Kompromisslose Politik

Die Radikalisierung der AfD war schon bei ihrer Gründung absehbar

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 6 Min.
In der AfD geht es zu wie auf einer Hüpfburg: alles wild durcheinander.
In der AfD geht es zu wie auf einer Hüpfburg: alles wild durcheinander.

Auf Youtube findet sich ein Video aus dem Jahr 2014. Die AfD ist zu diesem Zeitpunkt kaum ein Jahr alt. Der Clip, ein Ausschnitt aus der Politik-Talksendung »Studio Friedman«, ist ein Beleg dafür, dass die Behauptung, die Partei habe erst mit den Jahren einen Rechtsruck erlebt, in dieser Form nicht haltbar ist. Auf eben diese These berufen sich jedoch bis heute Mitglieder, die der AfD den Rücken kehren. Jüngstes prominentes Beispiel ist Jörg Meuthen. »Das Herz der Partei schlägt heute sehr weit rechts und es schlägt eigentlich permanent hochfrequent, das ist nicht gesund«, so der Ex-Bundessprecher Ende Januar in einem ARD-Interview, in dem er auch seinen Austritt erklärte.

Meuthen war kein Gründungsmitglied, stieß aber bereits kurz nach der Bundestagswahl 2013, bei der die Partei mit 4,7 Prozent knapp den Parlamentseinzug verpasste, zur erst wenige Monate alten AfD. Der Ökonom habe sich darüber geärgert, wie ein wissenschaftlicher Kollege, Professor Bernd Lucke, in der Polit-Talksendung von Günther Jauch verspottet worden sei.

Lucke und Meuthen, zwei Wirtschaftswissenschaftler, die anfangs stark den Ruf der AfD als Professorenpartei prägten. Forscher*innen, das sind für die breite Öffentlichkeit keine radikalen Scharfmacher*innen, sondern nüchterne Menschen, die Fakten über Emotionen stellen. Dass in ihrer Gründungszeit in vorderster Reihe der Partei etliche Wissenschaftler*innen standen, versperrte den Blick darauf, wie stark Nationalismus, Rassismus und die Ablehnung einer pluralistischen Gesellschaft schon damals in der AfD verankert waren. Mehr noch: Es ist Teil ihrer politischen DNA, ihre spätere Entwicklung war bereits unmittelbar am Anfang absehbar.

Gegründet wurde die Partei am 6. Februar 2013 im hessischen Oberursel. Bezeichnend ist, dass die drei Gründungsvorsitzenden teils schon lange keine AfD-Mitglieder mehr sind. Damals waren dies neben Lucke, der Publizist Konrad Adam und die Chemikerin Frauke Petry. In der Medienöffentlichkeit vertrat aber zunächst vor allem der Hamburger Professor die Partei. Vordergründiges Thema für Lucke war die Kritik an der Gemeinschaftswährung Euro und der europäischen Finanz- und Wirtschaftspolitik. Doch auch er spielte da bereits eifrig auf jener AfD-typischen Klaviatur, Rassismus und soziale Ängste miteinander zu verknüpfen.

Auf einer Veranstaltung im rheinland-pfälzischen Frankenthal mitten im Bundestagswahlkampf 2007 sprach Lucke laut eines Berichts in der »Süddeutschen Zeitung« vor hunderten Zuhörer*innen über ökonomische Themen, kam im Verlauf seines Vortrags aber auch auf das Thema Migration zu sprechen. Laut dem Wirtschaftsprofessor kämen Menschen ins Land, die weder Deutsch sprechen, noch über Bildung verfügten. Ihre einzige Perspektive sei deshalb Hartz IV. »Dann bilden sie eine Art sozialen Bodensatz – einen Bodensatz, der lebenslang in unseren Sozialsystemen verharrt.« Um diese Menschen vor so einem Leben zu schützen, sollte man sie erst überhaupt nicht ins Land lassen, so Lucke. Vermeintlich bildungsferne, faule, nicht integrierbare Migrant*innen – Lucke nutzte dieses altbekannte rechte Schreckgespenst. Im gleichen Vortrag ging es auch um »verbrauchte Altparteien«, der AfD-Sprecher behauptete, anders »als viele Abgeordnete im Deutschen Bundestag« stünden viele Parteimitglieder mitten im Leben. Abwertung von Berufspolitiker*innen, auch dies ist eine etablierte Methode der Rechten. Zu diesen zählt sich Lucke übrigens selbst nicht. Ebenso sei er kein Populist.

Dass er nicht nur deren Argumente und Methoden nutzte, sondern sich auch lange Zeit nicht distanzierte, zeigt Luckes eingangs erwähnter TV-Auftritt. Michel Friedman sprach den Parteivorsitzenden auf eine Äußerung von Beatrix von Storch an, damals AfD-Kandidatin bei der Europawahl. »Multikulti hat die Aufgabe, die Völker zu homogenisieren und damit religiös und kulturell auszulöschen«, lautete das Zitat, mit dem der Journalist den AfD-Vorsitzenden konfrontierte. Luckes Reaktion? Er versuchte auszuweichen, wollte trotz mehrfacher Rückfrage nicht erklären, ob er die Behauptung als rassistisch einschätzt und wie er konkret dazu steht. Statt einer Erklärung, brach Lucke das Interview ab und stürmte aus dem Studio. Von Storch war ebenso wie Lucke und Adam eine der 68 Gründer*innen der »Wahlalternative 2013«, einer Art Vorläuferorganisation der AfD. Zu Beginn ist die Adlige eine von gerade einmal sieben Frauen, auch die Partei ist von Beginn an eine Männerdomäne.

Deren Seilschaften sind es, die den Thüringer Faschisten Björn Höcke über die Jahre an Macht und Einfluss gewinnen ließen, immer wieder geschützt durch AfD-Politiker*innen aus der ersten Reihe. Meuthen, der sich gegen Ende seiner Parteikarriere als vehementer Kritiker der Völkischen inszenierte, stützte Höcke über viele Jahre. Hans-Olaf Henkel, ebenfalls ein AfD-Professor der ersten Stunde, bezeichnete Meuthen 2016 als »klassischer Schattenboxer«, weil er nach außen die Völkischen kritisiere, Sanktionen aber zu verhindern suche.

Höcke, das ist in Vergessenheit geraten, stieß nicht irgendwann zur AfD dazu, er gründete den Thüringer Landesverband im April 2013 mit. Von Anfang an dabei war auch Alexander Gauland, der immer wieder seine Hand schützend über Höcke hielt. Nur einmal wird es für den Thüringer AfD-Vorsitzenden wirklich eng. Im Januar 2017 diskutiert der Bundesvorstand über einen möglichen Rauswurf Höckes. Maßgeblich befeuert wird der Versuch von Parteichefin Petry und der damals aufstrebenden Alice Weidel. Im Vorstand gibt es dafür gegen den Widerstand von Gauland und Meuthen eine Mehrheit, doch der Plan zerschellt am Nein des Thüringer Landesschiedsgerichts, das über Höckes Ausschluss entscheiden muss. Zur Erinnerung: Anlass für den Antrag war unter anderem die Rede des Thüringer AfD-Vorsitzenden in Dresden, in der er das Berliner Holocaustmahnmal als Denkmal der Schande bezeichnete.

Diese Episode und ihre Folgen zeigt, wie wenig es in der AfD bei innerparteilichen Konflikten um politische Fragen und Ideologie geht, dafür umso mehr um Macht und wie diese zu sichern ist. Während Parteichefin Petry weiter den Konflikt mit dem Höcke-Lager suchte, was mit ihrem Parteiaustritt direkt nach der Bundestagswahl 2017 endete, entschied sich Weidel um ihrer Karriere wegen, keine weiteren Attacken gegen die Völkischen zu unternehmen. Den umgekehrten Weg ging Meuthen, der vom Höcke-Schützer zu dessen Kritiker wurde. Seine Angriffe wurden heftiger, je mehr sein Einfluss auf die Partei schwand. Meuthens Kritik war vor allem von der Angst getrieben, wie die AfD in ihrer Außendarstellung wirkt, seine Furcht vor einer Überwachung durch den Verfassungsschutz eher nicht davon getrieben, dass die Gründe dafür richtig sein könnten, sondern davon, dass das Wähler*innen abschrecken könnte. Höcke ist das dagegen egal. Wer sich keine Sorgen um seinen Ruf macht, gar nicht dazugehören will, der kann um so kompromissloser Politik machen.

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