher, Studium, Kommunikation und Musik dazu kam, den »ideologischen Staatsapparaten«, wie Louis Althusser die Disziplinarinstanzen genannt hat, weniger gehorchen zu wollen. Er selbst hat sich allerdings lieber als »66er« bezeichnet. Denn für ihn bedeutete das Jahr 1966 »die Phase des Aufbruchs, des Kulturbruchs, der Horizonterweiterungen«. Delius studierte in Westberlin Literaturwissenschaften und promovierte bei dem originellen Walter Höllerer über das originelle Thema »Der Held und sein Wetter.« Er habe damals »zehnmal mehr Jean Paul und Fontane« gelesen als Karl Marx, erinnerte er sich später.
Im Frühjahr 1966 hatte der damalige Jungdichter Delius zwei sehr wichtige Dinge an der Ostküste der USA erlebt. Er war bei der Tagung der Gruppe 47 in Princeton dabei, als der junge Peter Handke dadurch berühmt wurde, dass er die älteren Schriftsteller in die Pfanne haute, denen er »Beschreibungsimpotenz« vorwarf. Danach ging es nach New York, wo Delius in einem Club ein Konzert des Free-Jazz-Star-Saxofonisten Albert Ayler anschaute und von dessen Energie sprichwörtlich umgeblasen wurde. Handke soll seine Polemik mit der Gegenwartsliteratur eher schüchtern vorgetragen haben.
Wie bei den meisten 68ern oder 66ern waren auch für Delius die 70er Jahre die große Zeit, mit ihren Utopien, Experimenten und Frustrationen. Er wurde Lektor bei Wagenbach, damals der wichtigste linke Verlag – und der Gegenspieler zum Verlagschef, dem der eigene Kollektivbetrieb irgendwann so sehr auf die Nerven ging, dass er nicht mehr bereit war, alles Mögliche zu diskutieren, weder politisch noch ästhetisch. Delius warf Klaus Wagenbach autoritäres Verhalten vor und spaltete zusammen mit anderen die Verlagsreihe »Rotbuch« als eigenständigen Verlag ab. Die meisten Sachbuchautoren blieben bei Wagenbach, die »schöne« Literatur blieb bei Rotbuch, worauf Delius sehr stolz war.
In seinem lesenswerten Buch »Die Jahre der wahren Empfindung«, einer Literaturgeschichte der 70er Jahre, macht Helmut Böttiger darauf aufmerksam, dass beim Konflikt zwischen Wagenbach und Delius die Prinzipien des Katholizismus und des Protestantimus aufeinandergeprallt seien: Der protestantisch geprägte Delius sei besser in der Lage gewesen, seine frühen Prägungen zu reflektieren. Überhaupt sei es »eine Pointe der bundesdeutschen Literaturgeschichte, dass ausgerechnet er, der hessische Pfarrerssohn, der in den engeren Zirkeln eher als der ›Schweiger‹ auffiel, früh den Ruf eines der größten Revoluzzer hatte«.
Delius war ein erfolgreicher Lektor (der in der BRD Heiner Müller, Thomas Brasch und Herta Müller durchsetzte), der zum freien Schriftsteller wurde. Erste Aufmerksamkeit als Autor erreichte er Anfang der 70er Jahre, als er für seine agitatorisch-satirische Festschrift »Unsere Siemens-Welt« vom Konzern erfolgreich verklagt wurde, wie er auch 1975 für sein Spottgedicht »Moritat auf Helmut Hortens Angst und Ende« von besagtem Kaufhaus-Unternehmer vor Gericht gezerrt wurde. 1982 urteilte der Bundesgerichtshof, das Gedicht sei in Ordnung gewesen.
Seine weiteren schriftstellerischen Erfolge waren weniger spektakulär, aber stetig. 2011 bekam er schließlich den Büchner-Preis. Mit seinen Romanen und Erzählungen wie »Ein Held der inneren Sicherheit«, »Mogadischu Fensterplatz«, »Die Birnen von Ribbeck« oder »Mein Jahr als Mörder« war er weniger politische Instanz als dokumentarisch orientierter Romancier: ein realistischer BRD-Durchdenker und – wie er selbst schrieb – einer »aus der letzten Generation, die noch ohne Fernsehbilder erzogen worden ist«.
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