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Mein Körper, ihre Regeln
Ungewollt schwanger: Von Gefühlen, die von außen kommen, und Zwangsberatungen, die nicht ergebnisoffen sind
Es ist 9 Uhr morgens. Ich fühle mich seit Tagen seltsam. »Einen Schwangerschaftstest bitte.« Die Apothekerin berät mich, ich versuche zuzuhören, aber in meinem Kopf rauscht es. Zu Hause tauche ich den Test in das Glas mit dem Urin, mache Musik an und koche mir Kaffee. Die drei Minuten sind schneller vorbei als gedacht. Das Ergebnis ist nicht überraschend, sondern bestätigend. Ich rufe J. an. Er ist, was man »den Erzeuger« nennt. »Ich bin schwanger, ich will das nicht«, sage ich ihm, und: »Du musst dich um nichts kümmern, ich will das wirklich nicht, du hast keine Verpflichtungen, mach dir da keine Sorgen.« J. schweigt. Die Sätze blubbern aus mir heraus. Ich weiß, das kommt ungelegen. Das Gespräch dauert keine fünf Minuten. J. ist nicht sauer, und trotzdem macht sich schnell das Gefühl von Schuld breit. In den nächsten Tagen wird sich dieses Gefühl noch verstärken. Ich lerne: Wenn du schwanger bist, dann gehören die Kommentare, Wertungen und Einschätzungen der anderen mit dazu. Schuld: Sie gehört einfach zum Programm.
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Es ist Samstag. Ich bin froh, dass ich jetzt sowieso nichts machen kann. Ich habe keine Lust auf die kommenden Anrufe. Am Abend reden J. und ich länger, J. ist verständnisvoll und ehrlich. Wir sprechen über seine Erzeugerschaft, über unser beider Unwillen, Eltern zu sein, und darüber, dass das sowieso völlig verrückt ist, da wir uns erst seit acht Wochen kennen. Fest steht: Keiner von uns will Kinder. Ein erster erleichternder Lichtblick.
Neben den unangenehmen Gefühlen einer frühen Schwangerschaft kommen die unangenehmen «Gefühle von außen», wie ich sie nenne. Engen Freundinnen schicke ich ein Foto des positiven Schwangerschaftstests. Bei manchen schreibe ich «Scheiße» dazu. Ihre Reaktionen sind mir unangenehm: panisch, aufgebracht, schockiert. Eine Freundin will mir zunächst nicht glauben. Eine Bekannte reagiert betroffen und sagt, dass sie selbst ein ungewolltes Kind war. Ich weiß nicht, was das mit meiner Schwangerschaft zu tun hat. Zum ersten Mal macht sich in mir der Gedanke breit: Schwanger sein ist ein Riesending, jeder hat dazu offensichtlich eine Meinung und äußert die auch. Dass es für meine eigene Meinung, dass das alles nicht so das Riesending ist, keinen Raum gibt, gehört offenbar zu meiner Rolle als Schwangere dazu. Dass Schwangeren ihr Körper zunächst selbst gehört, scheint nicht in den noch so emanzipierten, feministischen und linken Freundeskreisen angekommen zu sein. «My Body, my Choice» – Leitspruch der Pro-Choice-Bewegung – wirkt in solchen Momenten seltsam fern.
Montag. Ich gehe zu meiner Gynäkologin und lasse die Schwangerschaft offiziell feststellen. Sie reagiert mit Verständnis und fragt nicht nach Gründen. Keine Scham, keine Erklärungsnot, sondern Erleichterung. Dass meine Schwangerschaft sowieso in wenigen Tagen von alleine zu Ende sein wird, weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Nach dem Arztbesuch beginne ich, die einzelnen Beratungsstellen durchzutelefonieren. Bei der Diakonie Leipzig schlägt man mir einen Termin in zwei Tagen vor.
Das Beratungsgespräch wird für mich der schlimmste Aspekt der Schwangerschaft werden. Wer in Deutschland eine Schwangerschaft abbrechen möchte, befindet sich in einem Konflikt. Anders kann es offenbar gar nicht sein, das zeigen mir nicht nur die Reaktionen von Freund*innen, sondern nicht zuletzt auch das Gesetz. Deshalb bieten staatlich anerkannte Beratungsstellen die sogenannte Schwangerschaftskonfliktberatung an und nicht einfach eine Schwangerschaftsberatung. Letztere ist verpflichtend und Voraussetzung für die Straffreiheit des Abbruchs. Würde eine Schwangere ohne einen Beratungsschein abtreiben, könnte sie mit bis zu einem Jahr Haft bestraft werden. Dies schreibt der Paragraf 218 fest. Obwohl die Beratung mindestens 100 000 ungewollt Schwangere jährlich durchlaufen, wird selten über diese Gespräche berichtet.
Das Beratungsgespräch betrachte ich als formalen Akt. Keine große Sache, schließlich habe ich gar keinen Beratungsbedarf. Ich habe mir nicht einmal frei genommen, sondern meinem Arbeitgeber lediglich gesagt, dass ich für zwei Stunden ausfalle. Im Auto machen J. und ich Witze darüber, was für ausnehmend schlechte Eltern wir wären. Wir rauchen eine Zigarette nach der anderen und lachen über die Vorstellung, wie wir im Beratungsraum schweigend auf den jeweils anderen zeigen, wenn wir gefragt werden, warum diese Schwangerschaft beendet werden soll.
Beratungsstellen sollen ergebnisoffen beraten, doch gleichzeitig dem «Schutz des ungeborenen Lebens» dienen, das steht beides im Gesetz. Dass dies einen Widerspruch darstellt, wird mir das Gespräch zeigen. Die Schwangere kann auf ihren Wunsch gegenüber der sie beratenden Person anonym bleiben. So steht es zumindest im Gesetz. Die Praxis sieht jedoch anders aus. Nachdem J. und ich einige Minuten im Warteraum der Diakonie Leipzig, umringt von allerlei christlich geprägtem Infomaterial, gewartet haben, werden wir in den Beratungsraum gerufen. Zwei Stühle, ein kleiner Tisch, die obligatorische Taschentuchbox vor uns. Ich muss lachen, und gleichzeitig finde ich den Gedanken bedrückend, dass Weinen offenbar ein fester Bestandteil einer Beratung ist. Wir werden nach unseren Namen gefragt, die die Beraterin auf ihr Klemmbrett notiert. Dass sie meinen Namen falsch versteht, verschafft mir von Anfang an ein ungutes Gefühl. Einerseits bin ich fassungslos, wie selbstverständlich der Anonymitätsgrundsatz gebrochen wurde. Andererseits wird mir bereits hier deutlich, dass es eigentlich gar nicht um mich geht.
Schnell merke ich: Meine Beraterin hat wenig Lust, mich über die verschiedenen Möglichkeiten für einen Schwangerschaftsabbruch zu informieren. «Ich habe mich bereits entschieden», sage ich, «ich möchte dieses Kind nicht bekommen.» Die Beraterin interveniert: «Naja, lassen wir uns doch erst einmal reden.» Ich sage meine einstudierten Sätze: «Ich möchte keine Kinder, daher möchte ich die Schwangerschaft beenden. Meine Gynäkologin hat mich vor wenigen Stunden über meinen ungewöhnlich niedrigen Beta-HCG-Wert informiert und geht davon aus, dass es sich um eine gestörte Frühschwangerschaft handelt.» Ich hoffe, dass das Gespräch bereits hier ein schnelles Ende findet. Die Beraterin lächelt mich traurig an. «Warum wollen Sie keine Kinder?» «Ich wollte noch nie Kinder», scheint keine gültige Antwort zu sein. Ich rutsche auf meinem Sessel hin und her. Auch der Satz «Ich habe bereits Blutungen und bin nur hier, falls es doch keine Fehlgeburt wird» beeindruckt sie nicht. Lediglich den bereits vereinbarten Abbruchtermin kommentiert sie abschätzig mit einem «Das wissen Sie jetzt schon?».
Ich sage, dass es eigentlich nichts zu reden gibt, und hoffe, damit unterbinden zu können, intime Fragen über mein Privatleben gestellt zu bekommen. Ich ringe mir ein Lächeln ab und versuche, Selbstsicherheit zu simulieren, obwohl ich mich ausgeliefert fühle. In ihrer Stimme höre ich Enttäuschung darüber, dass ich mich bereits entschieden habe und nicht viel von einer verpflichtenden Beratung halte. «Wer ist er denn?» Sie wendet sich an J. Ich möchte diese Intervention nicht und sage, dass er kein Mitspracherecht habe. Die Beraterin lässt nicht locker. «Aber ist er der Vater oder nur ein guter Freund?» «Das spielt doch gar keine Rolle, und ich muss das eigentlich nicht beantworten.» Sie wiederholt abermals «Aber warum ist er denn dann hier?» «Weil ich sie bei ihrer Entscheidung unterstützen will», sagt J. schließlich. Die Beraterin verzieht das Gesicht. J. versucht, meine Hand zu nehmen. Ich bin so überfordert, dass ich nur auf seine Hand starre und nach Worten suche, die zunächst nicht kommen wollen.
Ich sage schließlich, dass ich alle Optionen kenne und dass sie nichts an meiner Entscheidung ändern, kein Kind zu bekommen. «Ich bin nur hier, weil der Gesetzgeber das von mir verlangt.» Meine Beraterin reagiert ungehalten. Dabei habe ich nicht sie kritisiert, sondern den Umstand, dass ich mich beraten lassen muss, obwohl ich dies ablehne. Ich wiederhole abermals, dass Entscheidungen über meinen Körper nur mich betreffen. Die Beraterin sagt schließlich: «Jaja, natürlich ist das ihr Körper, aber wir könnten hier trotzdem ins Gespräch kommen.» Das «aber» in ihrem Satz macht mich wütend. Sie sagt, dass man hier ja auch politisch über Zwangsberatungen reden könne. Ich entgegne, dass ich dafür nicht hier sei, sondern nur den Beratungsschein möchte. Ich fühle mich völlig in die Ecke gedrängt. All die Souveränität vom Anfang ist weg. Es kostet mich Kraft, mir meine Wut nicht anmerken zu lassen. «Schade», sagt die Beraterin. Sie würde das jetzt gerne ausführlich mit mir besprechen. Ich hake ein: «Aber ich bin als Klientin hier, die abtreiben möchte, und nicht für eine politische Auseinandersetzung. »Schade«, sagt die Beraterin abermals. Schließlich fragt sie mich, ob ich denn überhaupt wisse, wie man verhütet. Ich werfe J. einen Blick zu, er erwidert ihn, und ich entgegne, dass ich es schließlich bisher geschafft hätte, nicht schwanger zu werden. Scham und der Drang sich zu rechtfertigen überwiegen nun.
Am Ende des Gesprächs stellt sie mir widerwillig einen Beratungsschein aus. »Wenn Sie das wollen, dann kriegen Sie den. Name?« Ich buchstabiere. Sie schreibt mit. »Beratungen laufen in diesen Räumen normalerweise anders ab. Sowas habe ich noch nicht erlebt!« Sie betont wieder, wie schade sie es findet, dass es keinen Austausch gab. Ich sage nichts mehr. Ich frage mich, wie das Gespräch mit einer Schwangeren verlaufen wäre, die ihre Rechte weniger gekannt hätte oder leichter einzuschüchtern gewesen wäre.
Wie läuft eine solche Beratung idealerweise ab, und wer kontrolliert eigentlich die Beratungsstellen? Jede*r Berater*in muss über die Beratung einen Bericht anfertigen. Jedes Bundesland regelt die Überprüfung der Berichte anders. Das ergab eine schriftliche Anfrage von Buzzfeed News an alle 16 zuständigen Ministerien. Die Inhalte dieser Berichte werden jedoch nirgendwo systematisch überprüft. Die Ausbildung von Schwangerenkonfliktberater*innen unterliegt im Prinzip strengen Anforderungen. Dazu gehört auch eine eidesstattliche Erklärung, ergebnisoffen und anonym zu beraten.
Was ich erst im Laufe der Recherche erfahre: Hält die beratende Person nach dem Beratungsgespräch eine Fortsetzung dieses Gesprächs für notwendig, soll diese unverzüglich erfolgen. Zu einem zweiten Beratungsgespräch erscheinen zu müssen, auch wenn dies gegen den Willen der Schwangeren erfolgt, ist also durchaus möglich und vom Gesetzgeber so gewollt.
Am Abend nach der Beratung habe ich eine Fehlgeburt. Ich tue mich schwer mit dem Begriff, denn letztendlich war ich keine fünf Wochen schwanger. Ich bin alleine in meiner Wohnung, trinke Cola und fühle mich exakt so elend, als würde ich meine Tage kriegen. Die Freund*innen, denen ich vom Frühabort erzähle, stellen mir aufdringliche Fragen: »Wann kannst du je wieder eine normale Sexualität haben?« Viele gehen von großem Leid aus. Dass ich einfach nur Bauchschmerzen und eine etwas stärkere Blutung hatte, wollen einige nicht hören. Wenn ich »Frühabort« google, zeichnet sich ein ähnliches Bild: verzweifelte Frauen. Anscheinend gibt es eine sehr genaue Vorstellung darüber, wie man zu fühlen und sich zu verhalten hat. Es scheint keinen Platz zu geben für das, was ich in diesem Moment gefühlt habe: Erleichterung.
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