Es braucht den großen Wurf

Warum gerade in Zeiten hoher Inflation ein sozial-ökologischer Umbau ein linkes Projekt wäre, für das es sich zu streiten lohnt

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 3 Min.

Mal Hand aufs Herz: Wer steigt bei den ganzen Entlastungsmaßnahmen noch durch? Nach Entlastungspaket eins und zwei wird jetzt Nummer drei diskutiert. Doch was gibt es schon alles? Wann wurde der Tankrabatt beschlossen oder der Heizkostenzuschuss? Und jetzt soll noch ein Klimageld kommen und vielleicht eine Übergewinnsteuer.

Mit ihren Entlastungspaketen will die Ampel-Koalition suggerieren, dass sie etwas gegen die horrende Inflation macht, doch verliert sie sich in dem Wust an einzelnen Maßnahmen in einem Klein-Klein. Manche sind dabei kontraproduktiv wie der Tankrabatt, manche bei genauerem Hinsehen eher nur ein temporärer Marketinggag wie das 9-Euro-Ticket. Gerade für jene, die es jetzt besonders bräuchten, sind die beschlossenen Maßnahmen nur ein Tropfen auf den heißen Stein. So kritisieren zum Beispiel Gewerkschaften und Sozialverbände, dass Rentner*innen und Studierende bei der Energiepauschale leer ausgehen.

Was es also statt eines Hangelns von einem zum nächsten Entlastungspaket braucht, ist eine grundlegende sozial-ökologische Transformation. Dies wäre ein Projekt, für das es sich als Linke gerade jetzt zu streiten lohnt. Denn die Frage ist nicht, ob die Menschen eine Inflation von um die acht Prozent spüren, sondern ob und wann daraus eine Protestbewegung entsteht, wie einst die Gelb-Westen in Frankreich oder die Montagsdemos bei der Einführung von Hartz IV. Die Linke braucht darauf eine Antwort und Angebote, die sie den Menschen machen kann.

Dafür müssten noch nicht einmal neue Forderungen überlegt werden. Auch in Zeiten der durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine gestiegenen Inflation sind die Probleme im Grunde die alten. Sie haben sich nur verschärft. Und wenn die herrschende Politik 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung der Bundeswehr klar macht, aber fürs Soziale nur Brotkrummen übrig lässt, dann ist klar, wie wichtig ihr ist, ob Gesundheit und Pflege vernünftig finanziert sind oder Normal- und Geringverdiener*innen am Ende noch über die Runden kommen. Auch das 9-Euro-Ticket über den Sommer ist da eben nur eine PR-Aktion der Bundesregierung, der letztlich nur wenig ändert. Wer wirklich eine ökologisch nachhaltige Verkehrswende will, muss den öffentlichen Nah- und Fernverkehr ausbauen, dauerhafte Angebote schaffen.

Natürlich wird das alles Geld kosten, und die Zinswende, die die Europäische Zentralbank für diesen Sommer angekündigt hat, wird es auch der Bundesrepublik teurer machen, sich zu verschulden. Schließlich steigen dadurch die Zinsen, die sie Investoren für ihre Anleihen zahlen müssen. Mehr Ausgaben müssten also tendenziell mit mehr Einnahmen finanziert werden.

Ausgerechnet die FDP bringt derzeit eine Alternative ins Spiel, wenn sie auf eine Steuerreform pocht. Doch braucht es eben eine Steuerreform, die nicht im Sinne der Liberalen ist, die nicht von unten nach oben, sondern von oben nach unten umverteilt. Wenn die zehn reichsten Menschen hierzulande alleine in der Pandemie ihr Vermögen um 100 Milliarden Euro vergrößern konnten, dann gibt es da genügend abzuschöpfen. So erneuerte die frisch gewählte DGB-Chefin Yasmin Fahimi in ihrer Grundsatzrede im Mai die alte DGB-Forderung nach der Wiedereinführung einer Vermögenssteuer.

Man muss nur Fahimi und Co. daran erinnern, dass diese Forderung nicht nur bei Sonntagsreden aufgestellt wird. Und man muss SPD und Grüne, die sich derzeit gerne sozial geben, genügend unter Druck setzen. Denn in der Ampel haben sie mit der FDP immer eine Ausrede, warum koalitionstechnisch nicht mehr drin sei, auch wenn sie vor der Bundestagwahl mehr versprochen haben.

Eines zumindest ist gewiss: Auch wenn die Inflationsrate nächstes Jahr wieder etwas geringer ist, sind damit ihre Auswirkungen nicht weg. Denn die allgemeinen Lebenshaltungskosten werden nicht wieder sinken. So werden sich die meisten Menschen dauerhaft weniger von ihrem erarbeiteten Gehalt leisten können. Es sei denn, es wird grundlegend umgesteuert.

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