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Nicht nur Kostenfaktor
IG Metall warnt vor Folgen durch vernachlässigte Ausbildung
Die Unternehmen sorgen sich derzeit nicht nur über die kaputten Lieferketten, auch ein anderes Thema bereitet ihnen besonders viel Kopfzerbrechen: der Fachkräftemangel. Im April beklagten 44 Prozent aller Firmen eine Beeinträchtigung ihrer Geschäftsfähigkeit wegen fehlenden Fachpersonals, verlautbarte unlängst die staatliche Förderbank KfW. Dies sei ein »neuer bisheriger Höhepunkt«. Doch das Problem scheint zum Teil auch hausgemacht. Denn das Thema Ausbildung wird sträflichst vernachlässigt, warnt die Industriegewerkschaft IG Metall.
»Das Ausbildungspersonal ist motiviert, wird aber von den Unternehmen ausgebremst. Viele Betriebe sehen die Ausbildung nur als Kostenfaktor«, sagte IG-Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban am Mittwoch bei der Vorstellung einer Studie zum Thema. Damit aber werde der wirtschaftliche, soziale und ökologische Wandel an die Wand gefahren. Nötig sei ein betriebswirtschaftlicher Perspektivwechsel: Nur wer in das Ausbildungspersonal und damit die Ausbildung junger Menschen investiere, mache Unternehmen fit für die Zukunft.
Bundesweit gibt es 643 000 registrierte Aubilder*innen. Hinzu kommt ein Vielfaches an Fachkräften, die im Betrieb mit der Ausbildung des Nachwuchs beauftragt sind. Für die IG-Metall-Studie befragte die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) 1004 Ausbilder*innen und ausbildende Fachkräfte in der Metall- und Elektro- sowie der Textilbranche online und mit tiefergehenden Interviews.
Das Ergebnis: 54 Prozent der Befragten klagen über widersprüchliche Anforderungen der Unternehmen mit Blick auf die Aufgabe als Ausbilder*in. 59 Prozent von ihnen leisten Mehrarbeit und Überstunden, 70 Prozent leiden unter Stress und 86 Prozent unter einer höheren Arbeitsintensität. Die Folge ist, dass fast die Hälfte aller befragten Ausbilder*innen deswegen Abstriche bei der Qualifizierung der Azubis machen muss.
»Die Anforderungen steigen, die Bedingungen werden schlechter, und die Mitsprache bei Zukunftsthemen fehlt«, fasst Studienautorin Sabine Pfeiffer von der FAU die Ergebnisse ihrer Befragung zusammen. Darunter litten Ausbildungsqualität, Auszubildende und die Attraktivität des Berufsbildungssystems – und letztlich die Innovationsfähigkeit der Wirtschaft.
So fristet vor allem das Thema Digitalisierung bei der Ausbildung ein Schattendasein. So gaben rund drei Viertel der Befragten an, dass ihre Betriebe eigentlich finanziell gut ausgestattet für eine bessere digitale Ausbildung sind, und mehr als die Hälfte meint, dass sie maßgeblich zur digitalen Transformation in den Betrieben beitragen können. Gleichzeitig bemängelt aber ein Drittel der Ausbilder*innen große Mängel in der Ausstattung und eine fehlende systematische Integration der Kenntnisse über neue Maschinen oder Produktionstechniken in die Ausbildung.
»Unternehmen müssen nachsitzen: für mehr und bessere digitale Ausstattung und Kompetenzen des Ausbildungspersonals«, mahnt Gewerkschafter Urban. Hierfür helfe es, mehr Geld für digitale Infrastruktur in die Hand zu nehmen. »Besonders gilt es aber, ausreichend Zeit und Raum für die nötige Qualifizierung des Ausbildungspersonals zur Verfügung zu stellen«, so Urban.
Die IG Metall fordert deshalb, den Standard für berufspädagogische Basisqualifikationen, die Ausbildereignungsverordnung, zu modernisieren. Zudem soll eine neue Fortbildung für Lernprozessbegleiter*innen geschaffen werden.
Letztlich würde es vermutlich schon etwas bringen, wenn das Management ihr ausbildendes Personal mehr wertschätzen und es mehr in Veränderungsprozesse im Unternehmen einbeziehen würde. So gab die Hälfte der Befragten an, dass sie bei Veränderungsprozessen und der Planung im Unklaren gelassen oder nicht mit einbezogen werden. Folglich beklagt die Hälfte des in der IG-Metall-Studie befragten Ausbildungspersonals, dass das Thema Ausbildung beim Management kein Gewicht habe.
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