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- Nachhaltigkeitsziele der DFL
Süßer die Worte nie klingen…
Viele kritische Fußballfans lassen sich mit unverbindlichem Nachhaltigkeitsgesäusel und VIP-Tickets am Gremien-Tisch abspeisen
Die DFL, die Interessenvertretung der 36 Erst- und Zweitligaclubs, hat vergangene Woche das ein oder andere beschlossen, das auch ein größeres Echo verdient hätte als gar keines. Künftig sollen die Vereine also ihren Wasser- und Stromverbrauch messen und alle Clubs haben »einen Verhaltenskodex für alle Mitarbeitenden nachzuweisen, sich klar von jeglichen Arten von Diskriminierung abzugrenzen und sich zu Gleichberechtigung, Diversität sowie Inklusion zu bekennen«. Vor meinem inneren Auge habe ich sofort einige Fanfürstinnen und Fanfürsten, die solche Beschlüsse als große Erfolge feiern würden.
Ältere wissen hingegen, dass Leitbilder und »Nachhaltigkeitsstrategien« vor allem schöne Worte aneinanderreihen, an die sich im Alltag keiner hält. Beispiel Ökobilanz. Wenn die Vereine selbst den Stromverbrauch dokumentieren und es keinerlei Sanktionsmechanismen gibt, muss man nicht Andreas Rettig sein, um die Ergebnisse zu kritisieren. Der ehemalige St. Pauli-Geschäftsführer hat darauf hingewiesen, dass im Ligabetrieb auch im Hochsommer um 15.30 Uhr das Flutlicht angeschaltet sein muss, um optimale Fernsehbilder zu produzieren. Und dass ein Bundesligastadion auch nachts um vier noch taghell leuchtet, liegt an den monströsen LED-Lichtanlagen, mit denen der Rasen bestrahlt wird, damit er immer sattgrün ist.
Für all das bräuchte es keine Arbeitsgruppen, sondern klare Ansagen: Mehrweg ist Pflicht, Parkplätze werden reduziert, ÖPNV ist im Ticket inbegriffen und Rollrasen wird ausgetauscht, wenn er den Ansprüchen nicht mehr genügt. Das ist etwas teurer, kostet aber nur einen Bruchteil der Energie, die die Beleuchtung verbraucht. Wer bei Neueinstellungen nicht nachweisen kann, dass jede zweite Stelle von einer Frau besetzt wurde, kriegt ebenfalls Ärger. Ein Schelm, wer sich fragt, warum all das nicht geschieht. Doch leider sind viele Fußballfans keine Schelme, sondern fühlen sich gebauchpinselt, wenn sie in Gremien herumsitzen dürfen, die nichts entscheiden. Gilt auch für die Sozialwissenschaft, sofern der organisierte Fußball ihre »Expertise« abfragt – und danach verklappt.
Dass die DFL bei den Themen, die wirklich wichtig sind, auch Entscheidungen treffen kann, hat sie vergangene Woche aber auch gezeigt. Ab der übernächsten Saison sollen alle Erst- und Zweitligisten an der »Virtual Bundesliga« teilnehmen. Dazu müssen sie, sofern nicht längst geschehen, eFootball-Teams gründen. Wenn Sie Ihren Kindern oder Enkeln also künftig nahelegen, bei dem schönen Wetter rauszugehen und die dritte Chips-Tüte einfach mal wegzulassen, gehen Sie bitte noch einmal in sich: Sie verbauen den Kleinen möglicherweise relevante Karrierechancen im Profifußball. Nicht in der Bundesliga, wie Sie sie kennen. Aber in der für – sagen Sie jetzt nicht »Daddler« oder »Zocker« – »E-Sportler«! Das ist, oh Wunder, eine Wachstumsbranche. Die Teams fliegen schon jetzt übrigens voll ökologisch zu »Bootcamps« in die Wachstumsmärkte Asiens. Die Trainingsbedingungen sind dort optimal. Es gibt Steckdosen.
Wenn Sie jetzt glauben, das alles wäre nur der Anfang auf dem Weg, den Fußball endgültig von sich selbst zu entkernen, haben Sie Recht. In der Liga wird schon lange darüber nachgedacht, ob dieses leidige Spielformat denn noch zeitgemäß sei. 90 Minuten, und am Ende steht es vielleicht 0:0? Was, wenn die traditionellen Fans wegsterben und die Generation E-Sport nicht deren Dauerkarten und TV-Abos übernimmt? Sollte man dann nicht die Regeln ändern – und mehr Pausen für Werbung und künstliche Aufreger einbauen? Kein Mensch kann sich doch noch 45 Minuten am Stück konzentrieren. Zumindest dann nicht, wenn er es gewohnt ist, im Millisekunden-Takt neue Reize in der »Virtual Bundesliga« der DFL zu empfangen. Irgendwann müsste ein Funktionär doch mal sagen: »Kinder und Jugendliche schauen sich nicht mehr 90 Minuten nur ein Programm an. Sie haben mehr als nur ein Device in der Hand und wollen nirgendwo hingehen, wo sie ihr Handy ablegen müssen.« Wolfsburg-Boss Michael Meeske hat genau das gerade gesagt.
Kritik an dem Mann verbietet sich. Falls er sein Bild von Kindern und Jugendlichen aus den eigenen vier Wänden hat, ist er gestraft genug.
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