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  • Parlamentswahl in Frankreich

Die Banlieues wachen auf

In Frankreich melden sich die Vorstädte politisch zurück. Das ist auch eine Reaktion auf rassistische Hetze

  • Anna Tüne
  • Lesedauer: 5 Min.

In Frankreichs Vorstädten, den Banlieues, leben überproportional viele Einwanderer, gemeinsam mit ihren altfranzösischen Nachbarn. In ihren Hochzeiten hat die Kommunistische Partei Frankreichs (KPF) diese Banlieues politisch und stadtplanerisch gestaltet – der berühmte »rote Gürtel« von Paris mag dafür stehen. In der KPF gab es zwar auch Immigranten, aber die Kooperation zwischen alteingesessenen Franzosen und Einwanderern blieb insgesamt schwach, sobald es nicht mehr um diese politisch klar konfigurierten Kreise ging. Selbst schon lange in Frankreich lebenden Menschen, die längst französische Staatsbürger waren und deren Kinder und Enkel die örtlichen Schulen besuchten, blieb das politische Leben ihrer neuen Heimat fremd. Entsprechend nahm eine sehr große Zahl von ihnen auch nicht an Wahlen teil.

Heute sehen wir ein verändertes Bild: Obwohl die Zahl der Nichtwähler in den Banlieues nach wie vor groß ist, so hat sich doch der politisch aktive Teil ihrer Bewohner deutlich erhöht, auch unter denen mit »Migrationshintergrund«. Das liegt zum einen daran, dass es unter den Jüngeren mittlerweile viele gibt, die sich eine gute Ausbildung erkämpft und dabei auch ein tieferes Verständnis für gesellschaftliche Fragen entwickelt haben. Auch die seit einigen Jahren aktive Bewegung Pas sans nous (Nicht ohne uns), die sich als Interessenvertretung der Arbeiterviertel versteht, hat mit ihren Aktionen in den als »sensibel« bezeichneten Stadtquartieren etwas bewirkt.

Die bürgerlichen Parteien und in deren Schlepptau eine Sozialistische Partei, die ihren Namen zunehmend weniger verdiente, hatten sich die Idee zu eigen gemacht, dass »diese Leute« ohnehin nicht wählen gingen und als politische Zielgruppe unter den Tisch fielen. Bei gewaltsamem Aufruhr kommentierte man aufgeregt die Ereignisse. Ansätze zu einer grundlegend veränderten politischen Praxis fielen nach der Beruhigung der Lage stets wieder dem Vergessen anheim.

Im Kontext der Präsidentschaftswahl im April und der Parlamentswahl, die an diesem Sonntag in die zweite Runde geht, haben die seit Monaten grassierenden Hasswellen besonders gegen Muslime, aber auch gegen alle nicht weiß genug erscheinenden Menschen deutlich mobilisierend gewirkt. Nicht nur die kontinuierliche rassistische Hintergrundmusik, die seit Jahren der nationalistische Rassemblement National von Marine Le Pen spielt, hat die Menschen aufhorchen lassen. In den vergangenen Monaten kam der Medienhype um den rechtsextremen Rassisten Éric Zemmour hinzu, der Le Pen in den Schatten stellt. Die Medien hatten dem ultrarechten Autor vor der Präsidentschaftswahl viel Platz eingeräumt und ihm ermöglicht, seine rechtsextremen Positionen zu verbreiten. Umfragen sahen Zemmour zeitweilig sogar vor der Präsidentschaftskandidatin Le Pen.

Die Communities der Vorstädte hat dies tief beunruhigt oder sogar verängstigt. Dass aber bürgerliche Parteien opportunistisch mit vergleichbarer Demagogie auftrumpften, hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Es führte bei vielen zu der Überzeugung, dass es für verunglimpfte Bevölkerungsgruppen wirklich schlimm kommen kann.

Angesichts des Hasses sind die klaren Solidaritätsbekundungen der Linkspartei La France Insoumise (LFI) und des Spitzenkandidaten Jean-Luc Mélenchon in den Banlieues gehört worden. Die dort schon 2012 begonnene politische Arbeit der LFI, zum Beispiel mit ihren politischen »Karawanen«, trug bereits bei den vorangegangenen Wahlen 2017 Früchte. Während ihrer regelmäßigen Auftritte vor Ort ergänzt die Partei ihre politische Arbeit mit Beratungen zu sozialen Rechten und konkreter Hilfe.

An der linken Basisarbeit sind immer mehr Menschen beteiligt, die selbst in den Quartieren leben. Das erlaubt es, im eigenen Namen von einem »Wir« zu sprechen: »Unsere Stimmen zählen.« Man überließ es den Bewohnern, ihre Prioritäten mündlich oder schriftlich zu formulieren, bündelte dies und ließ es im Wahlkampf in die Argumentationen einfließen. All dies befruchtete den Kampf gegen Passivität und Hoffnungslosigkeit und schuf ein Bewusstsein dafür, dass ein Wahlzettel eine effektive »Waffe« sein kann zur Herstellung eines neuen politischen Kräfteverhältnisses. Das ändert nichts an dem Befund, dass hier wie überall die Wahlabstinenz zunimmt. Neu für die Banlieues ist jedoch die Intensität und Richtung der politischen Aktivität.

Bei der Präsidentschaftswahl im April gab es gerade in den Banlieues Rekordergebnisse von bis zu 60 Prozent für den linken Kandidaten Mélenchon, bei einem Gesamtergebnis von knapp 22 Prozent. Bei der zweiten Runde der Wahl zur Nationalversammlung an diesem Sonntag wird in 577 Wahlbezirken abgestimmt. Die Abgeordneten der ökologischen und sozialen Volksunion (Nupes), in der sich LFI, Grüne, die KPF und die Sozialisten zusammengeschlossen haben, kämpfen um eine Mehrheit, um eine Abkehr von der marktradikalen Politik von Präsident Emmanuel Macron zu erzwingen.

In den Banlieues und vergleichbaren Wahlkreisen haben mehrere Kandidaten der Nupes bereits in der ersten Runde der Parlamentswahl am vergangenen Sonntag dank absoluter Mehrheit der Stimmen ein Mandat geholt: Soumya Bourouaha siegte in La Courneuve, Sophia Chikirou und Raquel Garrido in Pariser Wahlbezirken, die in Gabun geborene Abgeordnete der LFI, Danielle Obono, verteidigte ihr Mandat mit 57 Prozent der Stimmen. In der von Armut geplagten ehemaligen Textilstadt Roubaix gewann Karima Chouia.

Nupes repräsentiert die von rechter Seite diskriminierten Minderheiten. Dass viele Wähler der Vorstädte zugleich die Ansicht vertreten, dass die Ethnizität von Kandidaten im Vergleich zu ihrer politischen Positionsbestimmung unbedeutend ist, zeigen die Wahlergebnisse »altfranzösischer« Nupes-Kandidaten: Alexis Corbière etwa erzielte in Bagnolet mit 62 Prozent der Stimmen das beste Ergebnis unter allen Bewerbern in ganz Frankreich. In einem Armenviertel von Marseille sicherte sich Manuel Bompard das Mandat. Unter dem Strich zeigt sich: Bei diesen Wahlen werden die alten »roten Gürtel« in neuer Buntheit wieder sichtbar.

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