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Das Sondervermögen geht Linken zu weit, Reservisten aber nicht weit genug
Auf ein massives Aufrüstungsprogramm von 100 Milliarden Euro an frischen Krediten, die nun vollständig in die Bundeswehr gehen sollen, haben sich die Ampel-Koalition und die oppositionelle Unionsfraktion verständigt – doch manch einem geht diese Summe immer noch nicht weit genug. Der Reservistenverband hält das geplante Sondervermögen für nicht ausreichend, um den Bedarf der Streitkräfte zu decken. Nach jahrelanger Vernachlässigung der Truppe schätze er, dass deutlich über 300 Milliarden Euro in die Verteidigung investiert werden müssten, sagte der Verbandsvorsitzende Patrick Sensburg dem »Handelsblatt«. Diese Summe sei notwendig, »wenn wir wieder eine leistungsfähige Truppe haben wollen«.
Gewiss, diese Einschätzung teilen nicht viele, und im Gegenzug gibt es auch deutliche Kritik an der Aufrüstung, beispielsweise aus der IG Metall. »Selbst für diejenigen, die diese 180-Grad-Wende befürworten würden, sollte doch klar sein, dass ein solcher Paradigmenwechsel nicht in einer Hau-Ruck-Aktion von heute auf morgen durch eine Entscheidung einer kleinen, gar nicht bekannten Gruppe von Politiker*innen durchgeführt werden kann«, mahnt Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall bei einer Podiumsdiskussion der Rosa-Luxemburg-Stiftung am Montagabend. Es fehlte von Anfang an die breit geführte gesellschaftliche Debatte, um zu begründen, zu diskutieren und in der Gesellschaft für eine Mehrheit zu werben. Auch sei absolut unklar, warum ein Wehretat, der allein in den letzten drei Jahren um etwa 20 Prozent gestiegen sei, jetzt nicht für die Landesverteidigung ausreichen solle. ››Es gibt keine befriedigende Transparenz über die Verwendung des Wehretats‹‹, so Urban weiter. Ähnliches drohe nun auch beim angekündigten Sondervermögen.
Urbans Grundposition: Ohne Transparenz, an der es jetzt schon fehle, könne es keine demokratiepolitisch akzeptable Bewertung geben. Mit dieser Ansicht ist der Gewerkschafter nicht allein, selbst aus Kreisen der Bundesregierung gibt es Kritik an der Intransparenz rund um die Streitkräfte. Der Grünen-Vorsitzende Omid Nouripour forderte gegenüber der »Rheinischen Post«, die Beschaffung für die Streitkräfte müsse besser werden. »Im Bermuda-Dreieck zwischen Industrie, Bundeswehr-Bedarfsträgern und Beschaffungsamt steht oftmals nicht im Vordergrund, was am dringendsten gebraucht wird.« Deshalb komme es zu »Ineffizienzen«, so Omid Nouripour.
Die sich abzeichnende Umsetzung des Sondervermögens bezeichnete Urban als »Manipulation des Grundgesetzes«, denn nur über einen Trick ließe sich die Schuldenbremse aushebeln. Früher oder später würden diese Rüstungsausgaben mit unverzichtbaren ökologischen und sozialpolitischen Ausgaben kollidieren. »Deswegen denke ich, dass diese Politik heftige Kritik in der Gesellschaft finden muss«, so Urban.
Aus dem Forum der Demokratischen Linken in der SPD pflichtet Dierk Hirschel bei. Angesichts der aktuellen Debatte komme er sich »manchmal vor wie in Absurdistan«, sagte Hirschel bei der Podiumsdiskussion. Ehemalige Kriegsdienstverweigerer schieben Einkaufslisten für die Rüstungsindustrie. Er kritisiert auch die Grüne-Außenministerin Annalena Baerbock für ihre Befürwortung der 180-Grad-Wende. Baerbock, die noch vor wenigen Monaten die Lage des Wikileaks-Journalisten Julian Assange angeprangert hatte, sei jetzt für die Beschaffung von Kriegsgerät, dessen Verwendung im Fokus der Kritik von Assange gestanden hat.
Hirschel und die sozialdemokratische Linke seien derzeit in der Minderheit, aber es gebe – wie in der Bevölkerung – eine kritische Sicht. »Die Mehrheit unserer Bevölkerung will mehr Geld für Bildung, mehr Geld für Gesundheit, mehr Geld für Pflege, aber nicht für Waffen«, sagte Hirschel und berief sich auf aktuelle Umfragen. Er hoffe, dass die Zustimmung für den Regierungskurs schwindet, sobald deutlicher wird, dass die Mittel nicht in den Zivilschutz und die Verteidigung der Bevölkerung fließen.
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