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Des Ministers neue Kleider
Der Vorstoß Cem Özdemirs für ein Tierwohllabel ist kaum zu unterscheiden von der aktuellen freiwilligen Haltungsform von Aldi, Lidl und Edeka.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ist nicht zu beneiden. Der Grünen-Politiker hat das Ministerium übernommen mitten in einer Multikrise der Schweinehaltung. Gebeutelt von der Coronakrise, der Exportbremse Schweinepest und dem rückläufigen Fleischverzehr hat seine Vorgängerin Julia Klöckner (CDU) zudem den überfälligen Umbau der Tierhaltung verzögert und verschleppt. Jetzt hat Özdemir einen Entwurf einer Tierhaltungskennzeichnung vorgelegt, die demnächst verbindlich werden soll. Seine Unterstützer jubeln – und erinnern damit an die Claquere in Andersens Märchen »Des Kaisers neue Kleider«.
Die vorgestellte Kennzeichnung ist in Wahrheit kaum zu unterscheiden von der aktuellen freiwilligen Haltungsform von Aldi, Lidl und Edeka. Minimalste Änderungen bei den Stufen 1 (gesetzlich), 2 (Stall plus etwas Platz), 3 (Außenluft) und 4 (Auslauf) – nur eine Extrastufe für den Liebling der Grünen, die Biolandwirtschaft, ist neu. Faktisch wird die Kritik bestätigt, dass der Discount die Politik macht. Zudem ist die Haltung nur ein kleiner, wenn auch wichtiger Teil des Tierwohls. Nichts wird gesagt über die Gestaltung des Stalls mit Liegeflächen oder Stroh, nichts gegen den tierwidrigen Vollspaltenboden, nichts über Tiergesundheit, nichts über Beschäftigungsmaterial gegen die Langeweile, nichts gegen das systematische Abschneiden der Ringelschwänze usw. Das ist Minimaltierschutz, definiert über Quadratzentimeter Platz. Dem Tierschützer dreht sich der Magen um.
Noch ärgerlicher ist die Begrenzung der Kennzeichnung auf den »produktiven Lebensabschnitt«, die Schweinemast. Das nichtproduktive Leben, die Ferkelzeit – immerhin etwa 40 Prozent des Lebens – wird ausgespart und kann auf niedrigstem Niveau bleiben. Die Sauen können ohne Probleme im Kastenstand bleiben, die Ferkel auf geringer Stallfläche groß gezogen und die Schwänze abgeschnitten werden. Wenn die Ferkel dann in den letzten Monaten in einem Stall der Stufe 3 oder 4 wachsen, kann das Fleisch als besonders tierfreundlich gekennzeichnet werden. Manche nennen das eine Verbrauchertäuschung.
Und vieles wird gar nicht angesprochen. Die Kennzeichnung der verarbeiteten Produkte (zum Beispiel Wurst) bleibt außen vor. Ebenso der Verzehr in Restaurants, Kantinen oder im Imbiss.
Noch schlimmer aber ist die Regelung für die Bäuer*innen. Sie befinden sich aktuell in der schlimmsten Schweinekrise seit Jahrzehnten und warten händeringend auf ein Zeichen aus der Politik. Der Markt, ob Export oder im Inland, verweigert ein faires Einkommen und ruiniert gerade Tag für Tag bäuerliche Betriebe, die wir für eine vernünftige Tierhaltung in Zukunft benötigen. Für sie gibt es kein Wort zur Finanzierung des Umbaus, damit das »bessere« Fleisch auch für normale Verbraucher*in zu bezahlen ist. Kein Wort zum Zeitplan, zur staatlichen Risikoabsicherung in Form von Verträgen usw. Sie wissen, dass nur ein Zusammenspiel aus informierter Verbraucherschaft, politischer Unterstützung und eigener Risikobereitschaft eine Lösung bringt. Unter anderem Aldi mit ihrer Initiative »ab 2030 nur mindestens Stufe 3 oder 4« und umbauwillige Landwirte wollen vorangehen, während die Politik redet und bremst. Aber ohne eine politische Perspektive wird es keine nachhaltige Tierhaltung geben.
Klasse statt Masse – diese Ausrichtung ist in der breiten Landwirtschaft angekommen. Dabei hat eine Kommission aus Landwirtschaft, Umwelt- und Tierschutz und Wissenschaft unter Leitung des ehemaligen Agrarministers Jochen Borchert (CDU) sehr brauchbare und einstimmig verabschiedete Empfehlungen vorgelegt, die in großen Teilen umsetzbar wären, wenn man will und die FDP von ihrem bauern- und tierfeindlichen Sparkurs abbringt. Vom netten Minister aber hört man viele warme Worte. Das reicht aber nicht angesichts der Krise auf dem Schweinemarkt, die durch den Ukrainekrieg noch verschärft wird.
Des Ministers neue Kleider sind nicht erkennbar. Schon Kinder werden rufen, wie im Märchen, dass der Kaiser nichts anhat. So wird der Umbau der Tierhaltung nicht gelingen.
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