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Der Feind steht rechts
Rechtsextreme Gruppen rekrutieren laut Verfassungsschutz immer mehr Anhänger*innen
Wenn der Präsident vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, sich in Pressekonferenzen äußert, dann tut er dies zwar mit Nachdruck, zeigt dabei aber, ganz der politische Beamte, nur selten Emotionen. Am Dienstagin der Berliner Bundespressekonferenz jedoch, bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes für das Jahr 2021, konnte sich Haldenwang ein kurzes, schelmisches Grinsen nicht verkneifen, als er auf die AfD zu sprechen kam. Im aktuellen Bericht taucht die Gesamtpartei nicht auf – es wird lediglich auf die Junge Alternative und den formal aufgelösten völkischen »Flügel« eingegangen. Dies dürfte sich allerdings in der nächsten Einschätzung für das laufende Jahr 2022 ändern. Im März hatte der Verfassungsschutz vor dem Kölner Verwaltungsgericht einen juristischen Erfolg gegen die AfD errungen, wonach es ausreichend Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen gibt, die Partei deshalb vom Inlandsgeheimdienst als Verdachtsfall eingestuft und daher überwacht werden darf.
Haldenwang lächelt siegessicher, als er erzählt, dass seine Behörde laut der seit kurzem vorliegenden schriftlichen Urteilsbegründung absolut sauber gearbeitet habe. »In einer Woche werden wir Gelegenheit haben, die Entwicklung dieser Partei weiter unter die Lupe zu nehmen«, so Haldenwang. Er spielt damit auf den AfD-Bundesparteitag in Riesa an, der aufgrund anstehender Vorstandswahlen mit Spannung erwartet wird. Was der oberste Verfassungsschützer zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste: Die AfD geht gegen das Kölner Urteil zur Einstufung als Verdachtsfall in Berufung, wie ein Parteisprecher am Dienstag erklärte. Ebenfalls anfechten wird die Partei die Urteile zur Einstufung der Jungen Alternative und zum »Flügel« als Verdachtsfälle.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Die AfD ist nicht die einzige Baustelle, die sich für das BfV als zunehmendes Problem herausstellt. Haldenwang und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärten am Dienstag mehrfach, dass der Rechtsextremismus weiterhin »die größte extremistische Bedrohung für unsere Demokratie« darstellt. In Zahlen ausgedrückt: Zwar sank die Zahl rechtsextremer Straf- und Gewalttaten erstmals seit 2018 um 9,6 Prozent auf rund 20 200, jedoch ging die Entwicklung mit einer Zunahme gewaltbereiter Rechtsextremer um 200 auf 13 500 einher. Ebenfalls leicht wachsend ist die Gesamtzahl aller Rechtsextremist*innen, die das BfV nun mit 33 900 Menschen beziffert.
Die wahre Gefahr von rechts könnte in Zukunft noch sichtbarer werden. AfD-Mitglieder jenseits der JA und des »Flügels« sind in der Statistik bisher noch nicht berücksichtigt. Hier kündigte Haldenwang für die Zukunft Einzelfallprüfungen an. Das Bundesamt für Verfassungsschutz werde »nicht pauschal alle AfD-Parteimitglieder als Rechtsextremisten« zählen.
Umstritten ist, wie das BfV und die Landesämter für Verfassungsschutz mit jenen Menschen umgehen, die die Inlandsgeheimdienste den Corona-Leugner*innen und der Querdenken-Bewegung zurechnen. Haldenwang erklärte, viele dieser Personen ließen »sich nicht in bestehende Kategorien einordnen«. Die Lösung aus BfV-Sicht: Im Bericht wird das im April eingeführte Beobachtungsobjekt »Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates« erstmalig erwähnt. Darunter versteht der Verfassungsschutz Gruppen und Personen, die teilweise antisemitische Verschwörungserzählungen verbreiten und den demokratischen Rechtsstaat ablehnen. Die Definition ist nicht nur ungenau, der Inlandsgeheimdienst kann bisher auch keine Einschätzung geben, wie viele Menschen er dieser neuen Kategorie zurechnet.
»Die Einführung einer neuen Kategorie führt dazu, dass die bestehende Gefahr von rechts nicht ernst genommen wird. Hier wird de facto ein ideologischer ›Safe Space‹ für rechte Demokratiefeinde geschaffen«, warnt Martina Renner, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, gegenüber »nd«. Mit ihrer Kritik ist Renner nicht allein. Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) hatte am Dienstag gefordert, Corona-Leugner*innen und Querdenker*innen konsequent dem rechten Spektrum zuzuordnen. »Es sind Rechtsextremisten, die sie anstiften«, sagte Maier dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Linken-Politikerin Renner teilt die Einschätzung des Thüringer Innenministers. »Die Forderung geht in die richtige Richtung. Personen aus diesem Spektrum verbinden antisemitische Verschwörungsmythen. Häufig sehen wir Verbindungen in weitere etablierte rechte Sturkturen. Die Behörden müssen hier ganz genau hinschauen, welche rechten Netzwerke die Demos organisiert haben.«
Ablehnend äußerten sich die Bundesinnenministerin und der BfV-Präsident. Weil die Situation je nach Region unterschiedlich sei, müssten die einzelnen Landesämter entscheiden, wie sie Personen aus dem Umfeld der Corona-Leugner*innen kategorisierten. Einig ist man sich jedoch in der Einschätzung, dass Querdenken sich nicht allein auf das Thema Pandemie beschränkt. »Immer da, wo es in Zukunft zu gesellschaftlichen Kontroversen kommen wird, werden wir diese demokratiefeindichen Delegitimierer erleben«, warnte Haldenwang. Zu beobachten sei der Einfluss dieser Gruppen bei der Debatte um den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, aber auch in der Diskussion um daraus resultierende Folgen für die Bevölkerung hierzulande, etwa steigende Energie- und Lebensmittelpreise.
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