Bodo Ramelow: »Wir haben kein geordnetes Kraftzentrum mehr«

15 Jahre Die Linke: Ministerpräsident Bodo Ramelow, seinerzeit Fusionsbeauftragter, über die schwierige Lage seiner Partei

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 9 Min.
Bodo Ramelow (Die Linke), Ministerpräsident des Freistaats Thüringen. dpa
Bodo Ramelow (Die Linke), Ministerpräsident des Freistaats Thüringen. dpa

Herr Ramelow, in Thüringen wurde zuletzt einmal mehr ein möglicher »Dammbruch« zur AfD befürchtet. Allerdings hat die CDU-Fraktion ihren Antrag für einen 1000-Meter-Mindestabstand für Windräder zu Wohnbebauung, dem die AfD zustimmen wollte, zurückgezogen. Dieser Antrag wird nun ergänzt und soll am Ende auch mit den Stimmen von Rot-Rot-Grün beschlossen werden. Kommt am Ende, um den »Dammbruch« zu verhindern, ein »CDU-light-Beschluss« heraus, der den Ausbau erneuerbarer Energien bremsen wird?

Interview

Bodo Ramelow ist seit 2014 Ministerpräsident von Thüringen, als erster und bisher einziger der Linken. Seit 2020 führt er im Freistaat eine Minderheitsregierung mit SPD und Grünen. Zuvor war er Fusionsbeauftragter beim Zusammenschluss von PDS und WASG, der sich am 16. Juni zum 15. Mal jährt. Zudem hat Ramelow momentan turnusmäßig den Vorsitz des Bundesrats inne. Vor dem Bundesparteitag der Linken in Erfurt unterhielt sich Max Zeising mit dem 66-Jährigen.

Falsch! Große Teile des Antrags, der als CDU-Antrag gilt, sind im Wesentlichen von meiner Fraktion mit beeinflusst worden. Das Problem ist: Sie haben es leider in den Verhandlungen nicht erreicht, diesen Antrag so fertig zu machen, dass er dem entspricht, was zum Beispiel in Brandenburg beschlossen wurde. Es gibt zwei kleine Punkte, die noch ergänzt werden. Einer davon ist das sogenannte Repowering, das heißt: Bestehende Windkraftanlagen, die innerhalb der 1000 Meter liegen, können durch neue Anlagen ersetzt werden. Die CDU hat für eine Verunklarung gesorgt, diese Verunklarung heben wir jetzt auf.

Allerdings könnte dieser Beschluss schon bald wieder hinfällig sein. Denn die Bundesregierung will deutlich mehr Flächen für Windkraft ausweisen. Und wenn Länder ihre Flächenziele nicht erfüllen, sollen Abstandsregeln in diesen Fällen nicht mehr greifen …

Sie gehen jetzt auf eine Gesetzesinitiative ein, die ich noch gar nicht kenne. Wenn Sie die kennen, würde ich Sie bitten, mir diese vorzulegen, damit ich weiß, worauf ich mich einrichten kann.

Ich habe keine Drucksache dabei …

Sehen Sie! Das Problem ist: Ich kann nur reale Politik gestalten auf Basis der Erkenntnisse, die mir tatsächlich als Beschlüsse der Ampel vorliegen. Wir gestalten jetzt den CDU-Antrag, so dass er vertretbar ist, und sorgen dafür, dass er mehrheitlich im Parlament abgestimmt wird. Und wenn der Bundesantrag kommt, werden wir uns bundesgesetzlich korrekt verhalten. Das ist Realpolitik! In der jetzigen Situation habe ich jedenfalls nichts davon, wenn wir einen Showdown haben, bei dem die AfD darüber entscheidet, welche Gesetze in Zukunft hier gelten.

Betreibt die CDU in Thüringen einen Kulturkampf gegen das Windrad, indem sie bestehende Ängste in der Bevölkerung mit populistischer Stimmungsmache noch zusätzlich verstärkt?

Diesen Kulturkampf betreibt die AfD, zudem gibt es einen Teil von Bürgerinitiativen, die als Kulturkämpfer fest involviert sind bis hin zu körperlichen Angriffen. Wir haben Wahlkampfveranstaltungen erlebt, die de facto gestürmt wurden. Ich bedauere, dass sich die CDU auf diese Logik eingelassen hat. Sie glaubt, der AfD auf diese Weise den Wind aus den Segeln nehmen zu können.

Wie gehen Sie selbst mit solchen Bürgerinitiativen um?

Einmal haben ein paar Leute nach einer Veranstaltung auf mich gewartet. Ich kam von einem Wanderweg auf der anderen Seite und habe denen zugerufen: »Sie warten doch auf mich!« Da waren die ganz erschrocken, drehten sich um, und dann haben wir in einem offenen Kreis miteinander gesprochen. Und dann war es so, dass ein Teil der Bürger auf einmal ganz zugänglich wurde für Argumente. Da merken Sie, dass andere damit nur ihr Spiel spielen.

Die Linke im Osten war lange Zeit deshalb erfolgreich, weil sie nah bei den Bürgern war, weil sie aktiv war in der Nachbarschaft, in Vereinen. Ist es eine besondere Situation, wenn Sie sich nun als Linker zum Beispiel mit Bürgerinitiativen gegen Windkraft auseinandersetzen?

Zunächst einmal: In den 90ern war die PDS jener Teil des politischen Spektrums, der stoisch ausgegrenzt wurde. Die »Rote-Socken-Kampagnen« haben allerdings dazu geführt, dass sich Menschen im Osten, die sich im Zuge der Transformation völlig neu erfinden mussten, uns angeschlossen haben. Die PDS war seinerzeit auch in den Arbeitskämpfen stark involviert, beispielsweise in Bischofferode gegen die Schließung des Kaliwerks. Aber ich habe schon damals, Ende der 90er-Jahre gesagt: Diese Erfahrungswerte werden aussterben. Es war klar, dass, wenn wir nur in unserem Mythos verharren, wir zur linken Milieupartei werden. Eigentlich ist es ja so: In Thüringen haben wir eine gesellschaftliche Mehrheit, die konservativ ist. Das ist die eigentliche Herausforderung für einen Ministerpräsidenten mit linkem Parteibuch.

Warum ist Die Linke in Thüringen im Vergleich zu anderen ostdeutschen Flächenländern mit PDS-Vergangenheit so erfolgreich?

Offensichtlich schaffen wir es, in gesellschaftlichen Veränderungsprozessen erkennbar zu bleiben. Dass wir gerade dabei sind, in Bischofferode wieder Kali fördern zu wollen, finde ich erfreulich. Dinge, die scheinbar völlig verloren gegangen sind, werden auf einmal wieder real fassbar. Aber um das zu erreichen, reicht es nicht aus, als »roter Großvater« einfach nur alte Geschichten zu erzählen. Das bringt niemandem etwas! Sondern: Du musst sehr konsequent an Themen dranbleiben.

Eine langjährige Vertraute von Ihnen, Susanne Hennig-Wellsow, wollte als Bundesvorsitzende »mehr Thüringen wagen«. Allerdings trat sie dann zurück. Gregor Gysi sagt, sie sei nicht glücklich gewesen und auch nicht glücklich gemacht worden. Was sagen Sie?

Ich habe ihr abgeraten, nach Berlin zu gehen. Susanne hatte in Thüringen eine unglaublich starke Rolle, sie war für mich ein stabilisierender Faktor. Wir haben jeden Morgen um 7 Uhr miteinander telefoniert. Allerdings hat sie geglaubt, diese Stabilität mitnehmen zu können nach Berlin und dabei die Wirkmethoden, welche sich mittlerweile in der Partei breitgemacht haben, um zu Mehrheiten zu kommen, unterschätzt.

Fühlten Sie sich im Stich gelassen?

Nein, ich habe ihr menschlich abgeraten. Als sie dann sagte, sie gehe trotzdem, habe ich mal nachgerechnet, wie alt ich war, als ich in die PDS eingetreten bin: genauso alt wie sie, als sie sich aufgemacht hat nach Berlin. Da habe ich ihr gesagt: Ich verstehe dich, ich begleite dich. Aber ich habe gemerkt, wie sie einsam wurde. Das hat mir wehgetan.

Sie sprachen von den Wirkmechanismen innerhalb der Partei. Mein Eindruck ist, dass wir diese gerade wieder erleben beim Rennen der vier Favorit*innen Martin Schirdewan, Sören Pellmann, Heidi Reichinnek und Janine Wissler um den Parteivorsitz: Einzelne Flügel und Strömungen stellen ihre eigenen Kandidat*innen auf und ringen um Deutungshoheit.

Deshalb beteilige ich mich nicht an Personal-, sondern an Strukturdebatten. Diese Wirkmechanismen haben ihre Ursache in strukturellen Fehlern der Partei, die bis zu meiner Tätigkeit als Fusionsbeauftrager beim Zusammenschluss von PDS und WASG zurückreichen. Die Integration der WASG hat uns den Bundesausschuss eingebracht, die Integration der PDS hat uns die Arbeits- und Interessengemeinschaften sowie Strömungen eingebracht. Das hat aber letztlich dazu geführt, dass wir heute kein geordnetes Kraftzentrum mehr haben. Vielmehr sprechen all diese Gremien inklusive der Bundestagsfraktion im Namen der gesamten Partei. Sie kriegen auf jede Frage drei verschiedene Antworten.

Zu den damaligen Strömungen, etwa den Reformern und der Kommunistischen Plattform, sind seitdem weitere Gruppen wie die Bewegungslinke hinzugekommen. Aber die Partei ist dadurch eher vielstimmiger geworden, als dass sie zu einem klaren Kurs gefunden hat. Warum ist es nie gelungen, diese Vielstimmigkeit auflösen?

Weil niemand die strukturellen Probleme angegangen ist. Alle Vorsitzenden haben einen Bogen darum gemacht.

Sie sagten jüngst, als Fusionsbeauftragter hätten sie einen »Rohbau« abgeliefert. Würden Sie aus heutiger Sicht bei Ansicht der strukturellen Probleme sagen, dass Sie sich noch zusätzlich um den Ausbau hätten kümmern müssen?

Wenn man einen Rohbau geliefert bekommt, sollte man sich einen Architekten holen, der sich um den Innenausbau kümmert. Oder man sollte sich auf einen Architekturplan verständigen. Aber man hat zugelassen, dass in diesem Rohbau jeder sein Appartement baut, aber der Ausgang jedes Appartements in eine andere Richtung geht, man nicht einmal ein gemeinsames Treppenhaus hat, sich nicht einmal mehr verständigen muss, wer für die Treppenreinigung zuständig ist, wer die Hausordnung macht, man sich nicht einmal mehr begegnet, nicht einmal mehr am Müllplatz.

Aber hätten Sie damals noch die Funktion des Architekten einnehmen müssen?

Nein. Es war völlig klar: Ich gehe an dem Tag, an dem ich die von mir erwünschte Leistung liefere. Ich hatte ein Jahr vorher angekündigt, dass ich zurück nach Thüringen gehe, weil ich Landespolitik gestalten will. Manch einer in Berlin war auch froh, mich los zu sein, weil ich ein unangenehmer Zeitgenosse war.

Ist es Katja Kipping und Bernd Riexinger, die immerhin mehr als acht Jahre an der Spitze standen, anzulasten, dass sie die Probleme nicht gelöst haben?

Ich beziehe da nicht nur Katja und Bernd mit ein, sondern auch Gesine (Lötzsch, d. Red.) und Klaus (Ernst, d. Red.), aber letztlich auch Janine und Susanne, denn die Köpfe wechselten, das Strukturproblem blieb. Halb sanken sie hin, halb zog es sie. Meint, auch die jeweiligen Vorsitzenden litten unter diesen Mechanismen. Rausgekommen sind Formelkompromisse, um die Partei nach innen zu befrieden. Nach außen ist man damit aber überhaupt nicht mehr erkennbar.

Hat die Bundestagsfraktion und das dortige »Hufeisen«-Machtbündnis zwischen den Reformern um Dietmar Bartsch und dem Lager um Sahra Wagenknecht verhindert, dass Kipping und Riexinger die Partei verändern konnten?

Verhindert haben sie es nicht, aber es ist eine wechselseitige Äquidistanz entstanden, die sich verselbstständigt hat. Denn beide, Katja und Bernd, waren auch Teil der Fraktion. Die größte Kleingruppe in der Bundestagsfraktion sind ehemalige Parteivorsitzende. Wenn die alle zusammen mit dem »Hufeisen« nicht umgehen können, dann frage ich: Was macht ihr da eigentlich? Deshalb: Wer mit mir diskutieren will, der muss zunächst über Strukturen diskutieren.

Deshalb zum Schluss noch eine Strukturfrage: Die Linke wurde einst auf zwei erfolgversprechenden Säulen gegründet, der PDS mit ihrer Verankerung im Osten und der WASG in Opposition zum sozialen Kahlschlag der Regierung Schröder. Nun ist die Zeit weit fortgeschritten. Braucht Die Linke neue Säulen?

Die Linke sollte klären, was sie in dieser Gesellschaft beeinflussen will. Beispielsweise steht im Aufruf von Wagenknecht(»Für eine populäre Linke!«, d. Red.) nur ein einziger inhaltlicher Punkt: gegen bedingungsloses Grundeinkommen. Doch anstatt über Konzepte wie eine moderne Bürgerversicherung zu reden, sagen die einen, was sie nicht wollen, während die anderen mit Austritt drohen. Solange wir so miteinander umgehen, arbeitet jeder nur auf seiner Säule. Dann haben wir keine Säulen, sondern einzelne Säulenheilige.

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