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Störung der Politikausübung
Verfahren gegen drei Gegner der Garnisonkirche eingestellt
Inzwischen steht der Rohbau des Turms der Potsdamer Garnisonkirche. Als es am 29. Oktober 2017 einen Gottesdienst zum Start des Wiederaufbaus dieser Kirche gab, protestierten etwa 30 Gegner des umstrittenen Projekts zum Teil lautstark. Es soll sogar zu Handgreiflichkeiten gekommen sein. Wegen Störung der vom Grundgesetz garantierten Religionsausübung stehen nun am Mittwochmorgen drei junge Männer vor dem Amtsgericht Potsdam. Doch eine vorherige Solidaritätsaktion der linksalternativen Szene mit Transparenten am Gitter des Gerichtsgebäudes in der Hegelallee dauert länger als die Verhandlung in Saal 215.
Richterin Kerstin Nitsche macht es kurz. »Damit ist die Veranstaltung für heute beendet«, verkündet sie nach etwa 20 Minuten. Die Verfahren gegen Clemens N. und Martin M. werden eingestellt. Die Kosten übernimmt die Staatskasse. Begründung des Staatsanwalts: die überlange Verfahrensdauer von beinahe fünf Jahren, bedingt sicherlich durch die Corona-Pandemie, aber dafür könnten die Angeklagten ja nichts. Bei Landgerichten kämen so lange Verzögerungen vor, doch an einem Amtsgericht seien sie »sehr selten«.
Ganz so glimpflich kommt der dritte Angeklagte Simon W. nicht davon. Er soll am 29. Oktober 2017 mit einem Megafon bei der Veranstaltung auf dem Baufeld gewesen sein und es auch benutzt haben. Ein Foto scheint den Vorwurf zu belegen. Doch zur Beweisaufnahme kommt es nicht. Das Verfahren gegen den 35-Jährigen wird vorläufig eingestellt – und endgültig, wenn er innerhalb von drei Monaten 50 Euro an die Organisation Pro Asyl überweist und den Beleg einreicht.
Ein Freispruch wäre möglich, ja zwingend gewesen, erläutert sein Verteidiger Felix Isensee, wenn sich im Prozess herausgestellt hätte, dass der gestörte Termin am 29. Oktober 2017 gar kein Gottesdienst war, sondern eine politische Veranstaltung. Das zu beweisen, hätte den Rechtsanwalt gereitzt. »Der Prozess wäre interessant geworden«, sagt er. Seine These hätte er unter anderem damit zu untermauern versucht, dass die Stiftung Garnisonkirche und ihre Fördergesellschaft eingeladen hatten und nicht etwa eine Kirchengemeinde.
Dass der Bundesrechnungshof der Bundesregierung inzwischen Vorhaltungen machte, diese hätte mehr als 20 Millionen Euro Fördermittel für den Wiederaufbau der Garnisonkirche so gar nicht spendieren dürfen, wäre auch ein Argument für die drei Angeklagten. Denn das Finanzgebaren der Stiftung wurde bereits im Jahr 2017 kritisiert. Die drei Männer könnten sich auf »rechtfertigenden Notstand« berufen, so der juristische Fachbegriff. Sie hätten sich also nachgerade verpflichtet gefühlt, gegen diese Verwendung und Verschwendung von Steuermitteln zu protestieren.
Doch das Risiko für seinen Mandanten, doch noch verurteilt zu werden, war zu hoch, um sich nicht auf eine Einstellung des Verfahrens zu verständigen. 450 bis 1000 Euro Strafe hätte Simon W. sonst womöglich zahlen müssen, schätzt Anwalt Isensee. Und das wäre ins Bundeszentralregister eingetragen worden. Bisher ist der 35-Jährige völlig unbescholten, so wie auch die beiden anderen Angeklagten.
Es sei sehr wohl ein Gottesdienst gewesen, betont Cornelia Radeke-Engst. Sie habe ihn eingeleitet mit der christlichen Formel: »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.« Radeke-Engst befindet sich jetzt im Ruhestand. Vor fünf Jahren aber war sie Pfarrerin der provisorischen Nagelkreuzkapelle auf dem Baufeld der Garnisonkirche. Die Theologin ist als Zeugin geladen, wird aber wegen der schnellen Einstellung des Verfahrens nicht vernommen, sondern wieder weggeschickt.
Trotz des langen Zeitabstands stehen Radeke-Engst die damaligen Ereignisse noch deutlich vor Augen, weil sie so etwas bis dahin noch nicht erlebt hatte. Sie sei von einer Frau unterbrochen worden mit dem Ruf: »Halt’s Maul, alte Nazischlampe.« Sie bekräftigt: »Das Programm dieser Kirche ist antifaschistisch.« Es soll nämlich nicht eins zu eins die historische Barockkirche wiederauferstehen, vor der sich Adolf Hitler am 21. März 1933 vor dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg verneigte. Hitler tat dies, um die preußischen Militaristen für die Unterstützung seiner faschistischen Bewegung zu gewinnen. Bei einem Bombenangriff im April 1945 brannte die Garnisonkirche aus. 1968 wurde die Ruine gesprengt. Nun soll zumindest der 88 Meter hohe Turm wiederaufgebaut werden.
Von 700 Besuchern des Gottesdienstes seien nur 350 geblieben, berichtet Theologin Radeke-Engst, was sich beim Baustart abspielte. »Es war ein Hexenkessel.« In die Nagelkreuzkapelle sei Buttersäure hineingeschüttet worden, sodass es entsetzlich gestunken habe. Mit der Verfahrenseinstellung gegen eine Zahlung von lediglich 50 Euro ist sie nicht einverstanden.
Wieland Eschenburg, Kommunikationsvorstand der Stiftung Garnisonkirche, wünscht sich eine Justiz, die die Grundrechte schützt. Urteile sollten zeitnah gesprochen werden. »Eine Verfahrenseinstellung fast fünf Jahre nach der Tat, mit der Begründung, dass es jetzt zu spät sei, kommt einer Kapitulation gleich«, bedauert Eschenburg.
Die Bürgerinitiative für ein Potsdam ohne Garnisonkirche erklärt dagegen zufrieden: »Die Kriminalisierung der Gegner des Wiederaufbaus schlug fehl. Jetzt müssen nur noch alle Planungs- und Baumaßnahmen an Turm und Kirchenschiff eingestellt werden!«
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