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Jeder hat seine eigenen Fakten

Berliner Expertenkommission zur Vergesellschaftung von Immobilien informiert sich über Mietenwahnsinn

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 6 Min.

Viel Unmut gab es von Anfang an und so auch zuletzt wieder über die vom Berliner Senat eingesetzte Kommission, die sich mit dem an der Wahlurne erfolgreichen Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer Immobilienbestände privater Wohnungsunternehmen beschäftigen soll. Trotz aller Konflikte war es Donnerstagmittag dann so weit: Nach der konstituierenden Sitzung Ende April folgte das erste richtige Arbeitstreffen, zu dem sieben Sachverständige eingeladen waren, um »die Fakten über Mieten, Bauen, Wohnen« zu präsentieren. »Weil wir das als Grundlage für unsere Erörterung gut gebrauchen können«, wie Herta Däubler-Gmelin (SPD), Vorsitzende der Kommission, eingangs erläuterte.

Dabei war schnell klar, dass die für den mehrstündigen Parforceritt durch die Daten des Berliner Wohnungsmarktes angetretenen Sachverständigen neben den Fakten – obgleich verklausuliert – auch ihre Position zur Vergesellschaftungsfrage äußern würden. Waren doch neben Rouzbeh Taheri von der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen gleich drei weitere Sozialisierungsbefürworter eingeladen.

Dass man in Berlin nach neuen Wegen suchen müsse, weil die bisherigen Instrumente der Mietenregulierung ausgereizt sind, sei für ihn klar, sagte beispielsweise der Stadtsoziologe Andrej Holm. Die Hauptstadt sei »Meister aller Klassen«, wenn es um Mietsteigerungen gehe. Für Haushalte mit mittleren und geringen Einkommen werde preislich angemessener Wohnraum derzeit im Großen und Ganzen nur von den landeseigenen Wohnungsunternehmen bereitgestellt – wenn auch angesichts des riesigen Bedarfes kaum in ausreichendem Maß. Um mehr preisgünstigen Wohnraum zu schaffen, sei der Neubau der Landeseigenen ein Instrument. »Auch der Aufkauf oder die Überführung großer Bestände in das öffentliche Eigentum sind Perspektiven, die aus dieser Sicht sehr wohl Sinn machen«, lautete am Ende die Parteinahme für das Ziel der Sozialisierungsaktivisten.

Reiner Wild vom Berliner Mieterverein sah das ähnlich. Die privaten Wohnungsunternehmen würden am Bedarf im mittleren und unteren Preissegment vorbeibauen, im Bestand hätten zugleich Instrumente wie die Mietpreisbremse angesichts zahlreicher Ausnahmen den Mietanstieg nicht im erforderlichen Maße begrenzen können. Deshalb müsse alles in die Wege geleitet werden, um den Gemeinwohlsektor in den Städten zu erhöhen, so Wild. Das betreffe nicht nur den Neubau. Auch im Bestand sei es wichtig, »dass der Gemeinwohlanteil steigt«.

Eine Möglichkeit, diesen zu erhöhen, ist bekanntlich die Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer profitorientierter Unternehmen, für die im September eine Mehrheit der wahlberechtigten Berliner gestimmt hat. Deutsche Wohnen & Co enteignen hatte als Grenze, ab der die Bestände vergesellschaftet werden sollen, die Zahl von 3000 Wohnungen vorgesehen. Damit, so Rouzbeh Taheri von der Initiative, sei man sich sicher gewesen, nur »die richtigen« Unternehmen zu treffen. »Die, die über dieser Grenze liegen, sind nicht die schlimmsten, aber die größten der Schlimmen«, sagte er am Donnerstag.

Christoph Trautvetter, der »im Nebenjob« für die linksparteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung den Eigentümerstrukturen auf dem Wohnungsmarkt nachspürt, argumentierte, dass man durchaus auch von dieser Grenze abweichen könne. So gebe es beispielsweise Investmentfonds, die mit ihrem Wohnungsbestand knapp darunterlägen. Trautvetter empfahl den Mitgliedern der Expertenkommission, schnellstmöglich einen Untersuchungsauftrag zu erteilen, um erst einmal zuverlässig herauszufinden, wer überhaupt mehr als 3000 Wohnungen besitzt. Einen zweiten Tipp, diesmal zur Entschädigungshöhe, gab es von ihm gleich dazu: »Zahlen Sie nicht die Spekulationsgewinne aus!«

Die Spekulationsgewinne waren letztlich auch Thema der Ausführungen von Initiativensprecher Rouzbeh Taheri. Die potenziellen Kandidaten für die Vergesellschaftung sähen Immobilien nicht als Gebrauchsgut, sondern als Anlage, um Profit zu machen. »Ihre eigentlichen Kunden sind die Investoren – Mieter sind lediglich Mittel zum Zweck«, so Taheri. 38 Cent je Euro Miete würden beispielsweise bei der Deutsche Wohnen als Dividende an die Aktionäre fließen.

All diese Einschätzungen sind vielen aktiven Mietern bekannt. Sie haben den Mietenwahnsinn in den vergangenen Jahren am eigenen Leib – oder genauer: in den eigenen vier Wänden – erlebt und sind dadurch nicht selten notgedrungen selbst zu Experten für den Berliner Wohnungsmarkt geworden. Gleichwohl hatte der von der Initiative in die Expertenkommission entsandte Jurist Tim Wihl bei einer Fragestunde auf der Enteignungskonferenz am Himmelfahrtswochenende darauf aufmerksam gemacht, dass vielen Mitgliedern der Expertenkommission dieses Wissen um die Situation in der Hauptstadt schlicht fehle. Auch deshalb sei die Sachverständigenrunde sinnvoll. Beschwichtigenden Argumenten, etwa dass die Durchschnittsmiete in Berlin ja noch geringer sei als in Frankfurt am Main, müsse man Zahlen entgegensetzen, die die Dramatik des Mietenwahnsinns an der Spree verdeutlichen.

Wihl sollte recht behalten. Am Donnerstag waren auch Dirk Böttcher für die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Hinrich Holm von der Investitionsbank Berlin und Harald Simons vom Forschungs- und Beratungsinstitut Empirica als Externe eingeladen. Böttcher führte, gestützt auf die Zahlen der Investitionsbank, aus, was das Land alles mithilfe unterschiedlicher Instrumente gegen Mietenanstieg und Verdrängung unternehme, um dann in der abschließenden Fragestunde zu dem Fazit zu gelangen, dass man an vielen Schrauben drehen könne, um die Situation auf dem Wohnungsmarkt zu entspannen. »Man muss aber Konstanz haben und nicht alle paar Jahre in Extreme fallen«, winkte er noch mit dem Zaunpfahl.

Unterhaltsamer war die Anti-Vergesellschaftungs-Argumentation von Harald Simons. Simons stellte Zahlen vor, die signalisieren sollten: Berliner Mieter, ihr müsst euch nur noch ein wenig gedulden. So sinke die Mietbelastungsquote, das Leerstandniveau steige wieder an, und »die Zeiten stürmischen Bevölkerungswachstums« seien wahrscheinlich vorbei, weil viele Menschen aus Berlin wegziehen. »Wir empfehlen gegenüber Investoren, diesen Gedankengang zumindest zuzulassen«, so der Vorstand des immobilienwirtschaftnahen Instituts Empirica.

Das von den Grünen und Die Linke benannte Kommissionsmitglied Florian Rödl verwies darauf, dass die Wegzüge ja nicht gerade tröstlich seien, wenn es sich dabei nicht um freiwillige Entscheidungen handele. Simons gab sich auch daraufhin keine Mühe zu verbergen, wes Geistes Kind er ist, und erklärte: »Eine Freiwilligkeit im Sinne von ›Es hat nichts mit den Preisen zu tun, ich bin erst dann zufrieden, wenn jeder überall hinziehen kann‹, das werden wir nie haben können.«

Klar ist, dass die der Vergesellschaftung wohlgesonnenen Sachverständigen am Donnerstag ein Gegengewicht gebildet haben zum Vertreter der Senatsverwaltung, zum Empirica-Vorstand und auch zu einem Teil der Kommissionsmitglieder. »Ganz banal gesagt: Dadurch entstehen ja nicht mehr Wohnungen«, ließ sich beispielsweise der von der SPD für die Kommission benannte ehemalige Bundesverfassungsrichter Michael Eichberger ein. Die Frage, warum man nicht einfach mehr baut, war so präsent, dass selbst Florian Rödl kurz aus seiner Rolle fiel: »Nach meiner Wahrnehmung dieser Diskussion hat sich inzwischen als Erkenntnis herauskristallisiert, dass eben der Mietmarkt anders funktioniert als andere Märkte«, sagte der Rechtswissenschaftler an der Freien Universität Berlin.

Von den Gräben, die auch zwischen den Mitgliedern der Expertenkommission verlaufen, konnte sich am Donnerstag jeder ein Bild machen. Die Sitzung fand öffentlich statt und wurde im Livestream übertragen. Ob das weiterhin möglich bleibt, ist unklar. Zuletzt gab es deutliche Kritik an der Vorsitzenden Däubler-Gmelin, weil diese Zuschauer von den Beratungen der Kommission ausschließen und selbst in dem Gremium abstimmen wolle. Das ist so im Senatsbeschluss nicht vorgesehen.

Transparenzhinweis: Rouzbeh Taheri ist
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