• Politik
  • Tamilische Befreiungstiger

Die Perspektive der Tamilen

Gerichtsprozess gegen Aktivisten des Tamil Coordination Committee (TCC) wird fortgeführt

  • Vina Thiru
  • Lesedauer: 4 Min.

Der am 27. April 2022 gestartete Gerichtsprozess gegen vier eelam-tamilische Aktivisten aus Sri Lanka wird entgegen dem ursprünglich für den 10. Juni angesetzten Ende weiter fortgeführt. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten in dem Verfahren vor, im Rahmen der internationalen Organisation Tamil Coordination Committee (TCC) Spenden gesammelt zu haben, die den Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE, Tamilische Befreiungstiger) und ihrer bewaffneten Unabhängigkeitsbestrebung zugutekamen. Wie bei der kurdischen Arbeiterpartei PKK werden diese Fälle von der Staatsanwaltschaft als Unterstützung »terroristischer Aktivitäten« im Ausland verstanden und im Hochsicherheitstrakt des Düsseldorfer Oberlandesgerichtes verhandelt.

Die Anklage gegen die vier Männer bezieht sich auf einen Zeitraum, der kurz nach dem Verbot der LTTE durch die Europäische Union ansetzt und mit Ende des Krieges abschließt: 2007 bis 2009. Viele Tamil*innen sowie NGOs betrachten die an Angehörigen ihrer Volksgruppe verübten Massaker dieser Jahre als Genozid, der notwendigerweise Selbstverteidigung erforderte. Auch zwei der Angeklagten betrachten ihr Spendensammeln für die Unabhängigkeitsbewegung als legitime sowie zu dieser Zeit einzige Möglichkeit der Selbstverteidigung gegenüber völkerrechtswidriger Gewalt.

Erst kürzlich kritisierten beim »Permanent Peoples’ Tribunal on Sri Lanka« Ende Mai in Berlin viele Zeug*innen die Entscheidung westlicher Nationen, die Tamil Tigers als Terrorist*innen einzustufen (erst maßgeblich durch die USA und Großbritannien und später durch die EU) sowie Aktivist*innen in der Diaspora zu kriminalisieren – dies ermögliche bis heute den strukturellen Genozid in Sri Lanka, der im Namen des »Anti-Terror-Kampfes« weiter vollzogen wird.

Um der Frage der Terror-Einstufung nachzugehen, bekam der durch die Staatsanwaltschaft als Sachverständiger einberufene emeritierte Professor Jakob Rösel an zwei Verhandlungstagen Anfang Mai die Möglichkeit, seine Einschätzungen zur LTTE abzugeben. Der am politik- und verwaltungswissenschaftlichen Institut der Universität Rostock tätige Rösel präsentierte vor Gericht eine dezidiert gegen die LTTE gerichtete Perspektive, die bereits aus dem vorher eingereichten schriftlichen Expertengutachten hervorging.

Rösel zufolge erfüllt die LTTE seine Kriterien einer Terrororganisation. Die Verteidiger*innen der Angeklagten kritisierten Rösels Aussagen insbesondere wegen fehlender Quellenangaben im Gutachten und dessen Lückenhaftigkeit. Die Tatsache, dass Rösel seit 1997 nicht mehr in Sri Lanka gewesen ist sowie keine der zwei Landessprachen spricht, die beispielsweise zur Auswertung von Primärquellen notwendig sind, lässt zudem an seinem Status als Experte vor Gericht mindestens zweifeln.

Eine Verteidigerin in dem Prozess, Rechtsanwältin Nadija Samour, stellte aufgrund dessen am 30. Mai einen Antrag zur Einholung eines weiteren Expert*innengutachtens. Hierfür wurde der als Assistenzprofessor am Trinity College in Dublin tätige Jude Lal Fernando vorgeschlagen, der bis 2004 in Sri Lanka lebte, beide Sprachen fließend spricht und als Forscher, Friedensarbeiter und Zeitungsredakteur politische Prozesse des Landes über das Jahr 2004 hinaus aufarbeitete.

Nachdem das Gericht zunächst über mehrere Sitzungen hinweg verhalten auf den Beweisantrag zu reagieren schien und die Entscheidung darüber hinauszögerte, wurde ihm schließlich am Nachmittag des 10. Juni stattgegeben. Der sicherheitshalber aus Irland angereiste Fernando bekam nach einer stundenlangen Pause plötzlich die Möglichkeit, Fragen in der Hauptverhandlung zu beantworten. In der im Vergleich zu Rösels Darlegungen dafür äußerst begrenzten Zeit legte der Friedensforscher Analysen zu Ereignissen wie spezifischen Anschlägen ebenso wie zu generellen politischen Entwicklungen im Krieg dar – gestützt durch Grafiken, Interviewauswertungen und eigene Erfahrungen.

Dabei interessierten die Richter*innen sich wiederholt insbesondere für die brisante Frage der Kinder innerhalb der LTTE. »Der Begriff der Kindersoldaten ist irreführend«, erklärte Fernando hierzu und führte aus, dass es in der Kriegsrealität durchaus zu minderjährigen Mitgliedern in der LTTE kam. Allerdings hätten diese die Bewegung zwar aktiv unterstützt, nicht aber an der bewaffneten Front gekämpft, was ein wesentlicher Unterschied sei.

Im Gespräch mit dem »nd« erklärt Rechtsanwältin Samour: »Es ist gut, dass das Gericht sich darauf eingelassen hat, eine weitere Perspektive zuzulassen. Und zwar eine, die die Sicht der Betroffenen stärkt, Primärquellen heranzieht, statt die eurozentristische und zum Teil orientalistische Sicht auf Sri Lanka und den tamilischen Befreiungskampf. Es wird abzuwarten sein, wie das Gericht das Gutachten würdigt, also wie viel Gewicht es dem Gutachten, und damit dieser Perspektive geben will.«

Weitere Termine des Gerichtsprozesses sind für den 22. und 23. Juni sowie 30. Juli angesetzt. Ein Urteil bereits im Juni erscheint derzeit jedoch wahrscheinlich.

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